6773208-1969_11_08.jpg
Digital In Arbeit

Israels starker Mann: eine Frau

Werbung
Werbung
Werbung

Frau Golda Meir weigerte sich lange, doch wäre sie ihrer ganzen politischen Karriere untreu geworden, wenn sie nach mehr als 50jähriger Parteitätigkeit und nach zirka einjähriger Resignation nicht doch wieder ihr Jawort gegeben hätte, um das wichtigste Amt im Staate Israel anzunehmen. Sie steht — mindestens bis zu den Novemberwahlen — als Ministerpräsident und Nachfolger des verstorbenen Levi Eschkol an der Spitze von Israels Regierung. Sie war immer dafür, daß Funktionäre mdt 70 Jahren ihr Amt niederlegen sollen, doch dann kam eben alles anders. Um einen verfrühten Wahldisput und einen Bruderzwist innerhalb der Arbeiterpartei zwischen General Igal Alon und General Mosche Dayan, zwischen dem Parteiapparat und der neuangegliederten Rafi-Partei zu vermeiden, beschloß sie, dem Druck ihrer Kollegen nachzugeben.

Die Stimme von Frau Golda Meir klingt beinahe männlich, und am Telephon hört sie sich wie ein tiefer Baß an. Sie ist vollschlank, von untersetzter Figur. Ihr energischer Gesichtsausdruck verrät eine ausgeprägte Persönlichkeit. Kurz nach dem Sechstagekrieg, als viele siegestrunken über die israelischen Erfolge sprachen und kaum der großen Verluste von Freund und Feind gedachten, bemerkte Frau Golda Meir, die am 3. Mai 71 Jahre alt wird, auf einer internen Parteisitzung der Mapei: „Dies erinnert mich an die alte talmudische Sage, als die Kinder Israels nach der Uberquerung des Toten Meeres zusahen, wie die Fluten über das Heer des Pharao zusammenschlugen, und freudetrunken Im* Gesang ausbrachen. Plötzlich klang die Stimme Gottes aus dem Himmel: ,Das Werk meiner Hände ertrinkt im Meer und ihr freut euch in Gesang?'“ Totenstille herrschte im Saale, als sich die Sprecherin die Tränen von den Wangen wischte.

Vor ihrer Ernennung zum Generalsekretär der neugegründeten israelischen Arbeiterpartei war Frau Golda Meir Generalsekretärin der Mapei. In dieser Zeit prägte sie das Sprichwort: „Auch ein Fisch kann in eine verzwickte Lage geraten, wenn er seinen Mund nicht halten kann.“ Das sagte die engagierte und ausgezeichnete Rednerin. Obwohl sie schon fast 50 Jahre im Land ist, hat sie auch heute noch einen leichten amerikanischen Akzent, wenn sie hebräisch spricht. Man behauptet, sie ssi sogar fähig, ganze Seiten aus dem Telephonbuch vorzulesen und dabei ihre Zuhörer zu hypnotisieren. Golda Meir ist aber auch eine große Schauspielerin, die mit echtem russischem Pathos spricht und manchesmal dramatisch die Hand aufs Herz drückt. Golda wurde als jüngste von drei Töchtern eines Tischlers namens Mobovitz in Kiew geboren. Nach vorübergehendem Aufenthalt in Pinsk wanderte die Familie im Jahre 1906 nach Amerika aus. In Milwaukee (Wisconsin) ließ sich der Vater als selbständiger Tischler nieder. Obwohl die wirtschaftliche Lage der Familie nicht sehr gut war, konnte die junge Golda das Lehrerinnenseminar besuchen. Damals lernte sie David Ben Gurion und den inzwischen verstorbenen Jizchak Ben Zwi, den zweiten Präsidenten des Staates Israel, kennen. Unter Einfluß dieser beiden fand sie den Weg zum Sozialismus und bald darauf auch zum Zionismus. Ihre erste Rede hielt die junge Golda auf der Straße von Milwaukee, auf einer Apfelkiste stehend. Ihr Vater hatte ihr schon früher verboten, sich politisch zu betätigen. Er fürchtete um seine eigene und die Existenz seiner Tochter als Lehrerin. Nachdem sie eine Menge von Straßenpassanten zu begeistern vermocht hatte, traute sich die damals 23jährige hübsche Golda, die einen langen schwarzen Zopf trug, nicht nach Hause. In später Nacht suchte sie der Vater auf der Straße. Er sagte ihr nur ganz verbittert: „Von mir hast du das Redetalent nicht geerbt.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung