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Polens langer Arm?

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Wenn der slowakische Aufstand des Jahres 1944 (Seite 132) nach Slowenien verlegt wird, mit gleich zwei Fehlern in der Schreibung des Ortsnamens Banskä-Bystrica — darf man dann noch glauben, daß „Stalins ““besanöerer Liebling“, L. S. Mechlis, „in BeTijas Datschä seine Aktentasche vergißt“, deren Inhalt dann als Beweismaterial für eine jüdische Weltverschwörung gegen das Sowjetregime dient? Was überhaupt darf man einem Buch glauben, das einerseits die israelischen Geheimdienste als die wohl besten der Welt qualifiziert und anderseits die intimsten Intimitäten just dieser Geheimdienste auszuplaudern behauptet? Was, endlich, darf man einem Autor glauben; der — laut Verlagsmitteilung auf dem Schutzumschlag — zwar erst 1928 geboren wurde, aber wunderbarerweise „mit 19 Jahren am Warschauer Aufstand“ — an welchem, bitte? — beteiligt und „anschließend in KZ-Haft“ war — wann und wo, bitte? — und der es schafft, trotz Kampf und Haft ganz fristgerecht sein Abitur zu machen, ausgerechnet 1946 und ausgerechnet in Stettin?

All diese Fragen mit einem schlichten „Nichts“ zu beantworten, wäre ebenso ungerecht wie das in Rede stehende Buch von Janusz Pie-kalkiewicz: „Israels langer Arm. Geschichte der israelischen Geheimdienste und Kommandounternehmen.“ Der Autor versteht es nämlich, Vertrauen zu erwecken: schon durch die richtige Darstellung gewisser — allerdings sowieso bekannter — Ereignisse, und zusätzlich durch die schier überreiche Ausstattung des Bandes mit Faksimiles und Dokumentarphotos, von denen prima vista nur eines falsch ist. Natürlich tritt der Antisemitismus

— in seiner zeitgemäßen Verkleidung als AntiZionismus und Antiimperialismus — auch offen zutage: wenn etwa (Seite 319) von einer „palästinensischen Nation“ die Rede ist, obwohl die Historiker und Völkerrechtler einen palästinensischen Staat und die Ethnologen und Ethnographen ein palästinensisches Volk nicht kennen; wenn (Seite 322) General Gehlen „seinen amerikanischen Herren“ sowjetische Waffenlieferungen an Ägypten „meldet“; wenn (Seite 334 ff.) der israelische Präventivschlag vom 5. Juni 1967 konsequent als „Überfall“ bezeichnet und geschildert wird. Lange Passagen hindurch aber heuchelt der Autor Bewunderung, wenn nicht gar einfühlsames Verständnis für Israel überhaupt und für die Geheimdienste Israels im besonderen. Wie abgrundtief bös also müssen die Juden tatsächlich sein, wenn selbst ein Sympathisant nicht umhin kann, in das Epos vom Kampf und Sieg doch auch heimliche Greuel und blanken Mord, unendliche Rachsucht und finsterste Hinterlist, Geschäft als Betrug und Betrug als Geschäft, das typisch Jüdische

eben, man kennt's aus dem „Stürmer“, einzuflechten?

Der Trick besteht darin, von der Wahrheit nach Möglichkeit nur die Hälfte zu sagen, diese dann aber mit lauter Details, die den Eindruck inniger Vertrautheit und totaler Informiertheit erwecken, bis zum Überdruß auszuschmücken: Geheimdienstchef Harel „knallt die Tür zu“, der Volkswagen eines Spions in Kairo ist „cremefarben“, vor dem Einsatz werden, auch wenn das durchaus nicht “im 'Sinne 'cteV Erfinders ist, „die Sten-Maschinen-pistolen nochmals geölt“. Die Details nämlich lenken den Leser ab von dem, was ihm suggeriert werden soll; zum Beispiel, daß der arabische Aufmarsch rund um Israel im Frühjahr 1967 nicht etwa in der Absicht erfolgt sei, die Juden ins Meer zu werfen, sondern die operativ selbstmörderische Reaktion auf raffinierte Machenschaften des israelischen Geheimdienstes gewesen sei.

Die Juden sind (Seite 395) natürlich auch schuld, wenn „der Nahe Osten, die Geburtsstätte dreier Weltreligionen, zum radioaktiven Friedhof der Zivilisation wird“. Und um also den von Israel bedrohten Weltfrieden zu retten, betätigt Piekalkiewicz sich auch noch als Etzesgeber: „Israel, umgeben von feindlichen, rasch erstarkenden Nachbarn, wird dem Schicksal der Kreuzfahrerstaaten , auf die Dauer nur dann entgehen, wenn es sich auf seine Umgebung einstellt“ — was spätestens nach der nächsten Benzinpreiserhöhung sämtliche Opportunisten brav nachplappern werden.

Wäre dies Buch im Auftrag und unter Mitarbeit eines kommunistischen Geheimdienstes geschrieben worden, könnte es als Musterbeispiel für Desinformation gelten. Geholfen hat dem Verfasser, laut eigener Bekundung im Nachwort, aber nur ein Herr Schmidt.

ISRAELS LANGER ARM. Geschichte der israelischen Geheimdienste und Kommandounternehmen. Von Janusz Piekalkiewicz. 407 Seiten, mit mehr als 240 Photos. Goverts-Verlag im S.-Fischer-Verlag, Frankfurt 1975.

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