Ich weiß nicht, ob es meine Kugeln waren

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Das Sarajevo-Attentat jährt sich am 28. Juni zum einhundertsten Mal. Aus heutiger Sicht, meint der Jurist und Schriftsteller Janko Ferk, könnte man die Frage stellen, ob Gavrilo Princip tatsächlich der Doppelmörder war.

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Das Sarajevo-Attentat jährt sich am 28. Juni zum einhundertsten Mal. Aus heutiger Sicht, meint der Jurist und Schriftsteller Janko Ferk, könnte man die Frage stellen, ob Gavrilo Princip tatsächlich der Doppelmörder war.

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Im vorigen Jahrhundert haben zwei Attentate die Welt zuerst erschüttert und dann verändert, und zwar jene auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und den charismatischen US-Präsidenten John F. Kennedy.

Die Morde von Sarajevo -zum Opfer fiel auch Franz Ferdinands Ehefrau Sophie -jähren sich am 28. Juni zum einhundertsten Mal. Seit mehreren Wochen stürzt über den deutschsprachigen Raum eine Bücher-Lawine herein, die in der Verlagsgeschichte ihresgleichen sucht. Es erscheint Buch um Buch, wobei nur noch der Band mit dem Titel "Franz Ferdinands Lieblingsgerichte aus der böhmischen Küche" fehlt

Ein Name ist seit dem - für die österreichisch-ungarische Monarchie verhängnisvollsten - Tag untrennbar mit jenem des Attentäters verbunden. Es wird in Mitteleuropa kaum einen halbwegs gebildeten Menschen geben, der mit Gavrilo Princip nichts anzufangen wüsste. Mit dem Namen des Serben, der einen Weltenbrand entfachte und am Klöppel des Habsburgischen Todesglöckleins zupfte.

Der wahre Killer?

Seit dem Geschichtsunterricht am Gymnasium haben mich die beiden Anschläge, in der Schule wurde naturgemäß keine Zeitgeschichte und damit nichts über Kennedy vorgetragen, interessiert. Nach der Fachliteratur habe ich bald belletristische Titel gelesen. Ansprechend war Ferdinand Mays Roman "Das Attentat von Sarajevo" (1975) und geglückt Milo Dors "Der letzte Sonntag" (1982). May und Dor wählen völlig verschiedene Perspektiven. Der Deutsche May erzählt klassisch und relativ genau, was in Sarajevo geschehen ist, der Austro-Serbe wählt für seinen "Bericht" die hochinteressante Perspektive des Untersuchungsrichters, eines müden Juristen, dem längst vor dem Anschlag wegen seiner mangelnden Fähigkeiten sogar mit der Versetzung in den Ruhestand gedroht wurde.

Mich hat neben der Frage, woher, wie und wo die Fäden zum Attentat zusammengelaufen sind, vor allem das Problem der judiziellen, sprich gerichtlichen Behandlung Gavrilo Princips und seiner Helfershelfer interessiert, weshalb ich ihn in meinem Sarajevo-Roman "Der Kaiser schickt Soldaten aus" kryptisch sagen lasse: "Ich weiß nicht, ob es meine Kugeln waren." Naturgemäß ein parallelverschobener Gedanke, zumal bis heute nicht überzeugend geklärt ist, ob John F. Lee Harvey Oswald oder gar einem der eigenen Geheimdienste zum Opfer gefallen ist. Ich will in dieser Literatur-Lawine nicht weniger als die berechtigte Frage provozieren, ob der zwanzigjährige Gavrilo Princip der wahre Killer ist.

Der Serbe Gavrilo Princip hat - wie es geschichtliche Quellen, ich habe auch solche in seiner Sprache studiert, sagen -mit der Qualität eines Snipers, das heißt, kaltblütig und präzis, binnen Sekunden zwei Menschen erschossen, getötet, umgelegt. Jede Armee und jedes Einsatzkommando der Welt würden ihn mit offenen Armen, wie man so schön sagen kann, aufnehmen. Nur - und da fangen die gedanklichen Schwierigkeiten an -die "Schwarze Hand", eine Terroreinheit, deren Ziel ein Großserbien und deren Motto zu Deutsch "Einigkeit oder Tod" lautete, wollte ihn nicht in ihren Reihen wissen, war er doch ein junges blasses und schmächtiges Bürschlein ohne abgeschlossene Schulbildung, zwar Gymnasiast, aber mit zwanzig noch ohne Reifezeugnis. Wäre Princip der überzeugende Scharfschützenanwärter, hätte ihn Major Vojislav Tankosi´c, an den er sich rund zwei Jahre vor dem Attentat zur Aufnahme gewendet hat, wohl aufgenommen. Dazu kommt, dass Princip nicht nur keine abgeschlossene Schulsondern überhaupt keine Schießausbildung hatte. Freilich kann man tatsachengemäß einwenden, Princip hätte die Schüsse aus der sogenannten unmittelbaren Nähe abgegeben.

Manche Fragen blieben ungestellt

Die Schießausbildung, die Princip und seine Komplizen erhalten haben, erfolgte nicht etwa durch einen Fachmann, sondern rund einen Monat vor der Tat, am 25. Mai 1914, durch den lässigen Eisenbahnbeamten Cigo C a brinovic´. Er ging mit den Burschen in einen Wald bei Belgrad, wo mit Brownings auf Bäume geschossen wurde und viele Kugeln daneben gingen. Noch bevor sie an das Gerät gewöhnt waren, beendete der Eisenbahner den Unterricht. Die Bombenunterweisung erfolgte nicht einmal anschaulich, sondern gar nur mündlich. Später waren gerade die Sprengkörper schlüssige Beweise, dass Serbien beim Attentatsplan mitgemischt hatte, war in sie doch die klare Herkunft mit "Heeresmagazin Kragujevac" eingeprägt.

Falls Princip die Schüsse nicht nur abgegeben, sondern mit ihnen effektiv, das heißt, todbringend getroffen hat, war er wohl der geborene Meisterschütze. Was aber, wenn die Hand eines Meisterschützen am Abzugshahn und sein scharfes Auge über Kimme und Korn eines (Militär-)Gewehrs aus sicherer, aber nicht allzu großer Entfernung, ein bisschen nachgeholfen haben ... So scharfsinnig und -schüssig, wie in Dallas anno 1963, wird man wohl auch in Sarajevo 1914 gewesen sein

In den Dokumenten zum Attentat finden sich keine expliziten Hinweise darauf, dass die Obduktion der Habsburgischen und Hohenbergischen Opfer den Untersuchungsrichter fragen hat lassen, ob die präzisen Treffer allenfalls mit Gewehrpatronen erzielt worden sind. Auch im Schwurgerichtsverfahren, in dem sich Princip zwar als geständig, aber schweigsam erwies, wurden diese Fragen mit keinem Wort erörtert. Es hat niemanden interessiert, ob er überhaupt befähigt war, mit seinem Browning "erfolgreich" umzugehen und ob es sich in den Leichnamen der Opfer um Pistolenkugeln gehandelt hat. Vielleicht sollte einem dazu das Wort Staatsräson einfallen.

Ein schnelles Urteil

Im Strafverfahren, das bereits im "Großen Krieg" stattfand, war man darauf aus, möglichst schnell, zu einem Urteil zu kommen, wobei Princip einem tödlichen nur wegen seiner Jugend entging. Wie auch immer, das im Gerichtsverfahren geltende Strafprozessrecht, das zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet hat, war die Strafprozessordnung 1873 des Legisten Julius Glaser, die bereits einem "modernen" Anklageprozess mit den Grundsätzen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, der freien Beweiswürdigung und der Funktionsteilung zwischen Ankläger und Richter zum Durchbruch verhalf. Vom Inquisitionsprozess war man damals schon ein paar Meter entfernt und war die Strafprozessordnung, die bis vor wenigen Jahren in Geltung stand, natürlich x-fach novelliert, durchaus grundrechtsfreundlich. Hätte man den Willen gehabt, Gavrilo Princip menschenrechtswürdig zu verurteilen, wären die notwendigen Mittel zur Verfügung gestanden.

Und so ist Gavrilo Princip am 29. April 1918 "weit weg von seiner geliebten serbischen Heimat und nach immerwährenden Qualen in Theresienstadt" verstorben, wie es in meinem Sarajevo-Roman heißt. Vielleicht hat nicht einmal er selbst gewusst, ob es seine Hand war, die Sophie und Franz Ferdinand, der beileibe kein Slawenhasser war, niedergestreckt hat ...

Janko Ferk ist Jurist und Schriftsteller und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/ Univerza v Celovcu |

Der Roman "Der Kaiser schickt Soldaten aus" wird am 5. Februar, um 18.00 Uhr, im Landesmuseum in Klagenfurt in Anwesenheit des Landeshauptmanns Peter Kaiser vorgestellt.

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