Horst Ludwig Meyer und Andrea Klump - ©  APA / Repro-Guenter Artinger

„Bei der RAF waren sie nicht!“

19451960198020002020

Vor 20 Jahren flogen in Wien zwei Terroristen auf, die als „U-Boote“ inmitten der Hauptstadt gelebt hatten. Bis heute sind selbst für ehemalige Spitzenfahnder viele Fragen offen.

19451960198020002020

Vor 20 Jahren flogen in Wien zwei Terroristen auf, die als „U-Boote“ inmitten der Hauptstadt gelebt hatten. Bis heute sind selbst für ehemalige Spitzenfahnder viele Fragen offen.

Werbung
Werbung
Werbung

Es war eine Szene wie aus einem Western. Vor 20 Jahren, am 15. September 1999, fragte eine Polizistin zwei Verdächtige an der Ecke Wagramer Straße/Schrickgasse in Wien-Donaustadt nach dem Ausweis. Die beiden – ein Mann und eine Frau – waren einem Anrainer aufgefallen. Seit mehreren Wochen hatte sich das Duo mit auffälligen Kappen und Sonnenbrillen an derselben Straßenkreuzung getroffen. Das kam dem Pensionisten schließlich so verdächtig vor, dass er die Polizei alarmierte. Als es nun zu der Personenkontrolle kam, ging alles ganz schnell: Der Mann zog eine Pistole und auch die Beamtin griff nach der Dienstwaffe. „Die beiden standen sich Auge in Auge gegenüber, fast wie bei einem Duell“, sagte ein Zeuge später. Dem Unbekannten gelang es noch, die Polizistin niederzuringen. Dann floh das Duo, kam aber nicht weit. In der Donaufelderstraße folgte ein Schusswechsel mit der herbeigerufenen Alarmabteilung. Am Ende war einer der Beamten verletzt, der Unbekannte tödlich getroffen worden. Seine Begleiterin ließ sich festnehmen.

Nun stellte sich heraus, wer da ins Netz gegangen war: Die 42-jährige Andrea Klump und der 43-jährige Horst Ludwig Meyer waren damals gesuchte Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF). Diese Gruppe hatte vor allem in Deutschland seit Anfang der 1970er-Jahre mit Attentaten und Entführungen auf sich aufmerksam gemacht. Nun stellte sich heraus, dass Klump und Meyer seit September 1995 als „U-Boote“ in Wien gelebt hatten. Sie hatten sich auf die Annonce eines Jus-Studenten gemeldet, der Mitbewohner für eine WG in einer Altbauwohnung in der Springergasse in Wien-Leopoldstadt gesucht hatte. Sie stellten sich als „Heidi Prieri“ und „Jens Jensen“ aus deutsch-dänischem Elternhaus vor. Monatliche Zuwendungen aus einer Erbschaft würden es ihnen erlauben, hier zu leben: „Weil es in Wien so viel Kultur gibt.“ Ihr Mitbewohner erinnerte sich später, dass „Heidi“ und „Jens“ stets um 6.30 Uhr aufgestanden seien und pünktlich um 9 Uhr die Wohnung verlassen hätten – für Radtouren und Museumsbesuche. Viel zum Leben hatten sie nicht. Die beiden sollen unter anderem Fahrscheine für die Wiener Verkehrsbetriebe gefälscht und verkauft haben.

Phantom „dritte Generation“

So harmlos die Routine von „Heidi“ und „Jens“ anmutet, ihre Vergangenheit war alles andere als beschaulich gewesen. Die beiden waren 1984 aus Deutschland verschwunden. Es war eine ganze Gruppe gewesen, die sich auf verschiedenen Wegen in den Libanon und ins syrische Damaskus absetzte. Bilder ihrer Gesichter füllten alsbald die Fahndungsplakate mit der Aufschrift „Terroristen“. Man hielt sie nämlich für die „dritte Generation“ der RAF, die ab 1985 eine Anschlagswelle mit insgesamt sechs Toten beging. Im Unterschied zu ihren Vorgängern ging diese „dritte Generation“ tödlich effizient ans Werk. Zu ihren Opfern zählten Topmanager, Industrielle und Diplomaten. Keines dieser Verbrechen konnte bis heute aufgeklärt werden. Die „dritte Generation“ blieb ein Phantom. Daran änderte auch der Tod von Meyer und die Festnahme von Klump nichts. Denn: Die beiden gehörten – anders als lange vermutet – der RAF nie an.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung