Geschichtsunterricht ohne Menschlichkeit

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Aus Motiven von Milo Dors Roman "Der letzte Sonntag“ wurde im Theater an der Josefstadt das Drama "Die Schüsse von Sarajewo“.

Als Beitrag zum Gedenkjahr des Kriegsausbruchs 1914 hat das Theater in der Josefstadt einen Roman von Milo Dor dramatisieren lassen. Aus Motiven des 1982 erschienenen Romans "Der letzte Sonntag“ zimmert sein Sohn Milan Dor gemeinsam mit dem Dramatiker Stephan Lack "Die Schüsse von Sarajevo“.

Der nicht mehr ganz junge integre Untersuchungsrichter Dr. Leo Pfeffer (Erwin Steinhauer), ein jüdischer Kroate in k.u.k. Diensten in Sarajevo tätig, soll noch am 28. Juni das Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Gemahlin untersuchen. Das ist für den honorigen Juristen die Chance für jene Beförderung, die ihn zurück ins ersehnte Wien führen würde. Weil aber die Repräsentanten der Habsburger Zentralregierung in Bosnien-Herzegowina, ungeachtet der juristischen Fakten, nichts anderes fordern, als den Beweis für die Verstrickung der serbischen Regierung in die Attentate, bekommt seine Integrität Risse. Auch sein privates Leben gerät im Zuge der historischen Ereignisse kräftig durcheinander. Er ist mit der serbischen Witwe Marija Begovi´c (Julia Stemberger) liiert, deren Sohn nicht nur ein serbischer Patriot, sondern auch mit den Attentätern bekannt ist und aus diesem Grund in den Fokus der Ermittlungen gerät. Um seine Beziehung zu retten, greift der brave Beamte zum Äußersten: er unterschreibt die Verhörprotokolle in der den kriegstreibenden Herren der Monarchie gewünschten Fassung. Als Gegenleistung wird Marijas Sohn freigelassen. Die Folgen für das Land sind bekannt. Er selbst wird als "Freiwilliger“ an die Front geschickt.

Da beginnt auch Herbert Föttingers etwas behäbig geratene Inszenierung. Wenn sich unendlich langsam der Vorhang hebt und den Blick auf eine aufgelassene Fabrikshalle - die Walter Vogelweider aus unerfindlichen Gründen als Spielort gewählt und detailverliebt hingebaut hat - freigibt, steht Steinhauer in Uniform da und erinnert sich daran, wie er hierhin gekommen ist. Auf einmal stürmen Soldaten in zeitgenössischer Kampfmontur herein, durchsuchen die verschiedenen Ebenen der Fabrik. Es fallen Schüsse, Menschen werden abgeführt, Tote und Verwundete weggetragen. Mit diesem Prolog will Föttinger offenbar einen Bezug zur Gegenwart herstellen, der aber ebenso überflüssig wie plakativ ist.

Kein Einblick in die Gewissensnot

Auch das Stück kommt über die längst zum Gemeinplatz gewordene Feststellung, dass das private Leben von geschichtlichen Ereignissen nicht unberührt bleiben kann, kaum hinaus. Um das deutlich zu machen, wechselt das Geschehen allzu vorhersehbar zwischen den Verhören der des Attentats Verdächtigen und der Auseinandersetzung Pfeffers mit Marija hin und her. Dabei bleibt alles nur äußerlich. Das Stück gewährt keinen Einblick in die Gewissensnot des ergebenen Beamten. Dabei interessierte doch gerade das, was in einem Menschen vorgeht, der sich vor allem - wie er sagt - der Wahrheit verpflichtet fühlt, diese aber von Seiten eines dogmatischen Nationalismus bedroht sieht und sie schließlich dem persönlichen Glücksverlangen opfert. Aber über solche, auch heute aktuellen, inneren Konflikte weiß das Stück nichts. Dort wo die Bruchlinien wären, werden sie in wenigen plakativen Strichen skizziert und durch geschichtliche Fakten zugekleistert.

Die Schüsse von Sarajewo

Theater in der Josefstadt

11., 14., 15., 27., 30. April, 1., 8., 9., 28.-31. Mai

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