Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Müde Helden
Im Nahen Osten verursacht der Umstand, daß der „Menumeh“ der israelischen Geheimdienste noch am Tag des Massakers von München in die Bundesrepublik flog und dem dramatischen Ringen zwischen den arabischen Terroristen und den deutschen Behörden persönlich beiwohnte, „unter Brüdern“ gegenwärtig interessante Diskussionen über „Mossad“ und „Scheruth Bitachon“. Der „Mossad“ ist der Auslands- und „Scheruth Bitachon'“ — nach seinen Anfangsbuchstaben nennt man ihn zuweilen auch „Schin Beth“ — der Inlandsnachrichtendienst des Staates Israel. Der „Menumeh“, gegenwärtig ist es der 47jährige ehemalige Militärattache in London und jetzige General Zvi („Zivka“) Zamir, ist oberster Chef beider Dienste.
„Wo waren und was taten die israelischen Sicherheitsbeamten beim Eindringen der Terroristen in das israelische Quartier im olympischen Dorf?“ „Wieso ließ sich ein erfahrener Sicherheitsdienstler wie der 38jährige Ofir Zadok nur wenige Tage darauf von zwei Marokkanern so stupide übertölpeln?“ „Warum ist es den israelischen Sicherheitsbehörden offenkundig nicht gelungen, Terrorgruppen wie den .Schwarzen September' wirkungsvoll zu unterwandern?“
Das sind einige der Fragen, die sich westliche Agenten — aber auch arabische Geheimdienstexperten, die ihre israelischen „Kollegen“ jahrelang insgeheim bewunderten und vor allem fürchteten — angesichts der Vorgänge in München und Brüssel stellen. Und sie geben sich auch gleich selbst die überraschenden Antworten: ihre Analysen hätten ergeben, so behaupten sie, daß der früher als „bester Geheimdienst der Welt“ geltende „Mossad“ in einer tiefgehenden Krise stecke. Diese Krise habe drei Ursachen. Erstens genieße der Geheimdienst bei den heutigen israelischen Spitzenpolitikern, besonders bei Ministerpräsidentin Golda Meir und Außenminister Abba Eban, nicht mehr das gleiche Ansehen wie bei deren Vorgängern David Ben-Gurion, Mosche Schareth und Levi Eschkol. Zweitens schade dem Geheimdienst die ihm nach dem spektakulären Abgang des legendären Profis Isser Harel alias „Isser der Kleine“ alias „Der Bucklige“ alias „Der Derwisch“ verpaßte militärische Führung. Harel, der seinerzeit wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Premierminister über die Behandlung der deutschen Rüstungstechniker in ägyptischen Diensten demissionierte und bis heute nicht seine Memoiren veröffentlichen durfte, begab sich häufig selbst in die „Höhle des Löwen“ und sammelte unter falscher Identität persönlich Eindrücke in Kairo, Damaskus, Amman oder Beirut. Für seine Agenten war er nicht nur in beruflichen Dingen die letzte Instanz, sondern auch bei privaten
Problemen eine verehrte Vaterfigur. Diese Periode beendete sein Nachfolger rigoros.
Unter General Meir Amit, an dem Eingeweihte vor allem die Kontaktarmut tadelten, galten nur noch militärische Effizienz£ategorien. Agenten, die sich tatsächlich oder vermeintlich etwas hatten zuschulden kommen lassen, zwang man jetzt unter den Lügendetektor. Das förderte nicht gerade ihre Einsatzfreudigkeit. Der General, der die Effizienz hatte steigern wollen und auf die Elektronik und seine Computer mehr vertraute als auf seine erfahrenen Mitarbeiter, erlebte schon die erste Phase des Niederganges.
„Politdogma“
Von seinem Nachfolger Zamir, den nahöstliche Gewährsleute einen unterkühlten Kommißknopf nennen, beschleunigte sich das Ende der ruhmreichen Geschichte des „Mossad“. Für Zamir war Feindaufklärung in erster Linie eine militärische Sache. Ausgehend von dem seit dem Sechstagekrieg geltenden offiziellen israelischen Politdogma, man habe jetzt die denkbar sichersten Grenzen, verließ er sich lieber auf die Aufklärungsberichte der Militärpatrouillen und Luftwaffenpiloten als auf die nicht immer genau nachprüfbaren und hauptsächlich auf Stimmungen beruhenden Situationsmeldungen der Agenten. Zamirs Führungscrew kam schließlich zu der Ansicht, daß ein vierter Krieg mit den Arabern unwahrscheinlich sei und man die Palästin aguerrilleros, die auf ihrem eigenen Schlachtfeld ja tatsächlich kläglich versagt hatten, nicht zu fürchten brauche.
Im Frühjahr 1971 begann eine umfassende Verringerung des Agentenapparates. Viele bewährte Leute verloren ihren Posten. Ausländische Agenten erhielten einen abrupten Abschied, viele ohne volle Erstattung ihrer vorher vereinbarten ohnehin kargen Versorgungsbezüge.
Offizielle Begründung für diese Maßnahme: Geldmangel. Wahrer Grund: Zamir wollte sich künftig vorwiegend auf arabische Gewährsleute verlassen, die man nach dem Sechstagefeldzug in großer Zahl hatte anzuwerben begonnen. Doch deren Berichte erwiesen sich häufig als Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Immer öfter fiel man offenkundig auf die Irreführungen von Doppclagenten herein. Und die Katastrophen häuften sich.
Mitte Juli platzte ein israelischer Spionagering in der Arabischen Republik Nordjemen. Die „Strecke“ des Innenministers Ali Seif el-Cholani: acht Jemeniten und drei Ausländer. Wenig später ging im umkämpften Südlibanon der deutschstämmige Israeli Peter Pohlmann mit fünfzehn gefälschten Pässen in eine Falle der
Beiruter Sürete. In Ägypten gelang dem Abwehrchef Oberst Achmed Ismail ein besonders guter Fang: ein belgischer Industrieller und ein französischer Journalist, beschuldigt der Spionage für Israel und staatsfeindlicher Umtriebe, gestanden vor Gericht immerhin die Verteilung regierungsfeindlicher Flugblätter.
Im Nahen Osten folgert man aus dieser Katastrophenserie, der einst gefürchtete „Mossad“ sei nur noch ein ausgezehrter Schatten vergangener Größe. Vielleicht haben auch Geheimdienste, wie man als unbeteiligter Beobachter hinzufügen könnte, eine beschränkte Lebensdauer. Fest steht aber auch, daß man ein vor allem von persönlicher Einsatzbereitschaft, menschlicher Intuition und Zusammengehörigkeitsgefühl abhängiges Instrument wie den „Mossad“ nicht kommandieren kann wie eine Rekrutenkompanie, und daß man komplizierten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorgängen extrem unterentwickelter Länder, wie der arabischen, mit einer vorwiegend von unkontrollierbaren Emotionen bestimmten Bevölkerungsmentalität kaum mit dem Computer beikommen kann.
Nach dem Sechstagekrieg spendeten Männer, die es wissen mußten, dem „Mossad“ höchstes Lob: „Der Nachrichtendienst war ebenso wichtig . wie Panzer und Luftwaffe“ (Mosche Dayan). „Der wahre Sieger ist der israelische Geheimdienst“ (Mohammed Hassan ein-Heikal).
Doch das ist längst Geschichte. Der „Schwarze September“ hat in arabischen Augen bewiesen, daß man sie nicht mehr fürchten muß, die müden Helden des „Mossad“.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!