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„Spionenhatz“ im Libanon

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Im Libanon löste die Entführung eines irakischen Charterflugzeuges durch zwei israelische Abfangjäger eine hysterische „Spionenhatz“ aus, von der die ohnehin schwierige innenpolitische Situation des Levante-landes noch mehr erschwert wird. In der Nacht zum Dienstag hatte eine Motorradstreife der Polizei von der Beiruter Mittelmeercorniche aus das havarierte Motorboot eines Ausländers beschossen, weil sie israelische Agenten bei einem Landungsversuch ertappt zu haben glaubte. Der Zwischenfall ereignete sich nahe der Stelle, an der in der Nacht zum 10. April ein feindliches Todeskommando gelandet war, um drei prominente palästinensische Guerillaführer zu liquidieren. Die Nervosität, die der jüngste israelische Überfall bewirkt hat, beschränkt sich jedoch nicht auf die Sicherheitsbehörden. An der Jagd auf Spione beteiligten sich neben dem „Deuxieme Bureau“, der „Sürete Nationale“ und dem militärischen Geheimdienst auch der Sicherheitsdienst der „palästinensischen Befreiungsorganisation“ und aufgehetzte Mitglieder und Sym-patisanten der verschiedenen Guerillagruppen.

Die Sicherheitsbehörden vernahmen bis jetzt sechs Zivilangestellte der Beiruter Niederlassung der „Iraqi Airways“, um herauszufinden, wer dem Gegner die Passagierliste des Freitagfluges Wien—Beirut— Bagdad verriet, örtliche Sicherheitsexperten sind davon überzeugt, daß die Gegenseite über ein hervorragend funktionierendes, kurzgeschlossenes Informationsnetz auf dem Flughafengelände verfügen muß. Anders ist es nicht zu erklären, daß man in Tel-Aviv nicht nur wußte, mit welcher Maschine der Chef der linksradikalen „Volksfront für die Befreiung Palästinas“, Dr. Georges Habasch, nach Bagdad fliegen wollte, sondern auch rechtzeitig erfuhr, daß für die wartenden Passagiere eine andere Maschine eingesetzt werden würde. Zwischen der planmäßigen Abflugzeit der aus Wien erwarteten Linienmaschine und dem Start des wegen der verzögerten Ankunft der „Jraqi Airways“ eingesetzten Charterflugzeuges der „Middle East Airlines“ lagen nur knapp zwei Stunden. Nach Angaben des „Deuxieme Bureau“ hätten Habasch und seine Begleiter jedoch nicht unter ihren Namen gebucht. Die Sicherheitsbehörden glauben daher, die Verräter könnten sich nicht allein unter den Flughafenangestellten befinden, sondern müßten auch in der unmittelbaren Umgebung Habaschs im Führungskader der PFLP gesucht werden. Ein Flughafenangestellter habe unmöglich nur an Hand der Passagierliste die wahre Identität des Guerillaführers feststellen können.

Die Gewißheit, Verräter in den eigenen Reihen zu haben, brachte auch den PLO-Geheimdienst und die Sicherheitsabteilung der PFLP auf den Plan. Man spricht in Guerillakreisen von rigorosen Verhören und von Säuberungen. Zweifelhaft ist allerdings, ob man die feindlichen Agenten wirklich enttarnen kann. Schon bei dem israelischen Uberfall vom Frühjahr zeigte sich, daß die Gegenseite besser über die Schlupfwinkel der gesuchten Terroristen informiert war als deren eigene Nachbarn.

Die Nachforschungen gestalten sich auch deshalb so schwierig, well man auf arabischer Seite bislang keine systematischen Informationen über die feindlichen Abwehrdienste gesammelt hat. Den Arabern ist häufig nicht einmal bekannt, daß es fünf israelische Geheimdienste gibt. Der- immer wieder als Urheber von Kommandoaktionen genannte „Sche-ruth Bitachon“ (abgekürzt „Schin Beth“) betätigt sich in Wirklichkeit ausschließlich im Inland. Für Auslandsaktionen allein zuständig ist der „Mossad“, dessen jeweiliger Chef übrigens immer gleichzeitig die Koordination aller fünf Dienste besorgt. Ausschließlich mit militärischer Feindaufklärung beschäftigt sich der Armeenachrichtendienst „Modiin“. Daneben unterteilten Polizei und Außenministerium in Israel noch eigene kleinere Geheimdienststellen. Verantwortlich für die Aktionen im Libanon waren also Agenten des „Mossad“. Dieser. Geheimdienst kappte übrigens im Frühjahr 1971 große Teile seines bis dahin weltumspannenden, kostspieligen Agentennetzes und begnügt sich seitdem, mit offenkundigem Erfolg, hauptsächlich mit arabischen Agenten. Die Araber haben dem nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Ihre Geheimdienste werden periodisch durch Säuberungen geschwächt, weil sich deren Agenten in der Regel mehr mit Putschgedanken als mit der Ausforschung des Gegners befassen.

Auf der Seite der Guerillas in Beirut ist man nun davon überzeugt, daß andere ausländische Geheimdienste dem „Mossad“ geholfen haben müssen. Das ist schon deshalb absurd, weil die Beiruter CIA-Agenten sich überhaupt nicht tarnen und weil Eingeweihte genau wissen, wer für die britischen oder französischen Dienste tätig ist. Die „Spionenhatz“ konzentriert sich daher auf ausländische Journalisten und auf andere „schwer durchschaubare“ Residenten aus westlichen Herkunftsländern. Den Schaden hat der für das Levanteland lebenswichtige Tourismus. Wer macht schon gern Ferien in einem Land, in dem er damit rechnen muß, als potentieller Spion verdächtigt zu werden?

Die hektischen Untersuchungen hatten übrigens bislang nur ein der libanesischen Regierung wahrscheinlich gar nicht angenehmes Ergebnis: Sicherheitsdienstkreisen zufolge warnte der örtliche Geheimdienst den PFLP-Chef Habasch vor dem Besteigen des Flugzeuges nach Bagdad. Trifft das zu und berücksichtigt man die Tatsache, daß der Terrorist mit falschem Paß im VIP-Raum des Flughafens auf seinen Abflug wartete, ist die bislang immer bestrittene direkte Zusammenarbeit zwischen Regierung und Guerillagruppen unwiderleglich bewiesen. Wie man auch den israelischen Handstreich beurteilt, ergibt sich doch aus dieser Lage die Frage, ob die Bevölkerung des Libanon eine solche die Sicherheit ihres Landes beeinträchtigende Kumpanei hinnimmt. Mindestens im christlichen Lager verneint man das entschieden.

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