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Ein Pyrrhussieg Ben Gurions

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Seit elf Jahren, als die Reparationszahlungen von Deutschland Israels Gemüter erregten, war die Krise in Israels jungem Parlament (Knesseth) nicht auf solch einen Höhepunkt gestiegen wie bei der Abstimmung um die Aufrechterhaltung der Militärverwaltung in den Wohngebieten der arabischen Minderheiten in Israel, die am 20. Februar stattfand. Die Gemüter waren so erregt, daß der Parlamentsvorsitzende den Hammer auf dem Rednerpult zerbrach, als er versuchte, die verschiedenen Zwischenrufer zum Schweigen zu bringen. Parlamentsabgeordnete, die sich krankheitshalber in Spitälern befanden, wurden per Ambulanz zur Abstimmung gebracht. Andere, die gerade im Ausland waren, wurden zurückberufen. 118 von den 120 Knessethmitgliedern nahmen an der dramatischen Abstimmung teil. Diese Abstimmung hatte nicht nur das Los der Militärverwaltung, sondern auch das Los der israelischen Regierung zu bestimmen. Würde die Regierung keine Mehrheit erzielen, so erklärte Ministerpräsident David Ben Gurion, werde er zurücktreten und Neuwahlen proklamieren. Nach vier dramatischen Abstimmungen über die Vorschläge der Opposition, denen wochenlange Verhandlungen vorangegangen waren, konnte Ben Gurion eine Mehrheit von 57:56 Stimmen erzielen. Die Regierung war gerettet, aber die Gemüter blieben weiter aufgebracht.

Eine Stimme Mehrheit gegen zehn Prozent Minderheit in Israel

Noch am Vorabend der Abstimmung wurden einige unschlüssige Parlamentsmitglieder auf das intensivste „bearbeitet“. Die zwei arabischen Parlamentsmitglieder, von denen man annahm, daß sie unter Druck ihrer Partei (Mapei) für die Militärverwaltung stimmen werden, wurden die ganze Nacht vor der Abstimmung von arabischen Studenten bestürmt, diesem Druck nicht zu erliegen. Zum Schluß fanden sie einen Kompromiß, indem sie sich während der Abstimmung der Stimme enthielten beziehungsweise dagegen stimmten.

Einen Tag Vor der Abstimmung wandten sich Professoren der Hebräischen Universität mit dem greisen Professor Martin Buber an der Spitze an die Knessethmitglieder und an David Ben Gurion mit dem Appell, die undemokratische Militärverwaltung in den arabischen Wohngebieten aufzuheben. Zwei Demonstrationen von Studenten und Linkselementen unterstützten diese Forderung. Sie endeten vor dem Parlamentsgebäude mit einer kleinen Schlägerei.

Die Militärverwaltung der Wohngebiete der arabischen Minderheit wurde während des Krieges und der Staatsgründung im Jahre 1948 eingeführt und ähnelt in ihrem Charakter einer Militärverwaltung im Kriege besetzter Gebiete. Diese Verwaltungsform löst bis auf den heutigen Tag große Verbitterung zwischen der arabischen Minderheit, die ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung Israels ausmacht, daher eine Viertelmillion Einwohner zählt, aus. Die Militärverwaltung beruht auf den Ausnahmegesetzen der britischen Mandatsverwaltung vom lahre 1945, die zu jener Zeit erlassen wurden, um auch auf konstitutionellem Weg den Terror der Untergrundbewegungen zu bekämpfen. Laut diesen Gesetzen werden fast alle Zivilfunktionen der Regierung durch das Militär ausgeübt. Bewohner dieser Gebiete, die unerlaubt ihr Wohngebiet verlassen, werden vor ein Militärgericht gestellt. Sie dürfen sich nicht frei außerhalb ihrer Wohngebiete bewegen, sondern müssen besondere Reiseerlaubnisse von der Militärverwaltung einholen. Die Militärverwaltung kann „unangenehme“ Versammlungen verbieten, ohne sich vor einem Zivilgericht rechtfertigen zu müssen. Sie ist befugt, Bewohner des Militärverwaltungsgebiets auf administrativem Weg monatelang festzuhalten, ohne dem Gericht Rechenschaft dafür abzulegen. Sie kann den Ausnahme-sustand in ihren Verwaltungsgebieten verhängen, wenn sie es aus Sicherheits-grinsden für nötig befindet. Viele andere' Dekrete sind noch in der Hand der Militärverwaltung, ohne daß sich das demokratische Regierungssystem, wie es in Israels Parlament zum Ausdruck kommt, dagegen wehren kann.

Hat die Regierung Nebengedanken?

Die Oppositionsparteien beschuldigten Ministerpräsident David Ben Gurion und seine Partei, „Mapei“, daß diese Verwaltung nicht aus Sicherheitsgründen, sondern nur aus innerpoli-:ischen Gründen aufrechterhalten wird, damit die Mapei durch Druck dieser Verwaltung bei den Parlamentswahlen die Majorität erhält. Da das innerpolitische Kräfteverhältnis in Israel ein sehr vages ist, sind die Stimmen der arabischen Minorität bei allen Parlamentswahlen ausschlaggebend, und der Verlust der arabischen Stimmen für die Mapei könnte die Majorität dieser Regierungspartei, die nur zirka ein Drittel der Wählerstimmen umfaßt, erheblich beeinträchtigen. Die Opposition vereinigte sich bei dieser Abstimmung von der extremen

Rechten (Cheruth) bis zu extremen Linken (Kommunisten). Sie konnte auch eine kleine Regierungspartei (Achduth Awoda) mit sich reißen. Die vier Oppositionsparteien (Kommunisten, Mapam, Liberale, Cheruth) sowie die Koalitionspartei (Achduth Awoda) behaupteten, daß die Militärverwaltung Israels Demokratie unterminiert, den arabischen Nationalstolz mit Füßen tritt und aus Sicherheitsgründen vollständig unberechtigt sei.

Es gebe genug andere Mittel, wie Polizei, Sicherheitsdienst und Militär, um eine fünfte Kolonne zwischen der arabischen Minderheit im Keime zu ersticken.

Martin Buber gegen Ben Gurion

Professor Martin Buber verlieh den Oppositionsstimmen besonderen Nachdruck. Er erklärte, daß die arabisches Minderheit, die. sich .als gleichwertige Bürger im israelischen Staat fühlt und diesen Staat als den ihrigen anerkennt, eine Brücke zum Frieden mit den arabischen Staaten schlagen kann. Doch ein unterdrückter arabischer Nationalstolz kann nur das Gegenteil erreichen.

Gerade diese Worte Professor Bubers brachten Ministerpräsident Ben Gurion besonders auf. Während der stürmischen Parlamentsdiskussion, die der Abstimmung voranging und ununterbrochen mit Zwischenrufen eestört wurde, erklärte Ben Gurion: „Ich verstehe mindestens so viel von den Sicherheitsangelegenheiten Israels wie Professor Buber und andere Professoren.“ Nach Ansicht Ben Gurions kann der Frieden mit den arabischen Staaten nur erlangt werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt werden:

• Entspannung der Beziehungen des Ost- und Westblocks.

• Innere Festigung Israels.

• Erstarkung der Demokratie in den arabischen Staaten.

Die Militärverwaltung, meinte Ben Gurion, hätte mit diesen Faktoren nichts gemein.

Ben Gurion konnte einen Pyrrhussieg erzwingen. Die arabische Minderheit war zwar bedrückt, doch innerlich gestärkt, denn fast 50 Prozent ihrer jüdischen Mitbürger ergriffen für sie Partei.

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