Der unglückliche Untersuchungsrichter

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Der filmische Untersuchungsrichter, der in der ORF-ZDF-Koproduktion "Das Attentat - Sarajevo 1914" im Hauptabendprogramm vorgeführt wurde, hatte mit Leo Pfeffer, der vor einhundert Jahren das Attentat von Sarajevo aufklären sollte, wenig -bis gar nichts - zu tun. Die Fakten seines Namens und der Tatsache des Prinzenmords stimmten mit der österreichisch-ungarischen Realität überein. Eigentlich wenig, wenn nicht nur Geschichtsklitterung betrieben werden soll.

In den historischen Quellen ist von seiner Verliebtheit in eine schöne Serbin -wie sie der Film vorspielt -nichts überliefert. Nicht einmal der verstorbene serbisch-österreichische Schriftsteller Milo Dor, ohne Zweifel ein Könner und Kenner, spekuliert in seinem "Bericht über das Attentat von Sarajewo" mit dem Titel "Der letzte Sonntag" (Amalthea Verlag, 1982) in diese Richtung. Und Milo Dor hätte gegen eine saftige Liebesgeschichte wohl nichts einzuwenden gehabt. Milo Dor war ein Romancier der klassischen Schule, in der Eros und Thanatos ein gewichtiges Wort mitzureden hatten. Den Eros hätte gerade er wohlweislich nie ausgespart ...

Ein unscheinbarer Untersuchungsrichter

Leo Pfeffer lebte mit seiner Frau und zwei Kindern in Sarajevo und wunderte sich am Sonntag, dem 28. Juni 1914, als er sich nach dem gemeinsamen Frühstück zum Ausgehen bereit machte, dass der Erzherzog und Thronfolger gerade an diesem Tag, dem höchsten Festtag der Serben, dem Vidov dan, dem St. Veits-Tag, an dem sie am Kosovo polje, dem Amselfeld, im Jahr 1389 so schmählich den Türken unterlegen waren, Sarajevo besuchen wollte.

Damals anerkannte das abendländische Mitteleuropa die Tatsache, dass es von den Serben vor der moslemischen Vorrangstellung errettet wurde, bestimmt nicht im vollen Ausmaß. Auch Leo Pfeffer verschwendete daran keinen Gedanken, er dachte nur, dass Franz Ferdinand - und seine Einflüsterer -entweder mehr als stur waren oder überhaupt kein Taktgefühl hatten. "Wahrscheinlich traf beides zu", wie Milo Dor konstatiert.

Wie auch immer, Leo Pfeffer trat standesgemäß, das heißt, mit dunklem Anzug, weißem Hemd und zweifachem Krawattenknoten, aus dem Haus, und wollte sich mit Freunden im nächsten kafic, dem bosnischen Kaffeehaus, einen schönen Sonntag machen, ohne zu ahnen, dass er gerade an diesem Rast-und Ruhetag den ersten Höhepunkt seines bisherigen ruhmlosen Berufslebens erreichen würde.

Leo Pfeffer war getaufter Jude und hatte es in der österreichisch-ungarischen Justiz, die damals wohl von einer gewissen Abgehobenheit und Hochnäsigkeit geprägt war, bestimmt nicht leicht. Oft genug wurde er schief angesehen und war er wohl gerade wegen seiner assimilierten Herkunft erstens in die Provinz abgeschoben worden und zweitens auf einen Planposten, der nicht gerade nach großer Karriere roch.

Der Untersuchungsrichter Leo Pfeffer war weder besonders freundlich noch sehr streng, wie es auch bei Milo Dor heißt, er war einfach amtlich. Der Urheber des Lehrbuchs, aus dem Pfeffer für die Staatsprüfung aus Strafrecht gelernt hatte, hätte mit ihm keine Freude gehabt. Der damals allseits bekannte Professor Hans Groß, ein Lehrer des Juristen Franz Kafka, forderte, und zwar aus Erfahrung und zu Recht, einen Untersuchungsrichter mit umfassenden Kenntnissen und enzyklopädischer Bildung, zumal seine Arbeit keine Kunst, sondern ein Kunststück sei. Er forderte einen Untersuchungsrichter mit unermüdlichem Eifer und Fleiß, Selbstverleugnung und Ausdauer, Scharfsinn und Menschenkenntnis, Bildung und liebenswürdigen Formen, eiserner Gesundheit und Wissen in allen Gebieten. Er meinte, einen Richter müsse Schneidigkeit auszeichnen, außerdem gäbe es nichts Traurigeres und Unbrauchbareres als einen langweiligen, mattherzigen und schläfrigen Untersuchungsrichter.

Leo Pfeffer war in etwa das Gegenteil des Groß'schen Richters. Und bestimmt kein Don Juan. Er wollte nur seine Arbeit ohne Aufregung und in Ruhe erledigen, was beides gerade jetzt nicht mehr möglich war, zumal ihm die Wiener k.u.k-"Zentralbehörden" schon bald gehörig im Nacken gesessen sind. Eine besondere Infamie war wohl die Tatsache, dass sogar ein Beamter des Außenministeriums einige Zeit nach dem Attentat nach Sarajevo geschickt wurde, um dem Richter auf die Sprünge zu helfen.

Nicht die erwarteten Ergebnisse

Friedrich Ritter von Wiesner erreichte Sarajevo in den Morgenstunden des 11., Pfeffer hatte bis dahin nicht viel "weitergebracht", und hatte den Auftrag, bis zum 13. Juli 1914 über seine Untersuchungsergebnisse zu berichten. Der Außenamts-Sektionsrat konferierte nicht nur mit dem Untersuchungsrichter, sondern auch mit dem Statthalter Oskar Potiorek und hohen Beamten. In der heutigen Zeit könnte man eine Richterin oder einen Richter nicht stärker desavouieren.

Noch kurz vor dem Attentat wurde Leo Pfeffer sogar ein Disziplinarverfahren angedroht, weil man mit seiner richterlichen Leistung angeblich nicht zufrieden war, wobei sein Ursprung wohl auch ein Quäntchen an Ausschlag gab ... Das Attentat hatte ihn vielleicht vor einer sehr frühzeitigen Versetzung in den Ruhestand bewahrt, was aus heutiger Sicht jedoch nicht wirklich beurteilt werden kann.

Leo Pfeffer führte die Untersuchungen durch und schickte die Ergebnisse an den Wiener Hof, der nichts anderes erwartete als eine hundertprozentige Verstrickung der königlich-serbischen Regierung in das Attentat, womit er jedoch nicht aufwarten konnte, weshalb Sektionsrat von Wiesner - um es salopp zu sagen -ein bisschen nachhelfen musste. Freilich war der Diplomat mit völlig anderen Wassern gewaschen als der provinzielle Untersuchungsrichter, der sich davor sozusagen mit bosnischen Tagedieben herumschlagen musste.

Ultimatum und Kriegserklärung

Österreich-Ungarn waren Pfeffers Untersuchungsergebnisse eines, zumal er die rauchende serbische Browning-Pistole nicht präsentieren konnte. Wien schickte Belgrad ein unannehmbares Ultimatum und erklärte am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg. Der österreichische Generalstabschef erreichte beim Kaiser einen Generalmobilmachungsbefehl. "Der Kaiser schickte Soldaten aus." Der "Große Krieg" konnte beginnen und die Völker sich nun die Schädel einschlagen.

In Sarajevo setzte Pfeffer trotz des Kriegsausbruchs seine Untersuchung, die fast niemanden mehr interessierte, fort, und beendete sie am 21. September 1914. In Sarajevo wurde ab dem 12. Oktober 1914 am Kreisgericht die Hauptverhandlung in der Strafsache gegen Gavrilo Princip und 24 Genossen wegen des "Verbrechens des Hochverrats und Mordes" durchgeführt. Die serbische Armee stand an diesem Tag etwa dreißig Kilometer von Sarajevo entfernt. Leo Pfeffer war inzwischen kein Faktor mehr. Das Gericht schloss die Verhandlung am 23. und verkündete die Urteile am 28. Oktober 1914.

Neun Angeklagte wurden freigesprochen, mehrere zu langjährigen Haftstrafen und einige zum Tod verurteilt. Drei von ihnen hat die österreichisch-ungarische Justiz hingerichtet. Gavrilo Princip starb einige Monate vor Kriegsende in der Haft in Theresienstadt.

Dem Untersuchungsrichter Leo Pfeffer war weder in Österreich-Ungarn noch später eine große Karriere beschieden. Milo Dor meint, er habe sich nur noch "einsam und verlassen" gefühlt.

Der Autor ist Jurist und Schriftsteller. Sein Roman "Der Kaiser schickt Soldaten aus" befasst sich mit dem Attentat.

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