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Mit wurfbereiter Bombe

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Als zweiter, und zwar um 14 Uhr, wird der Bombenwerfer Cabrinovic durch einen Gerichtsadjunkten vernommen.

Nedeljko Cabrinovic ist ein anderer Typ als der finstere Pnincip. Der eine praktiziert die Verschwörertugend des Schweigens, der andere ist von der Sucht, sich zu rechtfertigen — das heißt, immer und jederzeit seine Gesinnung darzutun und die Richtigkeit seiner Handlungsweise zu beweisen — geplagt. Sogar dann, wenn es um Kopf und Kragen geht, bleibt Cabrinovic redselig.

In Freundeskreisen nie für ganz voll genommen, gilt der Schriftsetzer als labil, als unsicherer Kumpan, ja, es gab sogar Tage, an denen er sich durch sein lebhaftes Naturell dem Verdacht aussetzte, ein Spitzel zu sein. Mit seinen Witzen im unrechten Moment ärgert er seine ernsten Freunde ebenso wie Richter und Beamte.

Der Prozeß gegen die Attentäter wird dem Korrespondenten der Wiener „Zeit“ recht geben: „Princip zeigt für seine Jugend eine ,bei-spiellose Festigkeit', Cabrinovic dagegen ist ,ein fahriger Gesell und bramarbasierender Patron'.“

Unser geistlicher Gewährsmann schildert sein Äußeres: „Ein Bursch von mittlerer Größe, untersetzt, breitschultrig, regelmäßige Gesichtszüge. Er hat eine hohe Stirn, schwarzes, zurückgekämmtes Haar, er sieht nicht gerade schlecht aus. Eine lange, gerade Nase, schwarze, lebhafte Augen.“ Sein Vater war Gastwirt und Polizeikonfident. In dem Bestreben, seinen Schützling zu entlasten, behauptete sein Verteidiger, der alte Cabrinovic hätte seinen Sohn oft geschlagen und ihn schon als kleines Kind aus dem Haus gejagt. Mit anderen Worten: Der Bursch sei auf sich selbst wütend gewesen, nicht nur das, seine innere Wut gelte der ganzen Welt und Nedeljkos Redseligkeit verrate ein gewisses Gefühl von Aufrichtigkeit. Ein Budapester Blatt ließ einen Zeugen des Attentats, einen in Sarajewo weilenden Gardisten, zu Wort kommen: „Cabrinovic, ein typischer Serbe, mit fast tierischen Zügen,stand, die Bombe wurfbereit, mit vor Ekstase glühenden Wangen da.“

Schon gleich beim ersten Verhör war Cabrinovic viel aufgeschlossener als Princip, obwohl man hätte meinen sollen, es falle ihm schwer zu sprechen, denn das Gift, mit dem er nach der Tat Selbstmord begehen wollte, hatte die Schleimhäute seines Mundes angegriffen.

Auf die Frage nach der Herkunft der Bombe gestand Cabrinovic, ein Komitadschi habe sie ihm gegeben. Der Mann lebe in Belgrad und obwohl er viel mit ihm verkehrt habe, kenne er seinen Namen nicht. Den Spitznamen wisse er schon, der sei Cigom, ja, vielleicht heiße er Ciga-novic, vielleicht auch nicht. Genaueres könne er nicht angeben. Von Beruf sei er Sohreiber, irgendein Schreiber in irgendeinem Amt. Bomben besitze er in Mengen, ein ganzes Depot. Als Cabrinovic vor seiner Rückkehr nach Sarajewo ihn um eine ersucht habe, hätte dieser nicht gezögert und ihm sofort ein solches Ding überlassen.

Zu einem bestimmten Zweck? Cabrinovic antwortet auf diese Frage des Untersuchungsrichters: Natürlich, um ein Attentat zu begehen. Wozu sonst? An Attentate denke er schon lange, seit zwei Jahren träume er davon, träume immer wieder von der Ermordung hoher Persönlichkeiten. In Sarajewo habe er das Ding im Hause seines Vaters, Franz-Josef-Straße 69, im Hof unter Steinen gut versteckt. Kein Mensch wußte etwas davon, denn er habe sich niemandem anvertraut.

Auf die Frage, was sich am Morgen abspielte, gab Cabrinovic ausführlich Bescheid. Er habe die Bombe aus dem Versteck genommen, unter der linken Achsel verborgen und sei gegen halb acht Uhr losgezogen. Vor der „Kaiserkrone“ — ein paar Häuser weiter oben — traf er einen ehemaligen Schulkameraden, der jetzt als Schlosser arbeite. Nein, von den Mordabsichten habe sein Kamerad nichts geahnt, nicht das geringste. Daß sie dann zusammen in eine Photographentoude am Zirkusplatz gingen, sei.rjch^jg. Wgs^'^b i^^ch, habe photograpbieren lassen? Cabrinovic gab zu verstehen, nun sei er doch wohl eine Persönlichkeit geworden, die es verdiene, verewigt au werden, damit ein Andenken zurückbleibe. Und dann? Ja, dann seien sie zur Meisterbrücke gegangen, beim dortigen Anstandsort hätten sie zwei Männer getroffen, zufällig, völlig unschuldige Leute, die ebenfalls nicht eingeweiht waren, gar nichts von seinen Absichten gewußt hätten.

Cabrinovic schilderte hierauf, daß er, bevor er Aufstellung nahm, in den Gastgarten des Katic ging. Niedergelassen habe er sich dort nicht, auch keinen Tropfen getrunken, nur Grüße bestellt.

Und weiter? Ja, dann wählte er eben die richtige Stelle, den für die Tat günstigen Platz. Er fand ihn unweit der Cumirij abrücke, und als gegen zehn Uhr die Autokolonne heranrollte, griff er unter die linke Achsel, packte, als das Automobil des Thronfolgers sich näherte, seine Bombe, schlug ihre Kapsel an den elektrischen Leitungsmast, warf das Ding, und sah, wie es vom Auto abprallte, dann nahm er mit der linken Hand das Gift aus dem Papier... Was die Bombe anrichtete, ja, das habe er nicht wahrnehmen können, denn er sei gleich über die Kaimauer gesprungen, durch die Miljacka gewatet — die Detektive hinter ihm her, sie brachten ihn zur Polizei, auf dem Wege dorthin schlugen die Leute auf ihn ein („Berufene und Unberufene“), Wachleute, Detektive, Zivilpersonen ...

Weitere Einzelheiten, über die sich Cabrinovic auf „besondere Fragen“ äußerte:

Diese Bomben explodieren nach dem Aufstoßen der Kapsel in ungefähr 13 Sekunden, andere Waffen habe er keine gehabt. Seine Absicht? Einzig und allein die, den Thronfolger zu töten.

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