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Aus Roths Nachlaß

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DER STUMME PROPHET, Von Josef Roth. Aus dem Nachlaß herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Werner Lengnlng. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin. 286 Seiten. 14.80 DM.

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DER STUMME PROPHET, Von Josef Roth. Aus dem Nachlaß herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Werner Lengnlng. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin. 286 Seiten. 14.80 DM.

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Wenige Jahre nachdem der Verlag eine Gesamtausgabe der Werke von Josef Roth herausgebracht hat, erscheint nun im Rahmen einer Verwertung des aufgefundenen Nachlasses des Dichters der vorliegende Roman, dessen Original sich im Leo- Institut in New York befindet, wohin es über Umwege und nach erfolgter Rettung durch Hermann Kesten gekommen ist. Weil lediglich ein Konzept und vom Verlag offenkundig unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen aus verschiedenen Manuskriptfassungen zum Ganzen eines Romanes gefügt, hat dieser etwas Unfertiges. Er ist Entwurf geblieben. Nicht stets durchdacht. Oft im Handlungsablauf unlogisch. Gleiches ist für die Kennzeichnung der zentralen Figuren der „Revolutionäre", die zeitweilig kommunistische, dann wieder faschistische Züge aufweisen. Die Führung der Handlung und noch mehr der Gedanken entbehrt zuweilen die Sachlogik. Dieser Tatbestand muß angemerkt, jedoch mit dem Provisorischen der verfügbaren Manuskriptfassung entschuldigt werden. Scheinbar will jedoch der Verlag mit der Edition des Buches betonen, daß sich nunmehr das gesamte Werk von Roth in seiner Betreuung befindet.

Das Buch beschäftigt sich angesichts der von Roth gewonnen neuen Einsichten in die Verfahren der russischen Revolutin mit dem Problem der Konfrontation des Revolutionärs aus Leidenschaft mit der Wirklichkeit der etablierten Revolution. Der historische Hintergrund ist die Epoche der Liquidation der Donaumonarchie, auf die Roth stets in einer sarkastisch-kritischen Liebe des Angehörigen einer nicht voll aufgenommenen Minorität bezogen ist. Friedrich Kargan, der Revolutionär von einer Art, wie sie uns vor allem Roger Martin du Gard im „Sommer 1914“ in klassisch gewordener Eindeutigkeit präsentiert, erlebt die Vorbereitung zur russischen Revolution, in der er hauptberuflich engagiert ist. Manche Rezensenten und auch der Herausgeber vermuten, daß es sich beim Helden des Buches um Trotzki gehandelt hat, wogegen freilich da und dort dessen Lebenslauf spricht. Anderseits bewegt sich

Kargan im Milieu von Personen, aus deren Verhalten man unschwer etwas auf Stalin, Lenin und (wie sein deutscher Rezensent meint) auf Bucharin schließen kann. Selbst nur Werkzeug und ohne Absicht, je mehr zu sein, vermag Kargan nur in politischen Bezügen zu denken. Seine Hoffnung auf ein Reich der Gerechtigkeit ist vorweg mit einem reichen Maß an Skepsis durchzogen, was ihn aber nicht hindert, sich nach der Oktoberrevolution ohne Vorbehalt den neuen Herren zur Verfügung zu stellen. Im Hintergrund taucht in Abständen stets die Figur des großen Führers auf, dessen Verhalten schon in. der Emigration vermuten läßt, daß er nicht deswegen herzlos zu sein scheint, weil er sein Herz der Menschheit geschenkt hat, sondern weil er einfach keines hat. Im neuen Rußland kommt es dann zur Konfrontation Kargans und seiner Freunde mit der nachrevolutionären Wirklichkeit, mit einer Inhumanität, die nicht vermuten läßt, daß nunmehr das Reich der Gerechtigkeit konstituiert worden sei. Jetzt wird evident, daß die Schwachen nicht edler sind als die Starken; Güte erweist sich stets erst bei Innehabung von Macht. Kargan, nunmehr in Opposition, muß in die Verbannung gehen, vielleicht auch, weil es für ihn leichter ist, für die Masse zu sterben, als mit der Masse zu leben.

Das Buch bietet keine echte Auseinandersetzung und ist Ausdruck der weltanschaulichen Standortlosigkeit des Dichters, für den alle Handlungen geschichtliche Fakten andeuten und die meisten Personen den Charakter historischer epochaltypischer Figuren haben. Die morbid-geniale Resignation des „Radetzkymarsches“ und der erheblich schwächeren „Kapuzinergruft“ hatte noch einen Gegenstand: die alte Monarchie. Der Kommunismus war dem Dichter dagegen nicht ein Erfaßbares, sondern ein Abstraktum, das nicht von seiner Welt war. Deswegen die dumpfe Abneigung ohne korrekte Distanz.

Diese Rezension soll nicht geschlossen werden, ohne Hinweis auf die hervorragend ausgestattete dreibändige Gesamtausgabe der Werke Roths, die der gleiche Verlag herausgebracht hat; ein kühnes verlegerisches Unternehmen, an das sich kein österreichischer Verlag gewagt hat. Und — wie man hört — so weit unbedankt, da der Verkauf des Gesamtwerkes nur langsam vor sich gehen soll.

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