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Die Schuldigen und die Verantwortlichen

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Über Spuren, die der Untersuchungsrichter Pfeffer — aus welchen Gründen auch immer — nicht verfolgte, berichtete die letzte Fortsetzung unseres Tatsachenberichtes.

Wie es der Untersuchungsrichter Tag für Tag anstellte, dem Namen Tankosic (serbischer Major und Gründungsmitglied der „Schwarzen Hand”) auszuweichen, soll an Hand der Untersuchungsprotokolle für die Zeit vom 4. Juli bis zum Kriegsausbruch dargelegt werden:

Aus dem Geständnis des Danilo Ilic vom 4. Juli: „... in Belgrad ist ein gewisser Major Tankosic. Princip erzählte mir, daß er bei diesem Major war, der ihn unterwiesen habe, wie man das Attentat ausführen solle. Auch Ciganovic war dabei sehr beteiligt, denn er und Tankosiö sind große Freunde...”

5. Juli. — Der Landeschef an den Minister in Wien: „ .. .im weiteren Verlauf gab Ilic an, daß Čabrino- vic, Prinzip und Grabež durch Vermittlung des Ciganovic an den serbischen Major Tankoviö (im obigen Protokoll vom 4. Juli ist der Name richtig geschrieben, erst auf dem Weg vom Kreisgericht zum Landeschef verwandelt sich das s in ein v!) gewendet habe. .. Dieser instruierte die beiden, wie sie das Attentat auszuführen hätten..

Dem Bäcker glaubte niemand

In der Nacht vom 6. auf den 7. Juli wurde in Zavodoviči, einem bosnischen Nest, von der Gendarmerie ein Bäcker festgenommen. Durch seine Äußerung, das Attentat sei zu erwarten gewesen, hatte er den Verdacht erregt, von dem Komplott gewußt zu haben. Im Verhör gab er an, er sei zur Zeit der Annexionskrise 1908 in Serbien gewesen und dort von der Organisation Narodna Odbrana in eine Ausbildungsschule für Komidatschi geschickt worden, wo Tankosic Kommandant gewesen sei. Nachher habe er 20 Monate für die Narodna Odbrana gearbeitet, als er sich aber weigerte, ihr weiterhin zu dienen, habe man ihn eingesperrt und er mußte nach und nach 21 Arreste durchwandern. „In Serbien, namentlich in den Kreisen der Narodna Odbrana, herrschte”, sagte der Bäk- ker, „seit der Annexion großer Haß gegen unsere Monarchie, dort befindet sich eine Liste jener Persönlichkeiten, die als besondere Feinde Serbiens vernichtet werden sollen. Wer auf der Liste steht, ist mir nicht bekannt, der Kaiser jedoch nicht, der Thronfolger schon. Als ich dann hörte, daß letzterer nach Bosnien kommen werde, sah ich das Unglück voraus. Auf die Nachricht vom Attentat, sagte ich zu meinem Lehrling: ,Der Täter kann nur Ciganovic sein..” — Auf die Frage, warum er das nicht alles früher gemeldet habe, antwortet der Bäcker aus Zavodoviči: „Dreimal wollte ich den bosnischen Behörden Enthüllungen machen, dreimal wurde ich von der Landesregierung abgewiesen, da man mir keinen Glauben entgegenbrachte.”

Dafür glaubte ihm nach dem Attentat der Ballhausplatz. Sein Bericht über die Erlebnisse in Serbien bildete die Beilage Nr. 5 des Dossiers, das am Tag des Ultimatums den Großmächten zur Information übergeben worden war. Dies Material im Dossier nimmt mehr Raum ein als das des Sara- jewoer Untersuchungsrichters. Allerdings fehlt darin die Bemerkung des bosnischen Bäckers über das Verhalten der Landesregierung. Sie ging irgendwo auf dem weiten Weg von Zavodoviči über Sarajewo nach Wien zu den Großmächten verloren.

7. Juli. — Princip erklärte auf Befragen: „Wie schon gesagt, war ich es, der das Attentat angeregt hat. Ich wandte mich an Ciganovic, dieser wieder war im Einvernehmen mit dem Major Tankosiö, durch den er sich die Revolver verschaffen wollte. Später erzählte uns Ciganovic, Tankosiö habe ihm die Revol- ver übergeben. Ich persönlich kenne Tankosiö nicht, Grabez ging einmal zu ihm und ich glaube, daß der Major an ihn die Frage richtete, wozu wir diese Sachen, nämlich die Bomben und Revolver, brauchen.”

Verschwörer auf Urlaub

Im Gegensatz zu der Aussage des Ilic vom 4. Juli, Princip sei vom Major Tankosic unterwiesen worden, wie das Attentat auszuführen sei, nennt nun Princip den Grabez. Es erfolgt keine Aufklärung, Ilic wird dem Princip nicht gegenübergestellt. Ebenfalls an diesem 7. Juli ersucht ‘Außenminister Berchtold den österreichischen Geschäftsträger in Belgrad festzustellen: „...ob es in der Serbischen Armee einen Major Vojin Tankovic(sid) gibt... weiter ersuche ich Euer Hochwohlgeboren wenn möglich in Erfahrung zu bringen, ob ein gewisser Milan Ciganovic derzeit Beamter bei den serbischen Staatsbahnen ist. Anfrage und Erkundigungen müssen geheim bleiben.”

Die Antwort erfolgt umgehend am gleichen Tag: „Voislav Tankoviö (richtig Tankosiö), Infanteriemajor, hier mehr bekannt unter seinem Namen als früherer Bandenchef Woiwod Voja... Milan Ciganovic ist provisorischer serbischer Eisenbahner, zirka 25 Jahre alt, blond, aus Bosnien gebürtig, Mitglied der Narodna Odbrana. Am Tag des Attentates soll Ciganovic noch in Belgrad geweilt haben, verließ aber drei T-age später über Aufforderung der Polizejpräfektur die Stadt, begab Sich nach Ribare, mit anscheinend ad hoc ausgestelltem Krankheitszeugnissen und einmonatigem Urlaub. Ich bemerke, daß ich über Ersuchen fast alle diese Informationen der Landesregierung in Sarajewo schon früher bekanntgegeben habe” 11. Juli. — Das gemeinsame Finanzministerium gibt an diesem Tag der Landesregierung bekannt, der nach Sarajewo zur Berichterstattung entsandte Sektionsrat Doktor von Wiesner, „hat über seine Eindrücke nach Durchsicht der Untersuchungsakten bis zum 13. Juli zu telegraphieren.”

12. Juli. — Pfeffer verhört čabrinovič, stellt jedoch wieder keine Frage nach Tankosic.

13; Juli. — Das bekannte Telegramm des Sektionsrates Doktor von Wiesrier (es spielt noch bei den Friedensverträgen des Jahres 1919 eine Rolle!): „Durch Aussagen kaum anfechtbar festgestellt, daß Attentat in Belgrad beschlossen und unter Mitwirkung serbischer Staatsbeamter Ciganovic und Major Tankosic vorbereitet.”

Kein neues Belastungsmaterial, nicht um eine Silbe mehr als in Wien schon seit dem 5. Juli bekannt ist. An diesem Tag wird čabrinovič dreimal verhört, und zwar legt ihm Pfeffer eine Photographie vor, auf der auch Tankosic zu sehen ist. Die Reaktion des čabrinovič: „Den Major habe ich… nie gesehen, aber ich kenne sein Bild von Ansichtskarten… Ciganovic erzählte, er gehe jeden Tag zu Major Tankosiö und er sei ein guter Freund von ihm... Ob Tankosiö gewußt hat, daß wir das Attentat begehen werden, kann ich nicht sagen... als wir uns am Abend trafen, nämlich Grabez, Ciganovic und Princip, sagte Ciganovic, er habe mit einem Wechsel Geld behoben und zur Anschaffung von Revolver und Patronen verwendet.”

15. Juli. — Pfeffer zeigt Grabež die Photographie des Major Tankosic. Er erkennt ihn und sagt: „Das ist der Mann in Uniform, ich habe ihn wiederholt gesehen.” — Pfeffer: „Hast du niemals mit ihm gespro- chn?” — Grabez: „Ich habe niemals mit ihm gesprochen.”

19. Juli. — Der Gerichtssekretär zeigt Princip Photos. Der erkennt den Major und meint: „Aus den Gesprächen des Ciganovic entnahm ich, daß wir in unserem Unternehmen von Tankosiö unterstützt werden.” — Pfeffer: „Danilo Ilic sagte (am 4. Juli!), du hättest ihm erzählt, du wärst bei Tankosiö gewesen und er habe dich unterrichtet, wie das Attentat auszuführen sei.” — Princip: „Vielleicht habe ich das gesagt, damit ihm die Sache mehr imponiert. Aber bei meiner Ehre und Gewissen, ich sprach nie mit Tankosiö, und nachdem ich alles, was ich über ihn weiß, aussagte, würde ich auch das gestehen.” — Pfeffer: „Du gabst an, Grabez sei bei dem Major gewesen. Bei welcher Gelegenheit war das?” — Princip: „Sagen Sie dem Grabez, ich lasse ihn ersuchen, er solle die ganze Wahrheit angeben”

„Bist Du entschlossen?”

Nun erst, nachdem Princip seine Zustimmung gegeben hatte, schildert Grabez seinen Gang zum Major Tankosic, dem Vertreter der Zentralleitung der „Schwarzen Hand”. Von der Geheimorganisation selbst verriet Grabež kein Wort. Der Grund, weghalb Princip ihn dorthin, nicht .beglejtįtę, dürfte d.er gewesen sein, daß er dem Major nicht gegenüber - . treten wollte, der .ihn, schon .einmal — das war 1912 — als er sich zu seiner Komidatschi-Einheit freiwillig meldete, abgewiesen hatte, und zwar wegen seiner „körperlichen Schwächlichkeit”. Bei čabrinovič wieder fürchteten die beiden Freunde, er könnte mit seiner „Geschwätzigkeit” einen schlechten Eindruck machen. Grabež: „Es ist schwer alles einzubekennen und ich würde lieber sterben… Wir kamen zur Wohnung des Tankosiö. Wir warteten eine halbe Stunde bis Vojan Tankosiö kam: Ciganovic sagte ihm sofort: ,Das ist einer von denen.” Er schaute zuerst Ciganoviö an, dann mich und sagte: .Bist du derjenige? Bist du entschlossen?” Ich erwiderte: ,Ich bin es” “.

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