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Der Maya-Kenner und der General

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Wie jede politische Gruppe autoritären Charakters, kannte auch der Gaullismus Anhänger, die sich auf dem langen Marsch zur Macht von der Bewegung trennten. Die maßgebenden gaullistischen Spitzenpolitiker allerdings haben dem Befreier des Vaterlandes die Treue gehalten. Eine nennenswerte Häresie ist in der Geschichte des Gaullismus nicht festzustellen.

Nur der einst begeisterte Gaullist Jacques Soustelle verurteilte die Politik des Generals. Er ist in den letzten Wochen nach Paris zurückgekehrt, und politisch vollkommen isoliert, genießt er durch seine Bücher eine beachtliche Aufmerksamkeit.

Die Londoner Ära

Der Autor des Werkes „28 Jahre Gaulliusmus“ (Vingt-huit ans de Gaullisme, Paris 1968) stammt aus den Kreisen der gemäßigten Linken, die sich um das Ethnologische Museum (Musée de l’homme) sammelten. Soustelle ist ein vortrefflicher Kenner der vorkolumbischen Zivilisationen und gehört zu den wenigen, die die Maya-Sprache beherrschen. Er ist ohne Zweifel ein subtiler Geist, der anfänglich dem Charisma de Gaulles verfallen war. Die Beziehungen zwischen den beiden Männern verliefen niemals harmonisch. Der General beobachtete mit Argwohn die unabhängigen Neigungen und Bestrebungen seines Leutnants.

Soustelle leitete in London das Informationsamt, später den Nachrichtendienst der Gaullisten. Man erwartete, daß er gerade über diese Periode Grundlegendes zu sagen hätte. Die Kontakte mit den verschiedenen Widerstandsorganisationen im besetzten Frankreich und jene der Zentrale in London sind bisher unvollständig beleuchtet worden. Was waren die Bindungen zwischen dem obersten Chef der inneren Widerstandsbewegung, Georges Bidault, und de Gaulle? Nach welchen Gesichtspunkten wurden Sabotageakte geplant und durchgeführt? Eine eingehende Geschichte der französischen Widerstandsbewegung ist derzeit im Entstehen. Jacques Soustelle könnte manches zu dieser Historie beitragen. Sehr diskret übergeht er die Londoner Zeit und vergißt auch die Bildung der provisorischen Regierung in Algier zu erläutern. Die Ermordung Darlans, die Machtkämpfe zwischen Giraud und de Gaulle 1943 in Algerien wurden in den letzten Jahren von geübten Journalisten kommentiert. Diese Publikationen zeichnen sich eher durch sensationelle Berichterstattung als durch nüchterne Abwegung der Ereignisse aus. Soustelle erinnert, daß der erste Indochina krieg seinen Ursprung während der Amtszeit de Gaulles als provisorischer Regierungschef genommen hat. Die unglückselige Politik eines engen Mitarbeiters de Gaulles, des Mönches und Admiral’s d’Argenlien, in Südostasien hatte die konstruktiven Kontakte zwischen Frankreich und Ho Tschi-minh zerstört Daraus erwuchs eine Situation, an der die Weltpolitik bis zum heutigen Tag •krankt.

„Europa der Polizeien“

Mit Recht weist Soüstelle darauf hin, daß die blutigen und willkürlichen Säuberungen nach der Befreiung Frankreichs im wesentlichen die kleinen Mitläufer betrafen. Reiche und einfußreiche Kollaborateure blieben unangetastet. Die politische Ausnahmejustiz der Jahre 1944/45 fand auch in der V. Republik eine Fortsetzung. Alle mit den algerischen Ereignissen zusammenhängenden Taten gegen die Staatssicherheit wurden von politischen Gerichtshöfen abgeurteilt.

Soüstelle befaßt sich eingehend mit der von de Gaulle 1947 ins Leben gerufenen Sammelbewegung RPF, der Spaltung dieser Partei und der parlamentarischen Tätigkeit der zusammenschmelzenden Fraktion in den letzten Jahren vor dern Machtantritt des Generals. Die Beschreibung der eigenartigen Atmosphäre, in welcher der Einsiedler von Colombey-les-deux-Eglises Monate nutzlos dahinziehen sah, kann als Höhepunkt dieses Werkes angesprochen werden. Ein zweites Mal findet Soustelle ähnliche farbige Vergleiche und klangvolle Töne, sobald er sein Exil malt. Er wurde von den europäischen Polizeien gejagt, die den aus politischen Gründen geflohenen Soustelle immer wieder belästigten. Der Politiker spricht von einem „Europa der Polizeien“.

Jacques Soustelle wurde von Mendes France zum Generalresidenten in Algerien bestellt. Dort verwandelte er sich vom Liberalen zum überzeugten Verteidiger eines französischen Algerien. Gemeinsam mit dem Senator Debré, dem früheren Ministerpräsidenten Bidault und den Unabhängigen Duchet und Morice gehört er einer Richtung an, welche die Aufgabe Algeriens verhindern wollte.

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