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Der Amtsvermerk la

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Sonntag, den 28. Juni, kurz vor elf.

Bis zum Kanonenschuß von der Gelben Bastion hat's noch eine gute Weile.

Statt das gewohnte Mittagsignal abzuwarten und dann nach Hause zu gehen, sieht sich der diensthabende k. u. k. Kanzleioffizial Johann Korda von der Hilfsämter-direktion der Landesregierung für Bosnien und Herzegowina genötigt, zu amtieren. In fliegender Hast erstattet er folgende Meldung:

„Um 10 Uhr und einige Minuten wurde gegen Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit, den Erzherzog Franz Ferdinand, ein Attentat verübt, bei welchem mehrere Personen verwundet, der Erzherzog und seine Suite unverletzt blieben.

Als einer der Attentäter wurde Nedeljko (Üabrtnouic, Typograph aus Trebinje, wohnhaft in Sarajewo, verhaftet.

Derselbe soll noch zwei Komplizen haben, weigert sich aber, die Namen derselben anzugeben. Nach den anderen Genossen wird gefahndet ... Der Revolverschuß hat niemanden getroffen, die Bombe aber wurde von Seiner Hoheit abgewehrt ... und verletzte dann mehrere Personen schwer und leicht... Die Absicht des Täters ging auf die Ermordung des hohen Paares.“

Gott sei Dank, heißt es: unverletzt geblieben.

Wahrhaftig Glück im Unglück. Welche Katastrophe und welche ziskaner und der Jesuiten stritten in aller Öffentlichkeit so arg, daß sich Rom einschalten mußte. Und die paar Juden? Auch unter ihnen Zwietracht und Hader; zwei Gruppen, die sich gegenseitig verachteten und deren Sprache verschieden war: spanisch und jiddisch-deutsch.

Unduldsamkeit, Haß, Groll und Bachsucht. Ein finsterer Fanatismus verschärfte alle Gegensätze: den Gegensatz zwischen Nation und Staat, zwischen Panslawismus und Pangermanismus, Freimaurern und Kirche, Islam und Christentum.

Ivo Andric nennt diese Walstatt der Geister: „Eine Zwischenwelt, in der sich aller Fluch eingenistet hat, der seit der Spaltung der Erde in zwei Teile, in Orient und Okzident, besteht.“

Und an diesem Ort des Fluches stößt am 28. Juni 1914 der Erbe des altehrwürdigen Habsburgerthrones auf eine Schar verhetzter, mordlüsterner Studenten nationalanarchistischer Gesinnung, die nicht nur bereit, sondern entzückt waren, „die jugendlichen Leiber hinzuwerfen“.fürchterliche Bescherung für die Landesregierung, wenn den Erzherzog-Thronfolger hier, ausgerechnet hier in Sarajewo, ein Unglück getroffen hätte.

Kaum hatte der Offizial Korda seinem Rapport die Kanzleizahl 1 gegeben, kaum hatte er ihn vorschriftsmäßig abgefertigt, kaum glaubte er, aufatmen zu können, da zwangen ihn neue, sich überstürzende Ereignisse, der eben verfaßten Meldung einen Amtsvermerk mit der Nachzahl 1 a anzuhängen:

„Am Rückweg bei der Einmündung der Franz-Joseph-Straße zum Appelkai gab in der gleichen Absicht der Tötung Gavrilo Princip aus dem, Hinterhalt einige Schüsse aus einem Browning-Revolver auf dieselben hohen Persönlichkeiten ab und tötete sie ... Strafverfolgung wird beantragt.

Am Anfang also steht der Amtsvermerk 1 a, der eine Lawine weiterer Amtsvermerke auslösen wird.

Ihm werden Millionen Nachzahlen, amtliche Dokumente einer apokalyptischen Heimsuchung, angehängt.

Vorerst aber führen die beiden Amtsstücke 1 und 1 a vom 28. Juni 1914 nur zu gerichtlichen Vorerhebungen. Lücken- und fehlerhaft, wie Darstellungen erster Eindrücke im allgemeinen sind, bedürfen Kordas Meldungen jedoch einiger Korrekturen.

Es ist unrichtig, daß der Schriftsetzer Cabrinovic, Attentäter Nummer 1, bevor er seine Bombe schleuderte, einen Revolverschuß abgegeben hatte.

Die Frage, ob der Erzherzog durch eine Armbewegung die Wurfbombe abwehrte, wurde, weil unwesentlich, nie geklärt.

Die Feststellung, daß aus der Suite niemand verletzt wurde, ist falsch.

Außerdem stand der Attentäter Nummer 2, Gavrilo Princip, mitten Im spalierbildenden Publikum, er zielte also nicht, wie es heißt, aus dem Hinterhalt in das offene Auto des Thronfolgers, sondern vom Trottoir aus.

Es ist 10 Uhr und einige Minuten: Attentäter Nummer 1, der Setzer Cabrinovid, wirft seine Bombe gegen das offene Auto, in dem das Thronfolgerpaar zum Rathaus fährt. Die herumfliegenden Sprengstücke verletzen mehrere Personen, richten einigen Sachschaden an, der Erzherzog und die Herzogin kommen aber wie durch ein Wunder mit dem Schrecken davon.

Ungefähr eine halbe Stunde später schießt der Gymnasiast Gavrilo Princip — an der sogenannten Schiller-Ecke stehend — auf den Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin, Herzogin von Hohenberg. Die Schauplätze der beiden Attentate sind an die 250 Meter voneinander entfernt

Kurz darauf, um 11.15 Uhr, es ist die erste amtlich vermerkte Zeit, steht der von einer wütenden Menge arg zugerichtete — sogar Offiziere schlugen mit stumpfen Säbeln auf ihn ein —, an Kopf, Rücken und Arm verletzte Doppelmörder im Verhör. Diese erste Vernehmung- findet „im, Ambulatorium der Polizei“ statt, vom „Kreisgericht Sarajewo“ durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft zog also den Fall in allerkürzester Frist an sich, entwand ihn der Polizei, ein Vorgang, der gesetzlich wohl zulässig, aber ungewöhnlich ist und daher auffällt. Ein ärztliches Protokoll über Prineips Vernehmungsfähigkeit fehlt im Akt. Seine klaren Angaben zeigen, daß der Attentäter zurechnungsfähig, also im vollen Besitz seiner Vernunft war, obwohl er behauptete, nach der Tat eine Zeitlang das Bewußtsein verloren zu haben.

Princip, der leidlich deutsch verstand, wurde in seiner Muttersprache einvernommen, und zwar durch einen Kroaten, den Gerichtssekretär Pfeffer.

Die Welt, über die Tat zutiefst betroffen und entsetzt, sah in dem jungen Attentäter, der mit Frevlerhand den Brand ins europäische Pulverfaß warf, ein „entartetes Tier“, einen „degenerierten Verbrecher, der die schwärzeste Tat der Geschichte“ begangen habe. Kart Kraus nahm das Attentat zum Anlaß, ganz allgemein den „Unwert politischer Werte“ anzuprangern. Princip nannte er einen Intelligenzbuben, der um 8 Uhr früh schon gewußt habe, daß er mittags den Staat auf den Kopf stellen werde und dem es mit geringeren Umständen als einem Napoleon gelingen könnte, die Landkarte Europas zu verändern.

waren natürlich gegenteiliger Ansicht; sie sahen in dem Mord die große Teils-Tat und in Princip ein Kind, das sich für die Einheit der Südslawen geopfert habe.

(Wird fortgesetzt)

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