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Persönliche Motive

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Ob er für die Tat persönliche Motive habe, solche angeben könne?

Und ob! Beim Typographenstreik habe ihn die Polizei aus Sarajewo ausgewiesen, auf fünf Jahre. Er aber lebe hier bei seinem Vater, daher habe dieser die Landesregierung um Rücknahme der Ausweisung gebeten. Damals habe sich dann irgendein Regierungssekretär erlaubt, ihm, dem Setzer Čabrinovic, eine Predigt, eine Moralpredigt, zu halten. Man stelle sich nur einmal vor, welche Ungeheuerlichkeit! Ein Fremder wagt es, einem Einheimischen Anweisungen und gute Lehren zu geben! („Mir war das so verhaßt, ich bedauerte nur, keinen Revolver bei mir zu haben, ich hätte ihn getötet! Durch diesen Vorfall wurde mein Entschluß zum Attentat bestärkt. Er wurde konkreter”)

Aus beiden Aussagen, der des Princip und der des čabrinovič, lassen sich ohne Schwierigkeiten Parallelen herausfinden, die auf eine enge Zusammenarbeit deuten. Der eine wie der andere gestand, seine Waffen aus Belgrad bezogen zu haben, der Lieferant beider war ein Komitadschi, der auch das Gift lieferte. Der Zeitpunkt der Abreise war der gleiche, nämlich vor einem Monat, und auf den Gedanken, ein Attentat zu verüben, behaupteten beide vor zwei Jahren gekommen zu sein.

Die beiden Attentäter sind Austroserben oder, wie man amtlich sagt, „hierländische Serben”. Somit Untertanen des Kaisers von Österreich, denen aber ihre Mordwerkzeuge „drüben”, im serbischen Ausland, eingehändigt wurden. Bei den seit Jahren zwischen Österreich- Ungarn und Serbien gespannten Verhältnissen kann der kleinste Zwischenfall zu ernsten Konsequenzen führen. Erst recht, wenn es sich in der Untersuchung herausstellen sollte, daß man die Täter in Belgrad zur Ermordung des Thronerben ermuntert oder gar angestiftet habe.

Die Hausdurchsuchung

Dies zu beweisen wird aber nicht einfach sein. Die Hausdurchsuchung, die nachmittags stattfindet, gibt auf die Frage, wer das Verbrechen angestiftet hat, noch keine Antwort. Das in Gegenwart der Gerichtszeugen Mohammed Aga und Mustafa Tokie aufgenommene Protokoll läßt aber Rückschlüsse auf die Geisteshaltung der Verschwörer zu.

Der 24jährige Danilo Hie, der mit Princip die Bude teilt, ein eleganter junger Mann, den die Polizei schon lange in der Liste der verdächtigen Subjekte führt. Beim Kaiserbesueh 1910 hatte man ihn deshalb fürsorglich in Gewahrsam genommen. 1914 verzichtet die vorher so mißtrauische Polizei auf jede derartige Vorsichts maßnahme. Dabei ist gar nicht bekannt, wovon der Lehrer Ilic, der nach kurzer Lehrtätigkeit den Beruf an den Nagel gehängt hatte, eigentlich lebt Er schreibt zwar gelegentlich Artikel, doch was bringt das schon ein?

In Wirklichkeit ist Ilic ein gefährlicher Propagandist, ein Konspira- teur von Format, mit weitreichenden Auslandsverbindungen. Im Häuschen der Witwe Ilic, das er mit seinem Freund Princip bewohnt, findet man unter Matratzen und hinter Bildern Goldstücke und Geldscheine im Werte von mehr als 700 Kronen. Ein stattlicher Betrag für jemanden, dessen Mutter vom Wäschewaschen in fremden Häusern lebt und der selbst kaum etwas verdient. Über diesen verdächtigen Umstand befragt, erklärt Ilic, das müßten Ersparnisse der Mutter sein, sie sei so geizig, koche so sparsam, daß ihm sogar die Gefängniskost besser schmecke.

„…dann regt sich das Volk”

In einem engen Gäßchen des Bazarviertels, dort, wo Sarajewo noch ganz seinen orientalischen Charakter bewahrt, hinter der Chusrev- Beg-Moschee, in der Bude des Ilic und Princip, liegen haufenweise Beweise für die Existenz dieser Gewalten. Da lauern im Hinterhalt Produkte einer intellektuellen Kultur, von denen der naive bosnische Bauernsohn behauptet, ihr übermäßiges Studium habe ihn zugrunde gerichtet.

Beileibe nicht jene fünf Jahrgänge Meggendorfer Blätter, die ein kurioser Zufall in das Verschwörernest geweht haben muß. Dagegen paßt das Porträt des Anarchistenvaters Bakunin ins Milieu, denn dieser Michael Bakunin war es ja, an dessen Schriften man sich berauschen konnte. Bei den russischen Büchern, die hier stehen, sind Klassiker, aber auch Leonid Andrejev, dessen Erzählungen Danilo Ilic für seine Freunde übersetzte. Darunter „Die Geschichte der sieben Gehenkten”, das Hohelied der Attentäter auf die Bombenkameradschaft. Andrejev zeichnet mit psychologischer Raffinesse die Figur eines kleinen Mädchens, das von „unsäglicher Freude erfaßt wird, mitmachen zu dürfen”, das heißt mit seinen eigenen Worten, „die Ehre zu haben, mitgehangen zu werden, zur Gemeinschaft der Leuchtenden zu gehören, die durch Scheiterhaufen, Marter und Hinrichtung zum hohen Himmel einziehen”. Wenn die Kleine an die vor ihr gehenkten Kameraden denkt, jauchzt sie, „denn sie sieht ihre Gesichter hell, freudig und nah”. Auch Björnsons verstaubtes Erfolgsdrama „Über die Kraft” geht bei den Sarajewoer Verschwörern reihum, wird unter der Schulbank versteckt und mit Verbissenheit gelesen. Es ist ein Stück, in dem eine Pfarrerstochter ihren Bruder mahnt, durch „eine wahnsinnige Explosion des Bösen die Gewissen aufzurütteln”. Worauf er ausruft: „Hinüber, hinüber (in das Land des Todes)…nur wenn vom andern Ufer die Stimme ertönt, dann regt sich das Volk.” Propagandatraktätchen serbischer Provenienz, zur Verteilung unter Schülern bestimmt, fehlen nicht. Ihr Geist findet seinen Niederschlag in Aufsatzthemen, wie sie von serbischen Lehrern gestellt wurden: „Gott ruht im vergossenen Blute.” — „Das Attentat ist die Auferstehung der Nation.” — „Der Serbe wird im Blut geboren, lebt und stirbt im Blute.” — „Erlösung durch Arbeit, Leiden, Opfer.” Gefordert wird die persönliche Erneuerung. „Nationalismus im vollen serbischen Sinne muß sich zur Religion steigern…” Unter Briefen findet sich die Floskel: „Mit serbischem Gruß”, oder der Kampfruf: „Erhebe dich, lebe, kämpfe, weiche nicht.”

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