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Digital In Arbeit

Die Bilder vom Krieg

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Das Geiseldrama von Beirut geriet zur Show. Die westlichen Medien lieferten den Terroristen die Plattform. Neuauflagen werden dadurch wahrscheinlicher.

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Das Geiseldrama von Beirut geriet zur Show. Die westlichen Medien lieferten den Terroristen die Plattform. Neuauflagen werden dadurch wahrscheinlicher.

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Der Fotograf kauerte hinter einer niederen Betonmauer und machte seine Kamera schußfertig. Jenseits der Mauer stand die entführte TWA-Maschine am Flughafen Beirut.

An Bord befand sich das Terrorkommando mit einem gefährlichen Zeitvertreib: Schießübungen auf bewegliche Ziele.

Ein Bild aus der Flut von Informationen, mit der die Welt während der ganzen Dauer der Beiruter Geiselnahme überschwemmt wurde.

Während kurzer Zeit war der Libanon noch häufiger in den Schlagzeilen der Weltpresse als in den letzten Jahren, das Weltinteresse konzentrierte sich uneingeschränkt auf den Konflikt zwischen den radikalen Schiiten und der Weltmacht USA.

Für die anwesenden Journalisten, die durch ihre Bilder und Kommentare den Konflikt für die Weltöffentlichkeit erst zu diesem Ereignis machten, war das Thema mit dem Abtransport der argeri-kanischen Geiseln beendet, es gab keinen Laufmeter Film mehr her.

Dennoch kann das Beiruter „Geiselspektakel”, wie es in kritischer Einsicht schon genannt wurde, nicht ohne weiteres beiseite gelegt werden, zeigt es doch neue Dimensionen der Medienentwicklung auf - und gleichzeitig ethische Defizite einer Branche, in der offensichtlich die technische Entwicklung der Mit-menschlichkeitdavongelaufenist.

Noch nie gab es derart perfekte Bilder vom Objekt dieses politischen Tauziehens, den Geiseln. Es war den libanesischen Terroristen vorbehalten, den westlichen Terrorkollegen zu zeigen, wie man die angestrebte Öffentlichkeitswirkung erreicht.

Gegen die Laufbilder von Geiseln, die ihre Familien grüßen lassen und über ihre Situation sprechen, verblaßt alles bisher von Terroristen den Massenmedien zugespielte Material. Allerdings hatten die schiitischen Terroristen Heimvorteil: In einer Region, in der sie die Herrschaft ausüben, läßt sich eine so wichtige — wenn nicht überhaupt die wichtigste — Facette der Entführungsaktion entsprechend leichter vorbereiten.

Die Spekulation mit der Magie der Bilder war richtig. Keine Fernsehanstalt der westlichen Welt brachte es über sich, diese „sensationellen” Bilder ihren Sehern vorzuenthalten.

In den USA bekam die Regierung Reagan zu spüren, was geschickte Regie an politischem Druck erzeugen kann. Von Anrufen und Briefen überhäuft, war es in der „Mediokratie” Amerika dem Weißen Haus einfach nicht mehr möglich, auf die Herausforderung ohne handfeste Maßnahmen auszukommen.

Daß es bei der Ankündigung einer Blockade Beiruts blieb und in langwierigen Verhandlungen jenseits der emotionalisierten Öffentlichkeit der Erfolg gesucht wurde, ist vor diesem Hintergrund als Leistung der Administration Reagan anzusehen.

Verteidigungsminister Caspar Weinberger zeigte nämlich, welche Reaktionen möglich gewesen wären. Er sprach schlichtwegs vom Krieg: „Die Terroristen haben den Krieg begonnen! Was jetzt geschieht, nennt man Krieg, und die US-Flotte vor der libanesischen Küste ist darauf vorbereitet, das zu tun, was zu tun entschieden wird.”

Eine miese Politshow der Terroristen — und schon fallen die harten Worte: „Krieg”. Die Macht der Massenmedien auf die Politik läßt sich nicht besser verdeutlichen.

Die Gefahren vor einem Mediensystem, das sich von Terroristen für ihre Ziele ausnützen läßt, sind allerdings auch nicht zu übersehen. Die Frage nach den Grenzen der Berichterstattung ist während der ganzen Affäre höchstens in Nebensätzen erwähnt worden — quasi als Ausdruck eines latenten Unbehagens vor dieser Indienstnahme.

Konsequenzen wurden aber nur ansatzweise sichtbar. Niemand traute sich, die Berichterstattung auf eine Dimension zu reduzieren, die für die Geiselnahme angemessener gewesen wäre.

Uber weite Strecken diktierte das vorhandene (Bild-)Material die Berichterstattung. Journalisten und Kameraleute bemühten sich redlich, zu dem Videomaterial der Terroristen zusätzliche Informationen aufzustöbern, Pressekonferenzen hatten Hochkonjunktur und so es ging, wurden freigelassene Geiseln gleich via Satellit live mit ihren Familien verbunden — vor den Ohren und Augen einer wohlig erschaudernden Weltöffentlichkeit.

Informationsmüll

Das unterschwellige Fazit dieser Show: So schlimm sind die Terroristen gar nicht. Denn wer in der Öffentlichkeit agiert und „humanitäre” Gesten setzt, der kann doch gar nicht so verwerflich handeln. Eine Bestätigung kam vom Kapitän der entführten Maschine, der auf dem Beiruter Flughafen seine Zeit als Geisel offensichtlich für eine intensive Nachdenkphase nützte. — Er bekundete via Fernsehen „Verständnis” für die Geiselnehmer.

Diese Einsicht sollte niemandem verwehrt sein, doch der Soli-darisierungsef f ekt mit den Bewachern war schon bei früheren Geiselaktionen beobachtet worden. Die psychologisch erklärliche und bekannte Reaktion blieb keineswegs auf ihre Bedeutung reduziert, sondern wurde als weiterer Informationsmüll über die Bildschirme transportiert.

Statt Information wurde Sensation geboten, der Medienkonsument wurde mit Beiruter „junk food” gefüttert. Aber nicht nur in den USA, wo der Wettbewerb der elektronischen Medien es keinem Verantwortlichen leicht gemacht hätte, die Sendezeit zu begrenzen. Schließlich war das Fernsehen in seinem Element: Es wurden Bilder mit hohem Gehalt an Emotionen angeboten, die sich blendend weiterverkaufen ließen.

Auch die Europäer in ihren Monopoloasen machten mit. Offensichtlich wirkt selbst bei Profis das Medium als Droge. Oder vielleicht sogar gerade bei ihnen, denn wer als anerkannter Informationsprofi gelten will, der muß auf Sensation setzen.

Selbstbeschränkung ist wenig gefragt, Redlichkeit und ethische Verantwortung bei der Auswahl der Meldungen zweitrangig. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten stehen den Privaten im Elektronik- und Printbereich um nichts nach.

Diese negative Seite der Informationsfreiheit scheint dabei kaum in den Griff zu bekommen zu sein. Die technischen Möglichkeiten werden in Zukunft noch perfektere Berichte von „Kriegsschauplätzen” der Terrorszene erlauben.

Selbstverständlich auch rascher. Live-Berichte werden den Charakter des Sensationellen noch verstärken. Selbstbeschränkung wird alleine durch das technische Entwicklungspotential in der Informationsbranche noch weniger als heute zu realisieren sein.

Terrorkommandos mit ausgeklügelter Mediaplanung können nach den gemachten Erfahrungen nicht nur Öffentlichkeit erlangen, sondern auch massiven Druck auf Regierungen ausüben und deren Verhandlungsstrategien durchkreuzen. Welche unüberlegten Handlungen unter diesen Bedingungen dann gesetzt werden könnten, ist vorstellbar.

Ebenso wie die Versuchung anderer Terrorgruppen, in Kürze einen ähnlichen Erfolg auch auf ihr Konto zu buchen.

Denn sofern nicht rasch Ansätze zu einem Kodex für den internationalen Medienzirkus gefunden werden, ist davon auszugehen, daß die Terroristen wiederum ihre Plattform für ihre Terror-Show bekommen werden.

Und vielleicht sogar als Schauplatz ebenfalls Beirut wählen. Denn dort ist die Infrastruktur der Weltpresse im Augenblick vorzüglich in Schuß.

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