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Einen Hut für Moskau

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Kurz darauf begab sich Golda, die in der Zwischenzeit einen jungen amerikanischen Studenten namens Meyerson geheiratet hatte, nach Palästina. Zunächst wurde das junge Paar Mitglied des Kibbuz Mer-chawia, das dem linkssozialistischen „Haschomer Ha-Zair“ angehörte. Nachdem sie einem Sohn und einer Tochter des Leben geschenkt hatte, verließ sie den Kibbuz und ging nach Tel Aviv, um sich in der Verwaltung des Amtes für öffentliche Arbeiten, einem Vorläufer der Histadrut-Bau-firma „Solei Bone“, zu betätigen. Dort entwickelte sie ihre organisatorischen Fähigkeiten und wurde einige Jahre später als Arbeiterin-nenführerin in die Exekutive der Histadrut, des Gewerkschaftsverbandes der jüdischen Arbeiter in Palästina, gewählt. Während der letzten Epoche des britischen Mandats über Palästina, als die „Hagana“ (Vorläuferin der israelischen Armee), Widerstand gegen die englische Regierung propagierte, bestand sie ihre „Feuerprobe“. Fast alle damaligen Führer wurden verhaftet oder konnten sich ins Ausland retten. Sie war die einzige, die frei blieb und im Namen der Jewish Agency mit den Engländern in vorbildlicher Weise Verhandlungen führte.

1948, als Frau Meir, die inzwischen auf Anraten Ben Gurions ihren Namen von Meyerson auf „Meir“ hebräisiert hatte, auf Tournee in den Vereinigten Staaten war, wurde sie zurückgerufen, um als erste israelische Gesandte in Moskau zu fungieren. Dies war das erste Mal, daß sich Frau Meir einen Hut kaufte und sich von einer Maßschneiderin ein Kostüm anpassen ließ. Bis dahin trug sie nur Konfektionskleider und verabscheute Schminke und Puder. Ihre Ankunft in Moskau wurde zu einer Sensation. Es war die Zeit, da der damalige Diktator Stalin mit der Massenverfolgung der jüdischen Intelligenz begann und die meisten jüdischen Schriftsteller hinrichten ließ.

Als Ben Gurion vor einigen Jahren die Absetzung des von ihm selbst eingesetzten, inzwischen verstorbenen Ministerpräsidenten Levy Eschkol forderte, war es Frau Meir, damals vom Arbeitsminister zum Außenminister avanciert, die energisch gegen Ben Gurion Front machte. Viele der Mapei-Veteranen waren unschlüssig, was man tun sollte, um die Einheit der Mapei zu retten. Manche waren der Ansicht, daß man Ben Gurion nachgeben sollte, um einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen. Der aussichtsreichste Kandidat war Frau Meir selbst. Aber gerade sie war es, die diesen Plan vereitelte und im Namen der Gerechtigkeit gegen Ben Gurion Stellung nahm. Ihre Rede auf der damaligen Parteizentrale war erschütternd und tragisch zugleich. Sie lobte Ben Gurion und klagte ihn heftig an. Sie erzählte von allen Versäumnissen und auch von ihrem persönlichen Verhältnis zu ihm, denn sie stand ihm unter den prominenten Parteiführern am nächsten. Sogar über Ben Gurions Machtallüren berichtete sie. Die Rede war so eindrucksvoll, daß die meisten der Mapei-Veteranen nun gegen Ben Gurion stimmten.

Viele lieben es auch heute noch, mit Frau Meir über sozialistische Probleme zu debattieren. Denn trotz aller Enttäuschungen ist sie immer noch eine eingefleischte Sozialdemokratin. Die Diskussionen werden oft in der kleinen Wohnküche abgehalten. Man trinkt viele Gläser Tee, und wenn man müde ist, wird Kaffee gekocht, damit die Gespräche bis in die frühen Morgenstunden weitergehen können. Als Frau Golda Meir gefragt wurde, was ihre „Hobbys“ seien, nannte sie zwei: „Meine Enkelkinder und — Arbeit, Arbeit, Arbeit...“

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