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Charles de Gaulle

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General de Gaulle ist am Sonntag als Chef der französischen Regierung zurückgetreten. Steht Frankreich am Beginn einer schweren politischen Krise, die mehr als eine Krise der Regierung ist? Oder bedeutet der Rücktritt de Gaulies nur das Ausscheiden einer markanten, den Durchschnitt weit überragenden Persönlichkeit aus dem öffentlichen Leben Frankreichs? Eines darf festgestellt werden: Die Absicht de Gaulles, sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen, würde auf jeden Fall bedeuten, daß Europa bei seinem Wiederaufbau auf einen Staatsmann verzichten muß, der berufen schien, ein' entscheidendes Wort bei der Erneuerung nicht nur seiner Nation, sondern des ganzen europäischen Erdteils mitzusprechen.

Der Grund des Rücktrittentschlusses de Gaulles sind die großen Meinungsver-1 schiedenheiten innerhalb des Kabinetts gewesen, die der französische Staatschef vor wenigen Wochen noch durch die Macht seiner Persönlichkeit und durch seinen Appell an die französische Nation zu überbrücken vermochte. Die Koalition der großen Parteien — der katholischen Republikanischen Volksbewegung, der Sozialisten und der Kommunisten — hat doch nicht die wesentlichen Gegensätze aufheben können, die zwischen ihnen bestehen Den unmittelbaren Anlaß der Krise dürfte die Frage des Meeresbudgets gegeben haben. Die Sozialisten nd die Kommunisten forderten eine Herabsetzung des Heeresbudgets, der General de Gaulle nicht zustimmen konnte. Aber dies war doch nur der unmittelbare Anlaß der Krise. Der wesentliche Streitpunkt scheint darin zu liegen, daß General de Gaulle bestrebt war, in der Verfassung dem Präsidenten der Republik Frankreich jenes Mindestmaß an autoritären Befugnissen zu geben, das ihm nach seinen politischen Erfahrungen notwendig schien, um das Funktionieren der französischen Demokratie zu gewährleisten, die aus schlimmen parlamentarischen Zuständen übergenug Unheil erfahren hat. Die Linksparteien, und zwar sowohl die Sozialisten als auch die Kommunisten, wollen indessen dem Präsidenten nur bescheidene Funktionen zugestehen.

Die französische Staatskrise wird nicht rasch zu bewältigen sein, denn die Gegensätze zwischen den Parteien sind zu tiefgehend, obwohl viele Politiker Frankreichs aus den letzten Jahren die Lehre gezogen haben, daß die junge vierte Republik nicht den Fehler der letzten Vorkriegsjahre wiederholen darf, Frankreich in eine parlamentarische Dauerkrise zu versetzen. Zu jenen Persönlichkeiten, die ihre Kraft dafür einsetzen, daß in Frankreich auch weiterhin die drei großen Parteien gemeinsam das Land regieren, gehört vor allem der alte Leon Blum, dessen heutige Innenpolitik geradezu konservativ anmutet. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob der Wille, tiefgreifende, den Wiederaufbau der Nation gefährdende Krisen zu vermeiden, stärker ist als die Parteieigensucht und ob vor allem die französischen Kommunisten sich in erster Linie als Franzosen oder als Vertreter des internationalen Marxismus erweisen werden. Welchen Weg wird Frankreich gehen? Und ohne de Gaulle?

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