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Spähtruppführer Amer

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Von der Londoner Commonwealth-Konferenz aus hatte Indiens Regierungschef Shastri, Erbe der Neh-ruschen Führungsrolle im gemäßigten bis moskaufreundlichen Neutra-listenlager, bereits für die Gipfelvertagung plädiert, während der Chef des Gegenlagers, Chinas Tsdiu En-lax, ein improvisiertes Hauptquartier in Kairo aufschlug, mit Nasser eine taktische „Kampfgruppe“ bildete und zunächst den Nasser-Marschall Amer als Späher nach Algier aussandte. Mit dem Marschbefehl für seinen Außenminister Chen-Yi machte er sich erst in dem Augenblick für die Konferenz stark, in dem Moskaufreund Shastri zurücksteckte. Auf des abgehetzten Außenministers Boutefiika schmächtigen Schultern lag inzwischen — an Stelle des algerischen Umsturzregisseurs Boumedienne, der sich schon Anfang letzer Woche in den ihm eigenen Hintergrund zurückzog — die ganze Last der Gastgeberrolle. Der in Benuellas innere Macht- und internationale Zentralstellung eingetretene Revolutionsrat beschränkte sich auf die freilich wesentliche atmosphärische Hintergrundsarbeit, spornte alles zu freundlichen Gesichtern an, „als wäre nichts geschehen“.

Zwischen London und Kairo

Das anfängliche Interesse des Rats an der Konferenz sank indessen im gleichen Maße, in dem das Ränkespiel zwischen London und Kairo sich verfilzte, schließlich als

„Ausweg“ gerade den Katalysator suchte, den Algerien keineswegs bieten wollte, nämlich sein wenige Tage nach Benbellas Sturz noch unausge-gorenes inneres Problem. Obwohl die Folgen des Regimewechsels sich nach wie vor auf mäßige Reaktionen — eben die Jugendkundgebung und Verhaftung einiger Kommunisten — beschränkten, genügte dies fürs Ausland, tieferes Brodeln im algerischen Komplex zu vermuten und für die vorsichtige Masse der Konferenzstaaten zum Wunsch „alles neu zu überdecken“. Eröffnete doch der propagandistische Kreuzzug der kommunistischen Presse vor allem des Westens gegen die neuen Herren Algiers und die schärfer werdenden Kommentare im Ostblock, in Ägypten und Kuba sowohl für Neutralisten, Moskauanhänger wie Pekings Gefolgschaft völlig neue Perspektiven. Als man in Benbellas traditionellen Freundeskreisen, den Botschaften Nassers und Castros, gar vom Abbruch der Beziehungen munkelte, änderte auch Algier die Tonart. „Deine historische Stunde ist gekommen, die der inneren Wandlung“, eröffnete der Rundfunkansager ab Donnerstag feierlich seinen täglichen Appell ms algerische Volk. Von der Konferenz war keine Rede mehr.

Am Sonntagmorgen resignierten selbst konferenzwillige Delegationen und einigten sich auf die Vertagungsformel, obwohl China nach Hören und Sagen noch immer an der Idee

festhielt, das Treffen auf sein Lager zu beschränken — unverhoffte Chance zur Errichtung einer von der indischen Gruppe ungestörten „UNO der aufsteigenden Kräfte“. Mit diesem auf die Teilung der Welt in einen amerikanisch-sowjetischen „Imperialistenblock“ und einen von Peking beherrschten Gegenblock hinauslaufenden Maximalziel waren die Chinesen eigentlich nach Algier gekommen. Der Ubergang der Nas-ser-Delegation, die dem Chinesenplan allenthalben noch einen afroasiatischen Anstrich gegeben hätte, zum Vertagungsflügel ließ auch Chen-Yi resignieren. Auf Vorschlag des eben eintreffenden Außenministers von Pakistan wurde alles weitere in die Hände des Vorbereitungskomitees zurückgelegt. Um dessen legales Fortbestehen bis zum neuen Konferenztermin — 5. November, aus „Dankbarkeit und Lohn für seine Mühen“ ebenfalls in Algier — nicht in Frage zu stellen, beschwor der Pakistaner die dennoch eingetroffenen zwanzig Außenminister im Vorzimmer Bouteflikas, gar nicht erst zur Vorkonferenz zusammenzutreten.

Nachspiel auf leerer Bühne

Mit diesem Schildbürgerstreich endete das Komödienspiel; die Delegationen begannen — nach absolvierten Höflichkeitsvisiten im algerischen Außenamt — unverzüglich abzureisen. Wie in manchen Theaterstücken großer Komödianten gab es ein Nachspiel auf der schon wieder leeren Bühne zwischen den seit zwanzig Jahren in Privatfehde liegenden Staaten Indien und Pakistan. Der Delegationsführer des ersteren berief eine Pressekonferenz ins Prunkhotel Aletti, um Indiens klärende und glättende Weisheit gebührend zu untermalen. Einen Tag später trommelte der pakistanische Außenminister die internationale Journalistenwelt am gleichen Orte zusammen, bugsierte sich selbst in die Rolle der entwirrenden Deus-ex-machina und einen widersprechenden indischen Fragesteller effektvoll aus dem Saal.

Algerien war zu dieser Zeit schon nicht mehr bei der Sache. Der Revolutionsrat suchte nach weiteren vermutlich kommunistischen und ägyptischen Drahtziehern von Straßenradau und Bombenanschlägen sowie nach der Mitarbeit „vernünftiger innerer Kräfte“, um seine immerhin angeschlagene äußere Stellung zu stärken. Gleichzeitig bastelt der Rat an einem Weißbuch, das Benbella anschwärzen solL

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