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28 Jahre Gaullismus

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Über eine Bewegung, die nun 28 Jahre die französische und internationale Szene beherrscht und bereits einer geschichtlichen Wertung unterworfen ist, sollte eine Fülle von Literatur existieren. Freilich, unzählige Berufene und Unberufene glaubten sich fähig, als Biographen General de Gaulles aufzutreten, jede Epoche seines Lebens zu studieren und die geringsten Äußerungen des Generals zu deuten. Wenn wir richtig informiert sind, liegen mindestens 150 diesbezügliche Werke vor. Der Nutzen solcher Studien ist sehr unterschiedlich. Einmal wird der General als Übermensch dargestellt, der seinesgleichen in der modernen Geschichte sucht; dann wieder werden seine Politik verurteilt und die gaullistischen Maßnahmen als gefährlich für die Nation ausgelegt.

„Dem Schicksal trotzen“

General de Gaulle zählt zu jenen geschichtlichen Erscheinungen, die erst nach einem Zeitraum von 50 oder 100 Jahren richtig eingeschätzt werden. Schon zu seinen Lebzeiten ein historisches Monument, drückt er der Gegenwart seinen Stempel auf. Es ist schwierig, in Ruhe und Abgeklärtheit den Weg eines Mannes zu verfolgen, der am 18. Juni 1940, praktisch vollkommen auf sich gestellt, dem siegreichen und übermütigen Nationalsozialismus begegnete. Sein Wirken stand unter der Parole: „loh trotze dem Schicksal.“ Als der General auftrat, hatte Frankreich im wesentlichen die Niederlage akzeptiert, und der damalige Staatsführer, Marschall Retain, hätte bei einem Plebiszit eine überwältigende Mehrheit erhalten. Der französische Staatschef ist ein Mann einsamer Entschlüsse. Sein Regime nähert sich einer modernen Wahlmonarchie. Trotzdem gründete er politische Bewegungen, und um seinen Namen entstanden Parteien. Die derzeitige Staatspartei UDR rühmt sich, dem Willen des Chefs der V. Republik zu gehorchen. Vom Kriegsgaullismus angefangen über die parteipolitische und parlamentarische Sammelbewegung RPF der IV. Republik bis zu den glanzvollen Wahlerfolgen des Juni 1968 zeigt der Gaullismus die gleichen Ausdrucksformen.

„Gaullist der ersten Stunde"

Uber den Gaullismus als politische Bewegung wird man vergeblich nach einer ausführlichen Literatur suchen.

Mit Interesse, Unruhe oder Erwartung wurde daher das Werk eines vorzüglichen Sachkenners erwartet, der nicht nur ein Beobachter sondern als Mitwirkender und Leidender die gaullistische Epopée verfolgte. Der „Gaullist der ersten Stunde“, Jacques Soustelle, hatte sich über die algerische Politik mit seinem Meister zerstritten und lebte sieben Jahre im Exil. Seit Monaten kündigte er eine umfas-

sende historische Studie über den Gaullismus an. Dieses Werk, im November 1968 erschienen, schildert auf 480 Seiten nicht etwa die Entwicklung des Gaullismus, sondern einzig und allein Jacques Soustelle für und gegen diese Bewegung.

Der Verfasser dieser Zeilen, seit Jahren mit der französischen Innenpolitik vertraut, legte die Schilderung Sousteiles trotz ihres brillanten Stils enttäuscht zur Seite. Vergeblich sucht der Leser in diesem großangelegten Buch unbekannte Aspekte. Keine Geheimnisse werden verraten, und die Person des Generals tritt im Werke Tournoux’ „La Tragédie du General“ plastischer in den Mittelpunkt.

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