Nationalistischer Furor, jugendliche Rebellion

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Im Vorfeld des Gedenkjahres zum Ersten Weltkrieg zeigt das Schauspielhaus Wien ein neues Stück von Biljana Srbljanovic über den Attentäter von Sarajevo.

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Im Vorfeld des Gedenkjahres zum Ersten Weltkrieg zeigt das Schauspielhaus Wien ein neues Stück von Biljana Srbljanovic über den Attentäter von Sarajevo.

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Unter der Leitung von Andreas Beck konnte sich das Wiener Schauspielhaus in den letzten Jahren als Talenteschmiede junger Dramatiker etablieren. Beck wird 2015 ans Theater Basel wechseln, die Erfolge seiner jüngsten Produktionen geben ihm einen ausgezeichneten Leumund mit. Mit dem aktuellen Stück der umjubelten Belgrader Dramatikerin Biljana Srbljanovic hat Beck wieder sein gutes Gespür für innovative Theaterleistungen bewiesen. Ihre Belgrader Kriegstagebücher der Jahre 1998 und 1999 verhalfen der jungen Autorin (*1970) zum europäischen Durchbruch.

Wechselvolle serbische Geschichte

Mit der Uraufführung des jüngsten Dramas "Princip (Dieses Grab ist mir zu klein)" setzt sie sich erneut mit den Folgen von Fanatismus und falsch verstandenem Patriotismus auseinander. Diesmal ist es die historische Figur des jungen Rebellen und Attentäters Gavrilo Princip, an dessen Schicksal entlang sie die wechselvolle Geschichte Ex-Jugoslawiens verhandelt. Auf die weißen Bühnenwände sind Zitatfetzen und Fotografien projiziert, eine Stimme aus dem Off liest Zeitungsmeldungen und Aktennotizen vor, die Zeit kurz vor und nach dem Attentat von Sarajevo 1914 vermischt sich mit aktuellen Ausschnitten der jüngsten serbischen Vergangenheit. Zwei junge Männer stürmen auf die Bühne, Gavrilo Princip sowie sein Freund und Mitverschwörer Nedeljko Cabrinovic (Martin Vischer und Simon Zagermann). Während die Polizei auf den Straßen nach ihnen sucht, verstecken sich die beiden im Haus der jungen Wirtstochter Ljubica (Nicola Kirsch).

Gleich zu Beginn erzeugt Regisseur Michal Zadara mit wenigen Mitteln eine eindringliche Atmosphäre, allein Licht und Ton erschaffen in jeder Szene einen neuen Bühnenraum. Im Wirtshaus nimmt die vage Idee eines Anschlags langsam Gestalt an, nationalistischer Wahnsinn trifft sich mit dem ungestümen Wunsch der Jugend nach Veränderung. Die beiden Mitglieder des serbischen Geheimbundes "Die Schwarze Hand" Danilo und Apis (Gideon Maoz, Florian von Manteuffel) werden zu den Anstiftern des Mordanschlags, die erst 15-jährige Ljubica wird zur Mitwisserin und zum ersten - ungeplanten - Opfer des Terroraktes vom 28. Juni 1914.

Das psychologische Täterprofil wird von Srbljanovic Szene für Szene weiter entwickelt und von Zadara in starken Bildern inszeniert. Abschnittsweise mutiert die Handlung beinahe zu einer Coming-Of-Age-Komödie, in der junge Männer ihren Weg ins Erwachsenenleben suchen. Es fehlt nicht an rebellischen Attitüden und hilflos-komischen Annäherungsversuchen. Pot, Petting und Party, eine ganz normale Jugend in Sarajevo, wie sie sich von Generation zu Generation überall auf der Welt wiederholen kann. Erst die Bilder vom Attentat und der minutengenaue Ablaufbericht am Ende des ersten Teils führen wieder in die bedrohliche Stimmung kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Nationalistische Verblendung

Dem zweiten Teil fehlt es an dieser Präzision und Leichtigkeit. In pathetischen Tönen wird das Sterben von Gavrilo, Nedeljko, Danilo und Apis in einem düsteren Kerker nachgezeichnet. Am Ende werden 100 Jahre Geschichte in schnellen Rückblenden zusammengeführt. Holocaust, Völkermord und Heldenverehrung - für Srbljanovic stellt sich nicht die Frage des Zusammenhangs, sie stellt die Brutalität nationalistischer Verblendung in den Vordergrund ihrer Arbeit. Der Schluss zitiert den Anfang vom Ende: "Und unsere Gräber werden zu Europa sagen: Der Jugoslawe muss seine Freiheit erringen".

Princip (Dieses Grab ist mir zu klein) Schauspielhaus Wien 30., 31. Oktober, 16., 17., 27. November

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