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Überfällige Wiederentdeckung

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Der Roman „Tote auf Urlaub" begründete 1952 den Ruf von Milo Dor als Autor. Er mußte in Deutschland erscheinen, weil sich in Österreich kein Verlag dafür fand. Später wurde das Buch in mehrere Sprachen übersetzt, in Österreich aber verdrängt. Nun liegt es (im Salzburger Otto Müller Verlag) wieder vor - es war höchste Zeit.

So packend dieser Roman geschrieben und so wichtig er als Erstling eines bedeutenden Österreichers für unsere Nachkriegs-Literaturgeschich-te ist - seine Bedeutung beschränkt sich nicht auf das „Literarische". Er ist zugleich Erlebnisbericht und historisches Zeugnis. Dor erzählt, was ihm als Häftling der serbischen politischen Spezialpolizei in dem von Hitlers Wehrmacht besetzten Belgrad selbst widerfuhr. „Tote auf Urlaub" ist die Geschichte eines Studenten, der wochenlange Folter übersteht, ohne seine Kameraden, kommunistische Widerstandskämpfer, zu verraten. Die Brutalität eines der Polizisten kommt ihm zu Hilfe. Fast hatten sie ihn so weit, „daß ich selbst meine Großmutter verraten hätte" (Milo Dor heute), da verschließt ihm ein doppelter Kieferbruch durch einen Faustschlag den Mund.

Eine der Romanfiguren, der Inspektor Radislav Grujicic, erzählt dem Häftling in einer Folterpause, auch er sei früher Kommunist gewesen. Nachdem er die Partei verlassen habe, sei er von den Kommunisten spitalsreif geprügelt worden. Dafür räche er sich jetzt. Eb zieht sogar einen Majakowski-Band aus dem Schrank: „Da schau, etwas für dich. Sämtliche Werke reich illustriert, von ihm selbst." Dann befiehlt er: „Auf den Boden mit ihm.

So, jetzt haut ihm mit dem Fuß ins Zwerchfell... Mit der Ferse, nicht mit der Spitze, sonst stirbt er uns noch zu früh."

Grujicic ist, so wie die anderen Polizisten, nicht nur eine historische Figur. Er kommt im Roman auch mit seinem fast richtigen Namen vor (aus Grujicic wurde Gruitschich). Grujicic ist aber der einzige, der überlebte und dessen Aufenthaltsort bekannt ist. Es gelang ihm nach dem Krieg, nach Kanada auszuwandern. Dort trat vor fünf Jahren ein Zusatz zum Mord-und Totschlag-Paragraphen des Strafgesetzes in Kraft, der die Verfolgung solcher Verbrechen ermöglicht.

Es besteht eine gute Chance, daß sich Grujicic 1993 in Toronto wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muß. Die Entscheidung dürfte in den nächsten Wochen fallen.

Viele Szenen des Romans sind nicht nur von beklemmender Dichte, sondern auch von nicht weniger beklemmender Aktualität. Sie könnten mit geringfügigen Veränderungen in über hundert Ländern spielen - nicht nur solchen der Dritten Welt. Den Ochsenziemer-Schlägen auf die Fußsohlen, den Schlägen ins Gesicht, der „Schaukel" (das Opfer wird an den hinter seinem Rücken zusammengebundenen Händen und Füßen aufgehängt) folgt auch heute noch oft die menschliche Tour.

Der Vernehmer heuchelt Mitleid und sucht dem Opfer klarzumachen, Widerstand sei zwecklos. Bei ihm müsse man sprechen, ob man wolle oder nicht, so Grujicic zu Milo Dor. Besser, man tue es freiwillig.

Für Milo Dor, im Roman Mladen, ging es nach der Verhaftung vor allem darum, die nächsten 24 Stunden ohne Verrat zu überstehen.

Andererseits wußten die Geheimpolizisten, daß in den nächsten 24 Stunden Ersatztreffs für die durch die Verhaftung geplatzte Zusammenkunft angesetzt worden sein mußten und daß sie diese aus ihm herausprügeln mußten, wenn sie die Untergrundbewegung der kommunistischen Studenten aufrollen wollten. Milo Dor schwieg. Da er während der

Haft wegen seiner Kritik am Hitler-Stalin-Pakt als „Trotzkist" aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war, fiel es den „Genossen" später besonders schwer, dies zuzugeben. Erst als die Akten der Gestapo und der serbischen Spezialpolizei für eine Publikation zum vierzigsten Jahrestag der Befreiung Belgrads aufgearbeitet wurden, fand man auch Berichte über seine ergebnislosen Verhöre.

Dor wäre nach der Befreiung Belgrads wahrscheinlich wieder im Gefängnis gelandet. Milo Dor heute: „Wenn ich zurückgegangen wäre, wäre ich heute entweder ein General oder so etwas oder ich wäre tot. Aber ich hätte wahrscheinlich nicht den Mund halten können. Vermutlich hätte ich die ersten Nachkriegsjahre nicht überlebt." Zum Glück hatten ihn die Deutschen als Zwangsarbeiter nach Wien verschickt, wo er nach neuer Haft und einem Aufenthalt in Lanzendorf, einem der vielen Lager, von denen in der Umgebung niemand wissen wollte und darum auch niemand mehr etwas weiß, das Kriegsende erlebte.

Wie aus dem überzeugten Groß-Österreicher Milovan Doroslovac der Klein-Österreicher Milo Dor wurde, ist nachzulesen in seinem Buch „Auf dem falschen Dampfer - Fragmente einer Autobiographie" (Verlag Paul Zsolnay, Wien 1988).

Er blieb in Wien und schrieb mehrere Jahre an den „Toten auf Urlaub". Titos Vertrauter Djilas wollte schon 1954 die Übersetzung ins Serbische veranlassen, aber dann sagte auch er zu offen seine Meinung. Erst 1988 konnte das Buch auch in Jugoslawien erscheinen.

TOTE AUF URLAUB. Roman von Milo Dor. Otto Müller Verlag, Salzburg 1992.486 Seiten, Leinen, öS 298,-.

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