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Der serbische Österreicher Milo Dor, Schriftsteller und kämpferischer Humanist, wird 80 Jahre alt.

Vor 60 Jahren wurde ein junger Serbe zur Zwangsarbeit nach Wien deportiert. Zuvor war er von der Gestapo gefoltert worden, weil er dem serbischen Widerstand gegen die deutsche Besetzung Belgrads angehörte. Schon vor dem Krieg war er wegen politischer Kritik vom Schulbesuch im Königreich Jugoslawien ausgeschlossen worden. In Wien ist er zum Schriftsteller geworden. Am 7. März feiert hier er seinen 80. Geburtstag: Milo Dor

In der Nachkriegszeit veröffentlichte Dor seine erste Erzählung in Otto Basils Literaturzeitschrift "Der Plan", und bald darauf erschien ein Band Erzählungen. Doch 1952 wurden Zeitschrift und Verlag ein Opfer der Währungsreform. So hatte er seine Produktionsmöglichkeiten in Österreich verloren, wurde aber in Deutschland durch die Lesung bei der "Gruppe 47" bekannt; Dor unterlag bei der Preisvergabe mit nur einer Stimme gegen Heinrich Böll.

Ein halbes Jahr später erschien der Roman "Tote auf Urlaub" . Seine protokollarisch-genaue Darstellung faschistischer Folter steht in der österreichischen Nachkriegsliteratur einsam da. Die einfache Sprache dieser Chronik von Getötet-Werden und Töten, von Angst, Flucht und Folter zeigt die Alltäglichkeit des Schreckens und hat auch heute nichts von ihrer Wirkung verloren.

"Displaced person"

Später hat Dor diesen Roman in die Vergangenheit und in die Zukunft fortgeschrieben: "Nichts als Erinnerung", ein farbiges Panorama von Charakteren und Lebensgeschichten aus der untergegangenen mitteleuropäischen Welt des Banat, ist die Vorgeschichte zu "Tote auf Urlaub". Und "Die weiße Stadt" verfolgt den Weg des Haupthelden Mladen Raikow in das Wien der Nachkriegszeit, in dessen Literatur und Gesellschaft sein Autor Milo Dor weitgehend fremd geblieben ist. Dass Dor in dem Land, wohin er von den Nazis zur Zwangsarbeit verschleppt worden war, als "displaced person" galt, war eine Schlüsselerfahrung, die er mit Paul Celan teilte: "Obwohl wir in der Folge die französische beziehungsweise die österreichische Staatsbürgerschaft erwarben, waren wir samt unserem altösterreichischen Erbe noch immer Fremde in einer Welt, die von der einstigen, von den Bürgern jüdischer Herkunft geprägten Universalität des Vielvölkerstaates sehr weit entfernt war", wie er in dem neu erschienenen Essayband "Grenzüberschreitungen" schreibt.

Als Milo Dor 1923 in Budapest geboren wurde, war die Donaumonarchie schon zu Ende und Europa in Nationalstaaten aufgeteilt, doch er wuchs in einer Gegend auf, wo diese Aufteilung gerade nicht funktionierte: im Banater Großbetschkerek, dem heutigen Zrenjanin. In den "Grenzüberschreitungen" erinnert er sich daran: "Auf dem Korso dieser typischen k.u.k. Stadt konnte man außer den serbischen, deutschen und rumänischen auch sehr viele ungarische Laute hören, die mir sehr vertraut waren. Es war wie ein Chorgesang in verschiedenen Tonlagen, die doch eine gewisse Harmonie ergaben, die Harmonie der menschlichen Stimmen."

Vermittler zwischen Kulturen

Solche Erinnerungen gerinnen bei Milo Dor nicht zur Nostalgie, sondern werden literarisch produktiv und haben ihn zu einem Übersetzer und Intellektuellen werden lassen, der sich an vielen Diskussionen beteiligt und mit großem persönlichen Einsatz kroatisch-serbisch-moslemische Dialoge initiierte; er ist einer der bedeutendsten Vermittler zwischen den Literaturen und Kulturen Ex-Jugoslawiens und dem deutschen Sprachraum. Er hat Vasko Popa, einen der größten serbischen Lyriker des 20. Jahrhunderts, ebenso übertragen wie Miroslav KrleÇza und Ivo Andri´c; gerade sind in seiner Übersetzung die "Memoiren eines Antihelden" des serbischen Juden Jovan Sekelj erschienen - als "Kaddisch, das ein ungläubiger Christ für einen ungläubigen Juden spricht", wie Dor im Vorwort schreibt. Immer wieder hat er engagierte, vor allem aber aus Kenntnis und Erfahrung gespeiste Plädoyers gegen Fremdenfeindlichkeit und österreichischen Provinzialismus gehalten; heute votiert er für die EU-Erweiterung.

Die neunziger Jahre haben neue Aufmerksamkeit auf Milo Dors Themen gelenkt: Der Krieg in Ex-Jugoslawien hat seinen Büchern traurige Aktualität verliehen; historisch-politische Lektüre erkennt in ihnen die Vorgeschichte des Hasses und der gegenwärtigen Konflikte. "Leb wohl, Jugoslawien" (1993), eines seiner erfolgreichsten Bücher, vereint Artikel und Essays der Jahre 1991-1993. Dor erweist sich als unbestechlicher Beobachter, der "für keine der streitenden Parteien mit ruhigem Gewissen Partei ergreifen" kann, und als unersetzliche Auskunftsperson für den deutschsprachigen Raum; er kennt nicht nur die historischen Hintergründe, sondern viele bekannte Politiker persönlich.

Milo Dor ist ein republikanischer Autor, der sich auch in Österreich oft zu Wort gemeldet hat. So stand er 1988 an der Spitze des intellektuellen Widerstandes gegen Bundespräsident Kurt Waldheim, was auch der von ihm herausgegebene Band "Die Leiche im Keller" dokumentiert. Er, der in Serbien von der Gestapo gefoltert wurde, während der vergessliche Bundespräsident auf dem Balkan als Nachrichtenoffizier seine "Pflicht" erfüllte, war dazu besonders berufen. Dors Analyse der "österreichischen Schizophrenie" im Umgang mit der NS-Vergangenheit und der opportunistischen Verwandlung von Nazis in "augenzwinkernde Demokraten" geht weit über den aktuellen Anlass hinaus.

"Die Leiche im Keller"

Als Präsident der Interessengemeinschaft österreichischer Autoren und der Literarischen Verwertungsgesellschaft hat Milo Dor entscheidende Beiträge zur Verbesserung der urheberrechtlichen Situation und zum Zustandekommen des Sozialfonds der österreichischen Autoren geleistet.

Dors Selbstverständnis als Schriftsteller markieren die im Band "Schriftsteller und Potentaten" zusammengefassten Essays. "Man schreibt, um etwas Wichtiges mitzuteilen, was man beobachtet hat und was, wie man glaubt, niemand weiß und niemand so gesagt hat." Dors Schreiben, das auf ideologische Geborgenheiten verzichtet und um seine Funktion in einer demokratischen Gesellschaft weiß, geht von den Erfahrungen des Autors aus, vom Inhalt, dem es die Form unterordnet.

Schriftsteller am Rande

Noch haben wir leider keine Biografie von Milo Dor. Diese Lücke will ein eben erschienener "Roman über Milo Dor" überbrücken, der - ganz ähnlich wie in Dors Romanen - in kurzen Kapiteln einzelne Szenen aus der Perspektive verschiedener Figuren montiert. Der Wermutstropfen dabei: Es sind zum Großteil bereits veröffentlichte Texte, von denen manche über Grußadressen und Anekdoten nicht hinausgehen. Auch Texte von Dor selbst finden sich; wie sie hier verwendet werden, suggeriert die totale Identität von Dor mit seiner Romanfigur Mladen Raikow. Die allerdings hat Dor selbst zu Recht relativiert: "Das stimmt nicht. Ich bin mit ihm nur verwandt. Das bin ich auch mit vielen anderen Figuren, die durch meine Bücher kreuzen." Ein Roman ist das Ganze zwar nicht, aber da wir nichts anderes haben, lohnt die Lektüre streckenweise dennoch.

Der serbische Österreicher Milo Dor repräsentiert mit seinen 80 Jahren eine durch Nationalismen und Diktaturen zerstörte mitteleuropäische Welt. Und er steht für eine Zukunft, in der kulturelle und nationale Mehrfachidentitäten keine Ausnahmeerscheinung mehr sein werden. Irgendwann wird der kleinkarierte Staat Österreich dem auch durch die Ermöglichung von Doppelstaatsbürgerschaften Rechnung tragen. Milo Dors serbische Herkunft und seine Zugehörigkeit zu Österreich ist jedenfalls für beide Seiten eine Bereicherung - gerade auch deswegen, weil er im kroatischen Rovinj ein zweites Zuhause gefunden hat. Schon früh hat sich Dor als "Schriftsteller am Rande" begriffen, der nicht den Komfort nationaler, weltanschaulicher oder religiöser Beheimatungen anbieten will.

Buchhinweise:

Grenzüberschreitungen

Von Milo Dor. Positionen eines kämpferischen Humanisten, Picus Verlag, Wien 2003, 120 Seiten, e 14,90

Roman über Milo Dor

Hg. von Dragi Bugarcic, Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien 2003, 180 Seiten, e 16,-

Memoiren eines Antihelden

Von Jovan Sekelj, Aus dem Serbischen übertragen und mit einem Vorwort von Milo Dor, Mandelbaum Verlag, Wien 2003, 104 Seiten, e 14,40

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