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DAVID BEN-GURION / LÖWE AUS JUDA

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Der Alte“ oder „Hasakett“, wie er in Israel einfach heißt (die Intellektuellen nennen ihn noch immer, wie in der Mandastezeit, „B. G“, also Bidschi), hatte seinen Fuß noch nicht auf US-Boden gesetzt, da war ihm schon der Protest vorangeeilt. Zehn arabische Staaten gaben in einem mit bekannten diplomatischen Floskeln reich garnierten Kommuniaui ihrer „tiefen Sorge“ Ausdruck, daß der private Besuch Ben-Gurions sich „politisch ausweiten“ könnte. Der amerikanische Ehrendoktorhut, den er empfängt, ist wohl kaum der alleinige Anlaß der Reise, besonders so kurz nach den, letzten Schießereien an der syrischen Grenze.

In den Gesprächen mit Eisenhower und Herter kam sicherlich die Suezkanalblockade zur Sprache. Ob er jetzt, gerade im Wahljahr, eine seinerzeit erhoffte US-Grenzgarantie für seinen von den arabischen Nachbarn offen bedrohten Staat erhalten wird, ist höchst zweifelhaft. An Freundschaftsbezeugungen wird es gewiß nicht fehlen. Israel genießt in den USA bei den dortigen Juden (die doppelt so zahlreich sind wie im Heiligen Land) ebensoviel Sympathie wi: bei den Christen.

Der von Statur etwas klein und vierschrötig Wirkende ist eine auffallende Erscheinung: charakteristisch wirkt sein schlohweißes, aufrecht gebürstetes Haar, das seinen kahlen Schädel wie einen Kranz umsäumt. Der 74jährige israelische Ministerpräsident ist eine erstaunliche Mischung von Realpolitiker, Staatsmann und Visionär. Er war es, der das junge Staatswesen mitgeschaffen hat. Der junge Zionist David Grün aus Plonsk hatte seit frühester Jugend felsenfest daran geglaubt. Wie lautet doch sein berühmter Satz über Israels Zukunft, den er einmal im Gespräch mit einem sogenannten „Realisten“ prägte: „In unserem Land muß man an Wunder glauben, wenn man Realist sein will.“

Die Stärke dieses Mannes, der seit mehr als zwei Jahrtausenden wieder ein unabhängiges jüdisches Staatswesen regieren darf, hat ihre Quellen im Geistigen und Religiösen.Seine Partei, die „Mapai“, ist Israels Sozialdemokratie. Aber er ist mehr als einer der größten Arbeiterführer. Ben-Gurions hauptsächlich autodidaktisch erworbene Bildung ist verblüffend. Wahrscheinlich ist er unter den heutigen Staatsmännern der einzig: Polyhistor. Er spricht und liest neun Sprachen, darunter Englisch, Deutsch, Russisch, Arabisch und Türkisch. Die griechische Philosophie ist ihm zur Leidenschaft geworden.

In seinem Haus in Tiberias am See Genesa-reth steht die größte griechische Bibliothek des Landes. Im Selbstunterricht erschloß er sich die Zugänge zu der antiken Geisteswelt.Als er während der „Battie of England“ in London im Luftschutzbunker saß, las et Plato. Heute noch zieht er sich oft, darin Nehru ähnlich, zur Medidation in seinen Kib-butz in der Negev-Wüste zurück. Er kennt Kant und Hegel, aber auch die englischen utillaristischen Philosophen, den Koran und die Bibel, denn er glaubt insgeheim für die Zukunft an das friedliche Zusammenleben der heute feindlich gesinnten Brüder aus dem Stamme Sem. Freilich, solange die von Israeli 1948 und 1956 besiegten Nachbarn immer noch von Rache und Auslöschung des neuen alten Staates träumen, gehört es zu den Aufgaben der Rechtsgemeinschaft der Nationen, die Realisierung solcher Träume zu verhindern.

David Ben-Gurions Frau, eine ehemalige Medizinstudentin, die ihn auf eine rührende Art umsorgt, hatte er 1917 in den USA geheiratet. Der Ehe entsprossen drei Kinder: die älteste Tochter Geulah, die heute in New York lebt, eine jüngere, bereits in Palästina geborene Tochter Renaana, die mit einem jungen Wissenschaftler verlobt war, der im Kriege von 1948 fiel. Arnos, der einzige Sohn, diente als britischer Offizier im zweiten Weltkrieg. Er hatte in England eine Christin geheiratet, die ihn als Krankenschwester während seiner Verwundung in Liverpool betreut hatte. Obwohl die junge Engländerin vor der Ehe und der Übersiedlung nach Israel zum mosaischen Glauben übergetreten war, erregte die Heirat bei vielen Politikern in Israel größtes Mißfallen. Ben Gurion stand damals fest zu seinem Sohn und damit auch zum Gedanken der Toleranz — so daß am Ende niemand eine offene Herausforderung wagte. e. f.

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