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Nahost auf Schweizer Bänken

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Am 27. November wird in Winterthur, einer kleinen Industriestadt nordöstlich von Zürich, das Schwurgericht zusammentreten, um über den Anschlag, der am 18. Februar dieses Jahres auf eine El-Al-Maschine verübt worden war, zu urteilen.

Der Sachverhalt dürfte noch in Erinnerung sein:

Die vier arabischen Terroristen Mohamed Abu el-Heiga, Ibrahim Yousef, Abdel Mehsen und die junge Lehrerin Amena Dahbor hatten sich Im Jänner 1969 in einem Ausbildungslager in Westjordanien kennengelernt. Dort waren sie in einem dreiwöchigen Kurs in der Handhabung des russischen Kalaschnikow- Sturmgewehres sowie in der Anfertigung und Verwendung von Sprengladungen unterrichtet worden. Zweck dieser Ausbildung: ein Anschlag auf ein israelisches Verkehrsflugzeug der Fluggesellschaft El-Al. Am 8. und 9. Februar dieses Jahres waren die vier Araber dann mit vier Handgranaten, vier Petarden, fünfundvierzig Sprengstoffpatronen, drei hochbrisanten Sprengpatronen, sowie mit Sprengkapseln und Zündschnüren in die Schweiz geflogen. Sie führten überdies zwei Sturmgewehre und 48 abgefüllte Magazine mit sich. Der Anschlag war für den 13. Februar geplant. Da die El-Al-Maschine direkt von einem Swissair- Flugzeug gefolgt wurde, sahen die Attentäter vorläufig von ihrer Aktion ab. Am 17. Februar versuchten sie die Tat aufs neue. Diesmal rollte ein Flugzeug der irischen Aer-Lingus hinter der El-Al-Maschine auf die Piste. Am 18. Februar dann gelangten sie halbwegs ans Ziel. Mit einer Verspätung von einer Stunde und

Miputeru landete die Boeing 720 B der El-Al auf dem Flug von Amsterdam nach Tel Aviv in Zürich-Kloten. An Bord befanden sich elf Besatzungsmitglieder und fünf Passagiere. In Kloten stiegen zwölf weitere Fluggäste zu. Unter diesen befand sich auch der General-

direktor des israelischen Außenministeriums, Gideon Raphael, doch war der Anschlag keineswegs ausdrücklich gegen ihn gerichtet.

Urn 17.29 rollte die Maschine zur Westpiste, mußte aber drei Minuten später das Startmanöver abbrechen. Von einem Automobilparkplatz aus schossen die Araber auf das Cockpit des Flugzeuges. Hierauf warfen sie drei Petarden gegen die Maschine, doch erreichten diese glücklicherweise ihr Ziel nicht. Die Flughafen- feuerwehr und die Polizei waren sofort zur Stelle und vermochten die Attentäter zu überwältigen. Aus dem El-Al-Flugzeug sprang durch einen Notausstieg Mordechai Rachamin, den man für einen einfachen Passagier gehalten hatte. Er stürzte sich mit einer geladenen Beretta-Pistole auf die Attentäter und schoß einen von ihnen, Abdel Mehsen, nieder, obwohl dieser bereits von den schweizerischen Polizisten entwaffnet worden war.

Nur halb gelungen

Ihr Hauptziel, die Maschine in die Luft zu sprengen, hatten die Araber allerdings nicht erreicht. Sie hatten gehofft, der Anschlag dauere nicht mehr als 90 Sekunden. Sobald die erschreckten Passagiere die Maschine verlassen hätten, wollten die Araber ihre Ladungen anbringen. Es besteht kein Zweifel, daß durch die Sprengung eines vollgetankten Verkehrsflugzeuges zahlreiche Personen gefährdet gewesen wären. Aber auch ohne diesen letzten Schlag wurden sechs Personen verletzt, zwei davon schwer, Der eine davon, der israelische Hilfspilot Yoram Peres, erlag mehr als einen Monat später seinen schweren Verletzungen.

D’ie arabischen Angeklagten lehnen das kantonale Zürcher Gericht entschieden ab. Sie werfen ihm Voreingenommenheit vor. Tatsächlich sind im Laufe der Untersuchungen einige Ungeschicklichkeiten passiert. Erstens einmal entpuppte sich die Geheimniskrämerei um einen Dolmet-

scher als dumme Fälschung. Zweitens kam es zwischen dem Zürcher Justizdirektor und den Verteidigern wiederholt zu Zwistigkeiten. Und schließlich wuchs die Spannung erheblich. als der Israeli Mordechai Rachamin gegen Kaution aus der Haft entlassen wurde, wogegen die schweizerischen Behörden die Sicherstellung für die Araber, die von Algerien offeriert wurde, ablehnten. Rechtlich bestand natürlich ein wesentlicher Unterschied: Die Araber sind keine Algerier, sie stammen aus Palästina und lebten in einem Lager in Jordanien. Algerien hat also keine Rechtsvollkommenheit, eine Garantie zu leisten, da keine Gewähr bestand, daß die Terroristen dann wirklich zum Prozeß wieder erscheinen würden. Rachamin hingegen erhielt die Kaution von seinem Heimatstaat Israel, in dem er sich seit März dieses Jahres aufhält. Daß er nach seiner Haftentlassung in der nächsten Umgebung von Ministerpräsidentin Golda Melr gesehen und mit ihr zusammen photographiert wurde, stellt allerdings der israelischen Diplomatie und ihrem Takt nicht das beste Zeugnis aus.

Auf gleicher Bank

Nun werden — einmalig in der Geschichte — drei arabische Terroristen und ein israelischer fanatischer Sicherheitsbeamter auf der gleichen Anklagebank sitzen. Die Araber werden sich bemühen, ihrer Tat einen politischen und heldenhaften Anstrich zu geben, Rachamin aber wird sich auf das Selbstverteidigungsrecht berufen. Beiden werden die Richter Argumente entgegenhalten, denn Rachamin soll — wenn die Darlegungen der Anklageschrift unbestritten Bestand haben — auf die Araber geschossen haben, nachdem diese bereits wehrlos waren. Die Araber aber werden dahin belehrt werden, daß das Zürcher Gericht nur über die Straftatbestände zu befinden hat. In früheren politischen Prozessen haben die Gerichte der Schweiz mit großem Erfolg diese Haltung eingenommen. Ob es ihnen diesmal gelingt, wird man bald sehen.

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