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Intoxikation — Provokation — Abnützung

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Dieser in sich verflochtene Reigen von Intoxikation — Provokation — Abnützung ist natürlich ein Schema. Wer sich jedoch die Peripetien in'Erinnerung ruft, die die französische Rückzugsstraße aus Algerien markierten, wird in ihrer Kette deutlich die Umrisse dieses Schemas erkennen. Frankreichs führende Tageszeitung, „Le Monde“, hat eine klassische Beschreibung dieses Stiles geliefert: „Der Präsident der Republik definiert zunächst die Fernziele seiner Politik, und zwar in zugleich recht klarer (durch die Wahl bestimmter Schlüsselwörter) und recht sibyllinischer Art. Ist diese Initialzündung einmal erfolgt, so wird den Exegeten einige Zeit zum Um- und Wiederumdrehen dieser Sätze gelassen, den Feinden zum Verlassen der Deckung, der Öffentlichkeit zum Sich- Gewöhnen an die neuen Ansichten. Während dieser Zwischenphase werden mehr oder weniger offiziellen Charakter haben und, ohne dementiert oder bestätigt zu werden, doch beides in jedem Augenblick werden können. Hierauf werden die Projekte nochmals in Arbeit genommen, und zwar unter möglichster Berücksichtigung der bei diesem Verfahren sichtbar gewordenen Reaktionen.“

Die Taktik ist alt

Das ist übrigens nicht neu. Wir kennen diese Taktik auch schon aus der Vierten, der Dritten Republik — sie gehört zu den traditionellen Waffen des französischen Parlamentarismus. Was neu ist an dem gaullistischen Karussell von Intoxikation — Provokation — Abnützung, ist der systematische Ausbau dieser Taktik und die Ausschließlichkeit ihrer An-Wendung — und vor allem deren Bewußtsein. Vergleicht man mit der Vierten oder gar der Dritten Republik, so hat man den Eindruck, daß diese Methode früher eine unter mehreren gewesen ist, daß man zu ihr in der Not griff, sonst aber auch geradere Wege zu gehen suchte. (Wie überhaupt die Praxis der Fünften Republik, ihr Verhalten dem einzelnen Staatsbürger gegenüber, rückwirkend ihre nie sehr hoch geachteten Vorgängerinnen doch etwas aufgewertet hat.) Heute hingegen wird diese Methode auch von geringeren Funktionären mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit angewendet.

Zweifellos ist das zu einem guten

Teil Zeitstil. Zum mindesten in Frankreich befindet sich das System des Parlamentarismus, an dem ja nach außen trotz des Anwachsens autoritärer Züge immer noch festgehalten wird, in einer Spätphase; solche Spätphasen aber zeichnen sich dadurch aus, daß der Schmelz der Jugend abblättert und die negativen Möglichkeiten, die in jedem politischen System mit enthalten sind, nackter hervortreten. Zu einem erheblichen Teil ist die so ausschließliche Verbreitung jenes Stiles aber auch auf die Person de Gaulles zurückzuführen, der seiner Republik zum mindesten in ihrem äußeren Habitus seine persönliche Art aufprägt.

Wir haben bereits gesagt, daß de Gaulle bei aller Außergewöhnlichkeit doch insofern ein typischer Franzose ist, als sich bei ihm unmittelbar neben dem abstrakten Pathos eine erhebliche Dosis von Bauernschläue und „De- brouillage" findet. So macht es ihm beispielsweise nichts aus, am gleichen Tag zwei Politiker verschiedener Richtung gleicherweise glauben zu machen, daß er gerade ihre Auffassung der Dinge teile. Berühmt ist die Kette von Audienzen, die de Gaulle in den letzten Jahren seiner Zurückgezogenheit in Colombey-les-deux-Eglises in der Champagne den Politikern der Vierten Republik gegeben hat. Nach übereinstimmenden Berichten vieler Besucher von damals spielten sich die Audienzen alle gleich ab: Der General ließ sie ihre Meinung entwickeln und beschränkte sich selbst auf Allgemeinheiten unverbindlicher Art; die geschmeichelten Herren aus Paris verließen dann jeweils das Landhaus „La Boisserie“ im Glauben, den General für sich gewonnen zu haben. Das trug viel zu jener vagen Stimmung nationaler Einheit bei, die de Gaulle dann nach dem 13. Mai 195 8 an die Macht zurücktrug.

Mit der Zeit sind aber daraus auch viele bitterböse Feindschaften von Politikern und Offizieren entstanden, die sich später genasführt vorkamen.

Garnison-Machiavellismus?

In alldem steckt auch etwas, was mit de Gaulles Herkunft als Berufsoffizier zusammenhängt. Bei Generälen, die nach längerer militärischer Laufbahn erst spät das glatte Parkett der Politik betreten, entwickelt sich leicht das, was der „Canard Enchainė“ einmal maliziös als „machiavelisme de garnison“ (Garnison-Machiavellismus) bezeichnet hat. Sie neigen oft zu einer vereinfachten Wertung der Politik und übersehen, wie eng dort im allgemeinen ehrliche Überzeugung und List ineinander verschlungen sind. Sie legen sich dann einen allzu „methodischen“, militärisch geradlinigen Machiavellismus zu, was ja in sich schon ein Widerspruch ist. Neben zeitgenössischen Beispielen ist in der jüngsten Vergangenheit Schleicher der typische Fall eines solchen Generals, der in den Ruf geriet, allzu absichtlich „die Politiker mit ihren eigenen Waffen schlagen“ zu wollen und gerade deshalb zu scheitern. Ähnliche Züge sind in de Gaulles Frühschrift von 1932, „Le Fil de l’Epėe", zu finden, die als sein „Programm“ in manchem ein aufschlußreicher Schlüssel zu seiner Person ist.

Die bisherige Geschichte der Fünften Republik ist eine Kette von psychologischen Schocks. Die von diesen Schocks ausgelösten Ereignisse sind etwas Sekundäres; bei aller Dramatik haftet ihnen etwas von durch einen überlegenen Spieler gewollten Effekten an.

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