Anläßlich der Wiener Messe ersuchte einer der vielen Besucher des türkischen Pavillons um Auskunft. Er wurde von einem europäisch gekleideten Herrn an türkischen Teppichen und künstlerischen Photographien vorbei in einen kleinen Nebenraum gebeten. „Ja, bitte?"Er wolle einige Informationen hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Lage, sagte der Besucher. Und er bekam sie auch; „Wir besitzen eine moderne Demokratie, in welcher jeder das Recht hat, seiner Meinung Ausdruck zu geben. Seit Atatürk" — ein Blick an die Wand, wo ein Bild des großen Reformators hing, ergänzte
Vor kurzer Zeit rief einer der bedeutendsten Theologen" der gesamten mohammedäiiiscKeh- Welt von seinem Lehrstuhl'in’ der islamischen Al-Azhar-Universität in Kairo alle Gläubigen zum „Heiligen Krieg“ gegen den Kommunismus auf. Die realen Folgen dieses Aufrufes sind noch nicht abzusehen, doch darf man ihn nicht bagatellisieren; denn er erfolgte zu einer Zeit, die alle Mohammedaner hart bis an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit beansprucht und sie empfänglich macht für Parolen, wie etwa der „Dschihad“ (der „Heilige Krieg") eine darstellt. Wenn
Im Taxi waren noch zwei Plätze frei. Der Chauffeur rief sein Fahrziel noch einige Male, um den Wagen zu füllen und endlich starten zu können. Endlich klappte der Schlag auf, zwei Männer schoben sich herein. Einer von ihnen trug Uniform. Man sah kaum etwas Auffälliges an den beiden Männern, doch hatten es alle sofort bemerkt, ohne aber weiter davon Notiz zu nehmen. Es war eben so, was wollte man da noch sagen? Der eine gewinnt in der Lotterie, der andere bricht sich vielleicht ein Bein — und der dritte trägt eben Handfesseln, weil er das Unglück hat, im Gefängnis zu sein. Gut noch,
Die Juden bilden eine ganz eigenartige Bevölkerungsgruppe der Türkei. /Selbstbewußt und ihres Volkstums bewußt, verbergen sie im allgemeinen ihre Abstammung keineswegs. Zwar zählt die türkische Regierung sie nicht als Staatsbürger erster Güte, aber dieses Schicksal teilen sie mit den ansässigen christlichen Griechen und den Armeniern, so daß es nicht mehr weiter auffällt. Türke ist — trotz eines gegenteiligen Ausspruches Atatürks, der den Islam als Staatsreligion abgeschafft hatte und auch Angehörige anderer Bekenntnisse als echte Türken zählte — letztlich nur jemand, der
An diesem 10. November 1958, Schlag 9.10 osteuropäischer Zeit, stehen wie alljährlich alle Räder im ganzen türkischen Reich still. Die Männer auf den Straßen verhalten ihren Schritt, die öffentlichen Verkehrsmittel bleiben stehen, und vom Istanbuler Hafen her hallen dumpf die Sirenen der großen Ueberseeschiffe, in deren heiseren Baß sich der helle Sopran der Lokaldampfer und Lastschiffe zu einem vielstimmigen Trauerhymnus mischt.Von allen öffentlichen Gebäuden wehen die Fahnen auf Halbmast, ein breiter Trauerrand umfaßt die Titelseiten der großformatigen Zeitungen und dunkler Flor
„ABER KEINE SPUR, DAS MACHT NICHTS“, zerstreute der türkische Major unsere Bedenken, als wir auf der Fahrt von Adana nach Kayseri mit unserem Wagen plötzlich erschrocken stehenblieben und auf die Tafeln zu beiden Seiten der Straße blickten, die „Askeri mintika“ („Militärische Zone“) als Aufschrift trugen.„Himmeldonnerwetter“, hatte unser Fahrer geflucht und war blaß geworden, „da habe ich ja was Schönes angerichtet!“ Man konnte seine Bedenken und Befürchtungen verstehen: jeder, der die Türkei auch nur einigermaßen kannte, wußte, daß das Betreten militärischen
Es gibt Steine verschiedenster Art — wertlose und kostbare, solche, die ihren Trägern angeblich Tränen oder Unglück bringen. Im Leben des Bauern aber spielt nur ein einziger eine Rolle. Und vielleicht hat er mehr Haß und Betrug, Leidenschaft und Leid gesehen als jene glänzenden Flimmerstücke, die in den Versiche-rungspolizzen und Schatzverzeichnissen detailliert angeführt sind. Der Grenzstein spielt nicht nur in den Kalendergeschichten einer vergangenen Epoche oder in spukhaften Märchen eine Rolle: er stellt die Grundlage des Lebens selber dar, er ist dem Bauern wie dem Staatsmann
Während die Augen der Welt mit gewisser Besorgnis auf die wirtschaftliche Katastrophenlage der Türkei gerichtet sind, deren Auslandsschulden längst die Milliardengrenze mehrfach überschritten haben, zeichnen sich seit vier bis fünf Jahren eigenartige Tendenzen in der religiösen Entwicklung ab, die im allgemeinen unbeachtet blieben.Denn die wirtschaftlichen Veränderungen sind augenfälliger. Längst wissen alle Bewohner der Türkei, daß der Index der Lebenshaltungskosten zwar um mehr als 400 Prozent — im Verlauf eines Jahrzehnts — gestiegen sind, selbst Dinge wie Käse, Aspirin,
Istanbul, Anfang August 1957Anno Domini 1774 wurde dem Bauern Bernhard Emmerich zu Flamske bei Koesfeld in Westfalen als fünftes Kind eine Tochter geboren, der man bei der Taufe den Namen Anna Katharina gab.Heute ist dieser Name wohl jedem der zahlreichen Pilger bekannt, die den Tag der Himmelfahrt Mariä gleichsam an Ort und Stelle mitfeiern wollen und deshalb den beschwerlichen und heißen Weg nach Ephesus angetreten haben. Denn bald schon erlebte das unscheinbare und auch nicht sonderlich gebildete Mädchen aus Westfalen Bilder, Visionen, die ihr ganzes Leben erfüllen sollten. Darin sah
Mädchenhandel und Harem sind Ojseretten- requisiten geworden (großäugige Schöne singen zu Füßen einer Dattelpalme Koloraturen und der betrogene Pascha dröhnt im tiefsten Baß, wenn er im dritten Akt einsehen muß, daß die Entführung geglückt ist), beides klingt unerhört romantisch. Es gibt ja doch stets ein klangvolles Finale mit Happy-End. Wenn man allerdings die blonde Jane B., 21 Jahre alt, Engländerin, fragen wollte, dann würde man ein anderes Bild bekommen. (Alle Namen sind aus begreiflichen Gründen verändert.) Sie war in London mit einem gutaussehenden Herrn bekannt
In gewisser Beziehung ähneln Jubiläumsbetrachtungen jenen Nachrufen, die man am Grab „teurer Verblichener“ hält: die Wirklichkeit verklärt sich bis zur \erzerrung, und jeder Zuhörer weiß von vornherein, daß alles gleichsam nicht so ernst gemeint ist. So zieht man also von dem Gesagten 50 oder auch 75 Prozent ab und gibt sich mit dem Bewußtsein zufrieden, etwas Erbauliches gehört zu haben.Im österreichischen Kolleg Sankt Georg am Goldenen Horn denkt man über diese Dinge anders. „Nur keine Uebertreibungen“, sagte der Direktor der Anstalt, Superior Ernst R a i d 1, zu einem
Der Großteil unserer Vorstellungen von der Türkei wurde durch Karl May und ,.Die Entführung aus dem Serail” geprägt, um nur zwei der repräsentativsten Vertreter jenes Genres zu nennen, welche das damalige Reich des Großherrn dem mitteleuropäischen Publikum in irgendeiner Form zu schildern wußten. Zugleich mit einem eindrucksvollen Bild übernahm man auch überaus farbenprächtige Impressionen der dort herrschenden Religion, die im allgemeinen mit einer seltsamen Mischung von interessierter Ehrfurcht und wohligem Gruseln betrachtet wird.Daß die Realität weitaus nüchterner ist,
Neulich fiel mir eine türkische Propagandabroschüre in die Hand, die erklärte, daß sich die moderne Türkin hinsichtlich Kleidung und Lebensart auch in jeder westeuropäischen Großstadt sehen lassen könne. Kurze Zeit darnach sah ich auf der Straße, wie sich ein andenkenlüsterner Photograph oder ausländischer Journalist auf eine nicht mehr ganz junge Frau stürzte, die dicht vermummt war und ihr Gesicht verbarg. Fast fühlte man sich versucht, nach alter Schablone zu erklären, daß die Wahrheit in der Mitte liegen müsse — aber Schablonen passen oft schlecht, und hier ganz
„WOLLEN SIE DIE LEINTÜCHER nicht wechseln?“„Die sind rein!“ stellte der hotelbesitzende Schnauzbart kategorisch fest.„Zweifellos, aber jemand scheint schon in dem Bett geschlafen zu haben!“ scheint man noch hinzufügen zu müssen.„Na und?“Dann, nach einer Pause: „Wenn's dem Bezirksobmann, der vor Ihnen da geschlafen hat, recht war, wird's wohl auch für Sie passen!“DAS WAR ZWEIFELLOS LOGISCH und ich sah mich angesichts der Tatsache, daß die anderen Hotels des kleinen Oertchens um kein Haar besser aussahen, wohl oder übel genötigt, in den saueren bzw. schmutzigen Apfel
Immer wieder begegnet man in türkischen, aber auch in mitteleuropäischen Publikationen dem fast zum Schlagwort gewordenen Terminus von der Türkei als „Brücke zwischen Orient und Okzident“. Ist dieser Ausdruck wegen seiner Vieldeutigkeit und Unklarheit zu einer Untersuchung weniger geeignet, so trifft dies auf eine andere, ähnliche Formulierung nicht zu, die einen schärfer akzentuierten Gedanken ausdrückt und Programm wie Realität aufzuzeigen scheint.„Die Türkei auf dem Weg nach Europa“ m in dieser Formulierung durch Friedrich von Rummel in seinem gleichnamigen Buch (München,