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Der abtrünnige Messias

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Die Juden bilden eine ganz eigenartige Bevölkerungsgruppe der Türkei. /Selbstbewußt und ihres Volkstums bewußt, verbergen sie im allgemeinen ihre Abstammung keineswegs. Zwar zählt die türkische Regierung sie nicht als Staatsbürger erster Güte, aber dieses Schicksal teilen sie mit den ansässigen christlichen Griechen und den Armeniern, so daß es nicht mehr weiter auffällt. Türke ist — trotz eines gegenteiligen Ausspruches Atatürks, der den Islam als Staatsreligion abgeschafft hatte und auch Angehörige anderer Bekenntnisse als echte Türken zählte — letztlich nur jemand, der einen islamischen Vornamen trägt und sich dem Mohammedanismus zugehörig fühlt. Ein Mehmet, ein Ahmet und Ali, niemals aber ein Salomon.

Die Juden sprechen außer Türkisch oder Französisch als Erinnerung an ihre spanische Heimat (denn es sind sephardische Juden), aus der sie vertrieben wurden, noch ihr altes Kasti- lianisch des 16. Jahrhunderts und haben auch eine eigene Zeitung in dieser Sprache.

Nur in zwei Fällen werden sie zurückhaltend sein und ihren Glauben oder ihre Herkunft zu vertuschen suchen. Einmal, wenn ein Jude — was nur selten, aber immerhin doch vorkommt — zum Islam übertreten will. Dann will er auf die Frage des Mufti nach seiner früheren Religion auf keinen Fall mit „mosaisch“ anworten, sondern wählt den Umweg über den Protestantismus, da im allgemeinen niemand auf den Gedanken kommt, sich auch nach der „vorvorigen Religion" zu erkundigen und man Juden nicht gerne in den Islam aufnimmt.

Auf das Weshalb gibt vielleicht jener zweite Fall Auskunft, in welchem ein Jude von seiner Abstammung schweigt. Ist es verwunderlich, wenn die Ursachen hierzu — und wie wäre es in dieser historischen Stadt anders möglich? — etwa drei Jahrhunderte zurückliegen? Vielleicht erinnert man sich jüdischerseits nicht gerne daran und gibt als religiöses Bekenntnis auch dort den Islam an, wo eigentlich mosaisch stehen sollte

Man tut; gut -dar , nicht weitefr z /fragen,- wenn märt einen’Mann mit ausgespnochen jüdischem Aussehen, aber einem islamischen Vornamen findet. Denn jene immer kleiner werdende Gruppe von Juden, die in der Türkei unter der Bezeichnung „Dönme“ (die — zum Islam — Zurückgekehrten) bekannt sind, tut alles, um nicht aufzufallen, und trachtet auch seit neuerer Zeit darnach, wenigstens zum Teil in ihrer mohammedanischen Umgebung spurlos aufzugehen. Aber in keinem Fall wird man gerne an die Tatsache erinnert, daß man „Dönme" ist.

Die Geschichte dieser seltsamen Gruppe liest sich wie eine tragische Groteske menschlicher Erlösersehnsucht, wie eine satanische Posse über das Heiligste.

Wer wohl gerade zu dieser weihnachtlichen Zeit in Istanbul daran denkt, daß vor genau 300 Jahren ein schmächtiger jüdischer Schriftgelehrter in eben dieser Stadt am Bosporus mit Rabbinern spricht und sie darüber aufzuklären sucht, daß Gott die Welt nicht aus Notwendigkeit, sondejn nur aus Liebe geschaffen habe? Aber in ihren Herzen wohne die Liebe nicht, darum würden sie die Strafe Gottes noch er-, fahren.

Es waren mehr als bloße Zänkereien vor der Synagoge, es waren Eruptionen eines vulkanischen Geistes, der die damalige Welt erschüttern sollte. Freilich ahnte damals wohl nur ein kleiner Kreis von Wissenden darum, der sich daran erinnerte, daß schon vor Jahren in Smyrna ein Ereignis von größter Tragweite unbeachtet stattgefunden hatte. Man schrieb 1648, jenes Jahr, das nach einer Prophezeiung aus dem Sohar, dem großen Hauptwerk der Kabbala, die Auferstehung aller Bewohner der Unterwelt sehen würde. Da hatte der Sohn eines Smyrnaer Händlers beim Gebet in der Synagoge seiner Vaterstadt jenen erhöhten Platz betreten, von dem aus der Heiligen Schrift vorgelesen wird. Er schrie ein Wort in die betende Gemeinde,

das diese verstummen ließ. Was hatte diesei junge Schriftgelehrte, der mit seinen kaurr 22 Jahren die Thora und den Talmud kannt( wie kein zweiter, eben gerufen? Grabesstilh verbreitete sich mit einem Male. Er hatte der Namen Gottes ausgesprochen, den Sehen ha’mforasch, den einzig und allein der Hohepriester im Tempel zu Jerusalem aussprecher durfte...

Es war kein Irrtum gewesen: Sabatay Zevi (nach hebräischer Schreibweise Sabbatai Zewp erhob Anspruch, der Messias genannt zu werden! Der Bannfluch der Rabbiner von Smyrna verwandelte seihe betende Einsamkeit in Aktivität. Sabatay war nunmehr, was vorher nie geschehen wäre, bereit, den Kampf aufzunehmen, In den meisten Städten, die er besucht, Athen, Saloniki und Istanbul, erhielt er von der Rabbinern den Auftrag, wieder weiterzuziehen Aber das gläubige jüdische Volk beginnt aufmerksam auf ihn zu werden. Denn nach seine: Abreise aus Istanbul, kurz nachdem er die Strafe Gottes angedroht hatte, brach ein gewaltigei Brand aus. War er vielleicht doch jener Mann, auf den die Welt hoffte, war er der Messias-

Nahezu ein Jahrzehnt schon reiste er überall umher, die Kunde von ihm und seinem Wirker drang über die Grenzen des Landes hinaus, ir das England Cromwells und das Polen der per manenten Judenverfolgungen unter Chmelnicki und dem Zaren Alexej Michailowitsch. Er war auch außerhalb der Türkei kein Unbekannter mehr. In einer Welt, da Descartes und Spinoza versuchten, den Menschen eine Art von größerer Freiheit und Selbsterkenntnis zu vermitteln, verwies er sie auf die Schrift und ihre eigene ungestillte Erlösungssehnsucht. Zweimal war er schon verheiratet gewesen — jedesmal unbeteiligt und keineswegs aus Leidenschaft — bis er Sarah fand, die sich als Kurtisane von ihrer Heimat Polen quer durch Europa fortgebracht hatte und aller Welt verkündete, daß sie die Braut des Messias sei. Von Mantua und Frankfurt, Amsterdam und Livorno liegen Berichte vor, die ihren Anspruch als Messiasbraut wie auch ihren Lebenswandel darstellen. Da sie die „Braut des Messias" ist, nimmt Sabatay sie zur Frau.

In Aegypten war er schon als Messias begrüßt worden, hatte Jahre in Jerusalem zugebracht, wußte, daß die Türken und Heiden freiwillig kommen und dem neuen Messias ihr Reich abtreten würden.

Aber auch die Gegner1 Sabatays waren nicht müßig: als sein kleines Schiff mit der Flagge der zwölf Stämme Israels in die Dardanellen einläuft, begeben sie sich zu dem Großwesir Ahmed Köprülü und warnen ihn, um nicht später als Mitschuldige eines Aufstandes gegen den Großherrn ihr Leben zu verlieren.

Damit war das Todesurteil über Sabatay gesprochen. Aber es wurde nicht vollzogen, da Sabatay sich bloß als Gelehrten ausgab und keinerlei messianische Pläne zu haben schien. Nach kurzer und keineswegs strenger Haft in Istanbul, während derer ihm die Juden zujubelten, verfügte der Großwesir seine Internierung . im Schloß von Abydos in den Dardanellen.

In seiner fürstlichen Haft besuchten den Messias Abordnungen aus Deutschland, Polen, Italien und Holland, aber auch aus dem asiatischen Raum von Afrika. Keine dieser Gruppen verließ den kleinen Ort an den Meerengen,

ohne zutiefst erschüttert zu sein: sie glaubten an den Messias. Das Machtgefühl Sabatays wuchs. Am Tage der Zerstörung des zweiten Tempels, ließ er Sarah, die Königin, holen. Er entbot als „erstgeborener Sohn Gottes, als Messias und Befreier der Juden allen Kindern Israels seinen Gruß ..."

Da beginnt die Katastrophe. Aus dem geknechteten jüdischen Polen, das Ströme von Blut gesehen hat, kam abermals Besuch. Nehe- mia ha’Kohen, ein rechtgläubiger Jude, der das Gesetz und die Verheißungen kannte wie kaum ein zweiter neben ihm, machte sich auf den Weg zu dem neuen Messias: er kam als Abgesandter der Juden Polens, um zu erfahren, ob die frohe Kunde Wirklichkeit oder Täuschung sei. Drei lange Monate hatte der alte Mann die Strapazen der Reise auf sich genommen, um dafür das einzige zu erhalten, was er begehrte: Sicherheit über den Messias.

Sabatay empfing ihn mit den höchsten Ehren, aber Nehemia blieb unbeeindruckt davon: ihn interessierte nur eines. Drei Tage und Nächte forschte und suchte Nehemia. Der Messias mußte ein leiderfüllter Mensch sein. Wie stand es da mit Sabatay? War er aus dem Stamme Benjamin? Was sagten Talmud, Midrasch und Sohar über ihn?

Am dritten Tagfe stand Nehemia ha’Kohen hoch auf und sprach das Urteil: „Du bist ein falscher Messias. Du hast das Volk belogen und es auf Irrwege geleitet. Deine göttliche Berufung ist falsch. Nach unserem Gesetz gibt es für dich nur eine Strafe: den Tod!" Von wessen Tod hatte Nehemia gesprochen? Mit einem Male wurde ihm klar, daß nicht Sabatay sterben würde, sondern er selbst, umgebracht von den fanatischen Anhängern des falschen Messias. Er wandte sich zur Flucht. Er lief durch die Gänge und Stiegen der Festung. Er lief um sein Leben. Dicht hinter ihm folgten die Rächer des falschen Messias. Da war er am Tor und stürzte auf den nächsten türkischen Wachsoldat,en zu, riß ihm den Turban vom Haupte, setzte sich ihn selbst auf: er war in Sicherheit — er war zum Islam übergetreten. Er, der hatte erkunden wollen, ob Sabatay der Messias war...

Su-Itan Mehmed IV. residierte zu dieser Zeit in Adrianopel. Er hatte Sorgen, wie sie ein Monarch nur selten empfinden mag. Nicht die Gewalt schreckte ihn, sondern der Glaube, der allerorts aufloderte: in Ispahan, Lemberg;Teheran, Aleppo, Warschau, Hamburg, Amsterdam; ' Frankfurt, Venedig,- Kairo, Jerusalem,' -Smyrna und Istanbul... Auch der Sultan wüßte, daß eines Tages der Messias kommen würde. Aber daß dieser Messias ein Jude war, störte ihn. Er hatte mit Nehemia gesprochen und wußte über alles Bescheid. Darum ließ er Sabatay nach Adrianopel bringen.

Der Mufti fand den geeigneten Plan: man durfte versuchen, Sabatay untreu zu machen, mit anderen Worten: versuchen, ihn zum Islam zu bekehren. Der Renegat Guidon sollte das vollbringen, was einem geborenen Vertreter des Islams wohl -unmöglich war : versuchen, ihn zum Abfall zu bringen.

Inzwischen sann Sabatay in Adrianopel über ein scheinbar unwichtiges, aber gleichwohl schwerwiegendes Problem nach: sollte er den Sultan empfangen oder der Sultan ihn — der Messias den Großherrn oder der Großherr den Messias?

Da kam Guidon und 'sprach mit ihm. Er erzählte von dem Plan des Sultans, den Messias in den Gärten nackt an einen Galgen zu hängen und durch Bogenschützen vergiftete Pfeile auf ihn schießen zu lassen. Falls er sich dieser Probe unterziehe, dann wollte der Sultan selbst Jude werden und den Messias anerkennen ...

Es war das Ende. Aber es durfte nicht das Ende sein, der Messias konnte nicht so untergeben. Am Galgen hängend oder, wie Guidon lauernd ebenfalls vorschlug, als lebende Fackel. In Sabatays Zögern hakte Guidon ein: er könne ja auch, um diesen unangenehmen Zeremonien zu entgehen, nur pro forma selbstredend, zum Islam übertreten ...

Der Messias nahm diesen Vorschlag an. Er würde damit seiner Sendung keineswegs untreu, erklärte er seinen Freunden, im Gegenteil: wenn der Messias die Welt von ihren Sünden erlösen wolle, müsse er auch die Sünden jedes Glaubens auf sich nehmen und darum in jede Form des Glaubens eintauchen.

Als Mehmet Efendi verließ Sabatay den Palast des Sultans, seine Frau, die Braut des Messias, die ehedem Sarah hieß, hörte nun auf den Namen Fatma ...

Ein Teil der Gläubigen folgte ihm und nahm ebenfalls den Islam an, man nannte sie Dönme. Sie haben die Jahrhunderte überdauert bis in unsere Tage.

Aber man darf mit ihnen nicht darüber sprechen.

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