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Die Schuldigen und die Verantwortlichen

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Über einen rätselhaften Holzkoffer und seinen Inhalt berichtete die vergangene Fortsetzung unserer Sarajewo-Dokumentation.

Der Tag nach dem Attentat — der 29. — ist ein Tag ohne Verhöre.

Mit einer Ausnahme: die flüchtige und kurze Einvernahme des Ilic.

Ilic ist jener junge Mann, der Princip Quartier gab und bei dem nicht nur eine Menge Bücher, sonder auch — gut versteckt — Banknoten, Goldstücke und Patronen gefunden wurden.

Ilic ist 24 Jahre alt, Stipendien serbischer Vereinigungen und der bosnischen Landesregierung hatten ihm das Studium auf der Lehrerbildungsanstalt. ermöglicht.

Nach kurzen Gastspielen als Lehrer, Bankangestellter, dann als Korrektor in der serbischen Lokalzeitung wurde er Journalist. Jetzt schreibt er gelegentlich Artikel, macht Übersetzungen, nennt sich Schriftsteller, lebt aber in der Hauptsache von seiner Mutter, die vor 20 Jahren ihren Mann verlor und seither ihr Geld durch Wäschewaschen verdienen mußte.

Das Geldverdienen reizte ihn nicht sehr, und zwar deshalb, weil die Landesregierung von ihm, wie er behauptete, die Studienbeihilfe zurückverlangte. Und dafür sich zu plagen hätte wohl wenig Sinn.

Princip meinte einmal über den Journalisten Ilic: „Der? Das ist ein Herr! Ein richtiger Herr!“

Vielleicht war es eine Anspielung auf das kavaliermäßige Aussehen des Journalisten — Ilic trug gerne doppelthohe Stehkragen. Vielleicht aber, und das ist wahrscheinlicher, meinte Princip, daß Ilic herrenmäßig anzuschaffen verstand.

Anzuschaffen? Wem? Jugendlichen Verschwörern? Ein Verdacht, für den noch kein Beweis vorhanden ist. ..iSafrß tysnuj

Das Verhör wird abgebrochen

Fürs erste geht es dem Untersuchungsrichter darum, festzustellen, ob die beiden, Ilic und Princip, miteinander befreundet waren.

Ilic verneint im Verhör eine diesbezügliche Frage.

Wohl kenne er den Gymnasiasten seit fünf bis sechs Jahren, doch von einer intimen Bekanntschaft könne keine Rede sein. Längere Spaziergänge hätten sie nie gemeinsam unternommen, sich kauni im Kaffeehaus getroffen, vielleicht ausnahmsweise zufällig im „Kairo“. Von Princips Ideen wisse er nichts, denn er, Ilic, habe sich nie mit Politik befaßt. Als zukünftiger Lehrer habe er sich für die Höherentwicklung des Volkes, ganz allgemein für Volksbildung interessiert. Mit wem Princip verkehrte? Auch das sei ihm unbekannt.

Kaum daß das Verhör im Gange war, wurde es auch schon abgebrochen. Der Untersuchungsrichter, ein junger Gerichtssekretär, bekam plötzlich den Auftrag, sich schleunigst ins Kreisgericht zu begeben.

Wozu wohl?

Möglich, daß die wilden Demonstrationen, die dem 29. Juni das Gepräge gaben, Anlaß der Unterbrechung waren.

Möglich aber auch, daß der Ge- richtssekrctär neue Informationen erhielt, so zum Beispiel, daß dieser Danilo Ilic „polizeibekannt“ war und als verdächtige Person schon beim Besuch des Kaisers im Jahre 1910 hinter Schloß und Riegel verwahrt wurde. (Diesmal schienen sich solche Sicherheitsmaßnahmen zu erübrigen!)

Ferner wäre es möglich, daß die Unterbrechung mit dem seltsamen Verbot zu tun hatte, das an diesem Vormittag für die Polizei — nicht von der Polizei! — erlassen wurde. Untersuchungsrichter Pfeffer berichtet darüber: „Senatspräsident Chmielewski teilte mir mit, daß die Polizeiorgane nachts verhörten und daß sie ihnen mit Lapsis die Wunden ausbrannten. Mir gegenüber beklagte sich weder Princip noch čabrinovič, daß sie von der Polizei gefoltert wurden, und ich habe sie nicht befragt. Ich beschwerte mich aber beim Senatspräsidenten über das Verhalten der Polizei. Damit fernerhin der Zutritt zu den Beschuldigten verhindert werde, wurde ein Losungswort ausgegeben, ohne das das Militärgefängnis nicht betreten werden durfte. Von diesem Zeitpunkt an konnte niemand ohne meine schriftliche Genehmigung und ohne Kenntnis des Losungswortes zu den Beschuldigten gelangen.“

Standrecht verhängt worden. Man habe njit :Absjcht zugewartet. Dieser Ansicht ist nicht nur der Untersuchungsrichter Pfeffer,’ sondern in einem ähnlichen Sinne drückt sich auch Generaloberst Baron Bolfras aus.

Über die Demonstrationen meldete der Landeschef Potiorek an seine übergeordnete Dienststelle, das gemeinsame Finanzministerium in Wien beziehungsweise an den Finanzminister am 30. Juni: „Die sittliche Empörung der katholischen und muslimanischen Bevölkerung über die verruchte Mordtat artete... in bedauerliche Exzesse aus, indem die Geschäfte der Konationalen der beiden Attentäter durch jäh zusammengerottete, zahllose ... Gruppen der Kroaten und Muslimanen im wahrsten Sinn des Wortes deva- stiert wurden. Vollzählig ausgerückte Polizei unter Gendarmerieaufgebot, ja selbst das Militär war diesem irregeleiteten Gefühlsausbruch ... gegenüber geradezu ohnmächtig ... daß dieselben nur lose Geschäfte.... ferner der serbische Klub, im wahren Sinne des f Wortes, vollkommen devastiert. f Plündernde Elemente wurden von l den Demonstranten, unter denen i sich sogar Damen der besseren ; Stände befanden, selbst ausgeschie- ‘ den. Als bezeichnend für den , Charakter der Demonstration ; möchte ich noch hervorheben, daß abgesehen von einigen Verletzungen leichter Natur den Serben kein Leid angetan wurde, dagegen aber ( durch Serben (der) Katholik ... er- i schossen wurde, ferner ... verletzt i wurden. Mit der Publizierung des Standrechtes um vier Uhr nach- mittags trat sofort Ruhe ein. Die i Publikationen wurden überall mit Hochrufen auf Seine Majestät be- i; grüßt...

Ich habe den Eindruck, daß die ; Exzesse nicht so ausgefallen wären,

! wenn die serbischen Radikalen nicht die unter dem unmittelbaren Eindrücke der Schandtat stehenden i Katholiken und Muslimanen durch ihr zynisches, teilnahmsloses Ver- : halten gereizt hätten ...“

Wie kam es zum Standrecht?

Wiener Blätter verlangten Aus- 8 kunft, wieso es zur Verhängung des Standrechtes gekommen war, ein

Tagblatt bat die Landesregierung um authentische Auskunft. Die Antwort war nichtssagend-amtlich: „Betreffend der heutigen Ereignisse bemerken wir, daß die patriotischen Manifestationen der Kroaten und Muslims imposant waren und der großen Erregung aller Gemüter über das furchtbare Verbrechen Ausdruck gaben, aber zu bedauerlichen Ausschreitungen gegen serbische Einwohner der Stadt führten.“

Die „Arbeiter-Zeitung“ vom 1. Juli hielt sich nicht zurück, sie meinte, wenn die Polizei zeitgerecht eingegriffen hätte, wäre es überhaupt zu keinen Gewalttätigkeiten und Verwüstungen gekommen, hörten sie doch sofort auf, als abgepfiffen wurde. Wörtlich schreibt das Blatt: „Aber die Herrschaften in Sarajewo, die um ihre Postchen zittern, weil unzweifelhaft ihre Kopflosigkeit an dem ganzen Gelingen des zweiten Attentates die Hauptschuld hat, brauchten eine möglichst eindringliche Demonstration der patriotischen Gesinnungen, um ihre politischen Verwaltungsergebnisse in ein besseres Licht zu setzen. Darum wurden zuerst beide Augen zugekniffen und bald war es dann zu spät.“

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