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Eine verlorene Generation?

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Der Zeitroman des jungen Serben, der in Österreich seine neue Heimat und in Deutschland seinen Verleger fand, ist im Auszug durch Leseproben und Vorabdrucke in einer Reihe von Zeitschriften schon lange bekannt. Beinahe war man versucht, einmal ein literarisches Puzzlespiel zu wagen und Teil für Teil zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzusetzen. Diese Mühe iet jetzt unnötig. Milo Dors Buch liegt in der gewohnt vorbildlichen Ausstattung der Deutschen Ver- langsanstalt vor.

Die Handlung beginnt im Belgrad der deutschen Okkupation und der Spezialpolizei des General Nedidi. Junge Mittelschüler und Studenten werden „Illegale“. Sie träumen von der „neuen Zeit“, unternehmen einige, sehr selbstmörderische Aktionen — und fliegen schließlich auf. Beinahe alle aktiven Menschen der jungen Generation, gleichgültig ob sie Demokraten, Faschisten oder Kommunisten sind, kennen diesen Teufelszirkel, haben ähnliches selbst erlebt… Mladen Raikow — deutlich trägt der Held des Buches autobiographische Züge de6 Autors — und seine Freunde sind als Söhne und Töchter der serbischen bürgerlichen Intelligentia, fast möchte man sagen, natürlich, gläubige Kommunisten. Die unmenschlichen Grausamkeiten der Verhöre, der Tod der besten Kameraden macht sie nicht irre. Nur wenige retten ihr Leben durch eine Judastat. Denn die Idee lebt! An diesem unsichtbaren Feuer wärmen die Ubrig- gebliebenen — die „Toten auf Urlaub“ ihre geschundenen Körper. Da erfolgt der erste Stoß. Ein flüchtiges herbes Wort, ausgesprochen hinter Kerkermauern … Trotzkismus! Der Verdacht ist da, ächtet und verfemt Menschen, die bereit sind, sich für die Sache der Partisanen in Stücke schlagen zu lassen, macht aus dem gefeierten Helden einen Aussätzigen. Der tönerne Bau der Ideologie, einmal angeschlagen, sinkt langsam Stockwerk für Stockwerk zusammen. Den Rest geben dem Fremdarbeiter Dor - Raikow die Erlebnisse in Wien, April 1945. Was bleibt, sind einige hektische Erlebnisse, ein ödes Gefühl im Magen und jener „fahle Aprilmorgen, der kalt in das Zimmer kroch“, in dem der Held, neben der Witwe eines Nationalsozialisten liegend, die Augen auf schlägt und „einen trüben, regnerischen Tag erwartet, angekündigt sieht. Endstation Sartre! Hier trifft er viele seiner Generation aus We6t und 06t, aus Nord und Süd, Idealisten von gestern, die die Fesseln der Ideologien der Linken und der Rechten abgestreift haben. Andere, echte Bindungen kennen sie alle gemeinsam nicht. Haben sie nie kennengelernt.

Die Verfechter der These von der „verlorenen Generation“ werden in Dors Buch einen neuen Beweis ihrer Ansichten erblicken. Allein diese 6ind nicht unerschütterlich. Gerade in diesen Tagen bringt das „Theater am Parkring“ in Wien das Stück eines Generationskollegen Milo Dors. Der junge Dramatiker Hans F. Kühnelt erzählt von der Bühne die Geschichte eines Menschen, der sein Gesicht verloren hat und der au6 diesem schrecklichen Zustand dennoch herauskommt. Leid und echte Gefühle prägen in das flache Antlitz neue, sehr menschliche und ansprechende Züge. Auch Milo Dor und mit ihm die vielen Tausende Nur-Idealisten haben ihr Gesicht verloren. Das Bekenntnis dessen ist lückenlos. Jetzt kommt noch das Schwierigste: die Überwindung des toten Punktes, der Gewinn eines neuen, eines wirklich neuen Menschenantlitzes. An Leid hat es dieser Generation wahrlich nicht gefehlt.

Für Milo Dor und seine schriftstellerische Arbeit heißt dies: Wird er verharren in der Erinnerung an die Lagerfeuer der Partisanen, an die Keller der Henker, an hochgespannte Erwartungen und ihre grausame Enttäuschung? Wird er aus diesen Erfahrungen heraus weiter eiskalt konzipierte Bücher schreiben, bei denen man sich wie bei dem vorliegenden, nicht des Eindrucks erwehren kann, die breit ausgebauten Szenen rund um das „Thema Eins“ der Militärbaracken und Kantinen seien mit einem sehr guten einem zu guten Sinn für Publikumseffekte gleichmäßig ungefähr alle hundert Seiten eingestreut — oder aber …

Die Antwort auf diese Frage können nur weitere Bücher Milo Dors geben. Wir 6ind gespannt auf sie. Denn eines ist schon jetzt ohne Zweifel: Schreiben, ja das kann er.

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