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Blickpunkt Algerien

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Soustelle beteiligte sich an der Revolte in Algerien am 13. Mai 1958; er verlieh diesem spontanen Ausbruch die notwendigen politischen Akzente, wodurch das gaullistische Ziel erreicht wurde. Die algerische Politik General de Gaulles sowie die Entkolonialisierung finden in Soustelle einen unnachgiebigen Kritiker. Den Ausführungen des ehemaligen Generalresidenten in Algier ist nicht ohne weiteres zu folgen. Nach dem zweiten Weltkrieg forderten die asiatischen und afrikanischen Völker Freiheit sowie unbegrenzte Souveränität. Wenn auch die französische Armee in Algerien den Krieg militärisch gewonnen hatte, so wäre das politische Problem geblieben. Die Befriedung des Landes hätte von Frankreich solche Opfer verlangt, daß die Aufgabe der nordafrikanischen Positionen einem historischen Schicksal entsprach. Die Beibehaltung einer Union der französisch sprechenden Völker war undurchführbar.

Die diesbezüglichen Urteile Sou- stelles sind einseitig und von seinem persönlichen Schicksal beeinflußt. Während er die Verbrechen der Geheimarmee OAS verschweigt, stellt Soustelle das blutige Ende des französischen Algeriens in den Vordergrund. Dieser Kolonialkrieg hatte unvorstellbaren Haß entfesselt.

Es gehört zu den bleibenden Verdiensten General de Gaulles, daß er diesem sinnlosen Krieg ein Ende gesetzt hat. Er war der einzige Staatsmann mit genügendem Prestige, um diese folgerichtige Politik zu entwik- keln. Die Gefahr eines Bürgerkrieges hatte tatsächlich bestanden.

Soustelle unterscheidet zwischen dem reinen und orthodoxen Gaullismus bis zum Jahre 1958 und kritisiert heftig den Neogaullismus der

V. Republik, den er als eine Art politischer Mißgeburt bezeichnet. Wir dagegen vertreten die Ansicht, daß auch der Gaullismus unserer Tage eine Summe jener Thesen bildet, die bereits der General in seiner berühmen Rede von Bayeux zu Beginn der IV. Republik ausführte.

Die Gründung der Sammelbewegung UNR durch Soustelle im Jahre 1958 wird in kurzen Strichen angedeutet. Der Ausschluß des ersten Generalsekretärs aus der Partei sowie die Machtkämpfe in der Bewegung hätten ebenfalls eine umfangreichere Darstellung verdient. Soustelle zieht im zweiten Teil des Buches eine negative Bilanz des Regimes. Der Gaullismus sei nicht einmal in der Lage gewesen, einen eigenen Baustil zu entwerfen oder sich wie Napoleon durch die-Veränderungen der nationalen Strukturen ein Denkmal zu schaffen. Nun sind seit dem Mai-Juni 1968 gründliche Reformen eingeleitet worden. Wir denken an das großartige Werk Edgar Faures bezüglich des Unterrichtes und der Hochschulen. Eine abschließende Wertung ist daher unangebracht. Besonders die Akten über die Franc-Krise sind noch nicht geschlossen.

Trotz zahlreicher Bestätigungen von Einzelheiten — de Gaulle wußte von dem Plan einer Luftlandung über Paris im Mai 1958 — hat Jacques Soustelle nicht die erwartete, aussagekräftige Geschichte der gaullistischen Bewegung geschrieben. Eine solche Monographie fehlt weiterhin in der politischen Literatur Frankreichs und Europas. Es wäre an der Zeit, mit den Vorstudien zu beginnen, solange die Mitwirkenden und Kenner dieses eigenartigen Zeitabschnittes am Leben sind.

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