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Fremdenlegionäre und Paras

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Die in derselben Nacht begonnene Aufstellung einer „Miliz“ genannten Bürgerwehr wurde schon sehr bald von de Gaulle wieder abgeblasen, dem bewaffnete Zivilisten schon bei der „Liberation“ ein Greuel waren. Der „symbolische“, von allen Gewerkschaften mit Billigung der Staatsgewalt am Montag veranstaltete Streik von einer Stunde sollte nicht überschätzt werden, auch wenn wirklich zehn Millionen Arbeiter. Angestellte und Beamte an ihm teilgenommen haben. Im wesentlichen bestand er einfach darin, daß- er begann bezeichnenderweise um 17 Uhr — Millionen von Franzosen eine Stunde früher nach Hause gingen. Irgendeine revolutionäre Erregung "war nicht zu spüren. Von den verstärkten Ordnungskräften abgesehen, zeigte Frankreich, die Hauptstadt wie die Provinz, vorerst das gleiche erstaunliche Bild eines Landes, in dem man — von den von Staats wegen Mobilisierten abgesehen — seinen gewohnten Betätigungen ohne irgendwelche äußerlich spürbare Aufregung nachgeht.

Das Gefährliche für de Gaulle bestand aber darin, daß ihm in der Putschführung Generäle und Obersten gegenüberstanden, die zweifellos zur Elite des französischen Offizierskorps gehörten und sich grundsätzlich von dem traditionellen Typus des französischen Generals unterschieden. Es sind fast ausnahmslos kaltblütige und intelligente Männer, die insbesondere im Kampf gegen Mao Tse-tung und Giap in Indochina gelernt haben, daß zur Kriegführung neben dem reinen Waf- fenhandwerk gleichrangig die Beherrschung der technischen Apparatur und die Ausübung der vielberedeten „psychologischen Aktion“ gehören.

Die Truppen, die sich ihnen angeschlossen hatten, die Paras und die Fremdenlegionäre, galten zumindest in ihrer Kampfentschlossenheit unbestritten ab eine Elite der französischen Armee. Von der zur Verzweiflung gedrängten europäischen Bevölkerung Algeriens erhoffte dieser „Stoßkeil“ des Putsches Unterstützung; die mo-hammedanische Bevölkerung würde sich so wie immer verhalten, wenn die gefürchteten roten und grünen Barette der Paras in den Vordergrund rücken, zunächst vorsichtig-abwartend.

Das größte Element der Unsicherheit stellten für die Putschisten in ihrem Machtkreis vorerst wohl die Hunderttausende von jungen Soldaten „auf Zeit“ (das sogenannte „Kontingent") dar, die für gewöhnlich in ihrer Mentalität ein Abgrund von jenen wilden Berufskriegern trennt. Sie ließen sich nun aber nicht anstecken. Und das hat den Ausschlag gegeben. Wenn ein jähes Feuer wie dieses nicht unablässig weiteren Brennstoff findet, erlischt es.

Paris war hilflos gegenüber dem Putsch, solange er sich in stetigem Tempo auszubreiten schien. Von dem Augenblick an, da die Putschisten auf der Stelle treten mußten, begannen sich die Gewichte für Paris zu verschieben. Ist de Gaulles Anspruch, die Nation in ihrer Totalität zu verkörpern, auch ernstlich beschädigt, so verkörpert er doch immer noch Legitimität und Legalität zugleich. Das hat überall den Staatsapparat dank dessen natürlicher Schwerkraft auf seine Seite gebracht. Jene Kräfte, insbesondere im Heer und in den Polizeidiensten, die sich vorsichtig abwartend verhalten hatten, schwenkten ein, als sichtbar wurde, daß der Putsch seinen anfänglichen Schwung verloren hatte. Es war für die Republik ein Glücksfall, daß die Junta nicht aus Männern bestand, die sich zuletzt noch zu einem Verzweiflungsschritt hinreißen ließen — etwa im Inneren einen blutigen Bürgerkrieg zu entfesseln, oder zu versuchen, die Nation durch einen Einmarsch in Tunesien oder Marokko zur Solidarität zu zwingen.

Innenpolitische Nachlese

Obwohl der Putsch nun zusammengebrochen ist, läßt sich rückblickend doch wohl sagen: Es fiel schwer ins gangenen drei Jahren im Vertrauen auf sein« Schiedsrichterstellung, unterlassen- hat, sich eine Leibgarde aufzubauen. (Sein persönliches Leibwächterkorps soll nur eine zweistellige Zahl ausmachen.) Die paradoxe Lage des gaullistischen Regimes bestand einen Augenblick darin, daß zur Verteidigung gegen die Putschisten außerhalb der normalen Ordnungskräfte des Staates im Grunde keine Kraft wirkungsvoller zum Einsatz schien, als jene halb unterirdischen Sektionen der Kommunistischen Partei, die eigens zu Bürgerkriegszwecken aufgestellt wurden.

Isolierte Kommunisten

Die Kommunistische Partei — das ist überhaupt eines der wichtigsten Probleme bei diesem Putsch. Die französische KP witterte, wie an zahlreichen Symptomen abzulesen war, Morgenluft. In dem Putsch sah sie offensichtlich die so lange schon ersehnte Gelegenheit, wieder aus dem Ghetto auszubrechen, in das sie unter de Gaulles sozialistischen Nachfolgern 194748 gedrängt worden war. Unaufhörlich wiederholte die KP die Appelle an die Parteien der Linken und der Mitte zur „Nationalen Union gegen die aufrührerischen Generäle“. Es schien, als ob die Putschisten von Algier als rechte Zauberlehrlinge dem Kommunismus, vor dem sie Algerien bewahren wollten, in Frankreich selbst neuen Auftrieb gaben.

Die Mehrheitssozialisten von Guy Mollet verhalten sich vorerst gegen alle Volksfront-Sirenengesänge noch sehr reserviert. So vermieden sie zum Beispiel beim Streik am Montag peinlich jedes gemeinsame Auftreten mit den Kommunisten. Nur vereinzelte Parteisektionen scheinen von dieser Parteilinie bisher abzuweichen. Es ist gut möglich, daß Guy Mollet sich nun gegenüber einem Wunsch de Gaulles zur Aufnahme seiner Partei in die Regierung positiver verhalten würde.

Nach dem zusammengebrochenen Putsch ist in Frankreich überhaupt eine umfassende innerpolitische Bestandsaufnahme fällig.

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