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Die Schauspieler der Wirklichkeit

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Eine schwierige Schularbeit oder ein drohender Einberufungsbefehl zum Militär veranlassen ängstliche Menschen immer wieder, entweder eine Krankheit zu fingieren oder zu simulieren. Sie legen sich ins Bett, spielen die Kranken und geben vor, entweder Fieber zu haben oder gar eine ernsthaftere Erkrankung.

Der Unterschied zwischen fingierter und simulierter Krankheit liegt darin, daß die fingierten Leiden gespielt sind, ohne daß Symptome erkannt werden können,

während die simulierte Krankheit eindeutige Symptome vorgeben muß.

In ähnlicher Weise müssen sich die Menschen gegenüber den Medien verhalten: Ohne ernsthafte Vorstellung von ihren Plänen, müssen sie vor den Kameras und Mikrophonen zumindest Intentionen fingieren, oder sie müssen ihre Entscheidungsfreude simulieren.

Je gewichtiger nun die Persönlichkeit ist, je bedeutender die Funktion im Staat, desto eher sieht sich diese gezwungen, im Fingieren oder Simulieren sowohl die Einheit der Person und Handlungsweise vorzutäuschen, als auch mit gespielter Selbstsicherheit die’ Wirklichkeit des Entscheidungsrahmens zu bewältigen, um sich als kompetent dem Publikum vorzustellen.

Nun wird es diese Situation immer gegeben haben, sodaß man sogar schon in den politischen Wissenschaften von Effekten gelungener Schauspielerei spricht. Freilich unterscheidet sich die Gegenwart von der Vergangenheit dadurch, daß die augenblickliche Wiedergabe von Haltungen und Meinungen in den Medien nicht nur die Vorbereitungszeit für simulierte Konzepte verkürzt, sondern auch zum Fingieren verleitet, da sich die politischen Akteure zu den Medien so verhalten müssen, als wären die Tonträger, Objektive und Gummilinsen die Öffentlichkeit.

Ja, mit einiger Ironie kann man behaupten, daß die wichtigsten Erklärungen an Bürger, vor Gremien und Institutionen des Staates eigentlich nur mehr in Zerrformen der Öffentlichkeit abgegeben werden, also vor einem Kameramann, Tontechniker und einem Interviewer. Nun könnte man eben mit einiger unliebenswürdiger Härte behaupten, daß gerade diese Alltags-Situation zum Berufsbild der Bedeutenden der Staaten zählt; sie hätten sich ja nicht nur diesen Beruf erwählt, sondern auch wegen ihrer medialen Eignung einen außerordentlichen gesellschaftlichen Rang erobert.

Das ist aber nur eine Seite der Medaille; am Revers sieht man, daß sich die Menschen zunehmend darauf einstellen, zwischen sie und die Öffentlichkeit haben sich die Medien geschoben und müssen vornehmlich den Medien gegenüber ihre Position behaupten. Somit kommt den Medien eine gesellschaftspolitische Selektionsfunktion zu, die beim Politiker den Schauspiel-Effekt verstärkt.

So fragt der Politiker regelmäßig nach seinem Interview: Wie war ich? War ich gut? Vor dem Interview erkundigt er sich, ob denn sein Haarschnitt, seine Brille und die Farbe seines Anzugs ein gutes ! Bild ergeben. Da der Politiker

vermutlich im unbewußten Selbsteingeständnis lebt, die Inhalte seiner Aussage ohnehin nur mehr fingieren oder simulieren zu können, drängen ihn die Medien vollends in Rollenklischees von Äußerlichkeiten und Nebensächlichkeiten.

Die Medien haben damit nicht nur die alte Bestimmung von Politik zerstört, sondern auch mittels ihrer Publizitäts-Sucht und Au- ßengeleitetheit einerseits die Kriterien politischer Öffentlichkeit minimiert, andererseits die Abstufung von politischen Bedeutungen verdreht. Und dieser Effekt ist den Medien vorzüglich gelungen, indem sie die Politik teils nach Unterhaltungswert auf Kosten der Information einstufen, teils wegen ihrer überragenden Position im sozialen Meinungsbildungs-Prozeß sich als die einzige und übriggebliebene „Opposition“ verstehen.

Die Medien bestimmen also weitgehend über die Themen der Politik. Da nun die Menschen trotz ihrer grundsätzlichen Politik-Fähigkeit in stärkerem Maß optische Wesen sind, ist es gerade dem „Fernsehen“ gelungen, die Doppelbödigkeit von authentischen Bildern und simulierten Bild-Bedeutungen und -In

Traum und Wirklichkeit

halten zu nutzen, um daraus den Show-Charakter der Politiker zu verstärken.

In diesem Dispositiv von Verführung und Nötigung (es sind ja echte Bilder!) finden sich die Politiker überhaupt nicht mehr zurecht, aber nicht deshalb, da sie grundsätzlich boshafte Menschen

„Der Bundeskanzler äußerte in der Oper seine tiefe Erschütterung …“

sind, sondern sie müssen ihre Tätigkeit unter der Bedingung des Theaterhaften und Gespielten ausüben, ohne dafür „geboren“ zu sein.

In jeder Zeitung ist ja seit Jahrzehnten schon zu lesen — beginnend beim Typus des „Medienkanzlers“ -, daß sich Politik nur mehr in diesen Simulationen bewegt, während die regelmäßigen Konkurse, Illiquiditäten der Firmen oder Staatsbetriebe schließlich als Dissimulationen wirken“ bis hin zu „echten“ Au-Besetzun- gen und Opernball-Krawallen.

Den Politiker treffen nun die „echten“ Bilder tief; der Bundeskanzler äußerte in der Oper seine

tiefe Erschütterung über die Ereignisse vor der Oper, erkannte aber nicht, daß er damit seinen Logenplatz zu räumen gehabt hätte, um ebenfalls eine vergleichbare Authentizität zu erzielen. Daraus ist schließlich die Entwicklung abzulesen, daß die Politik-Müdigkeit der Bürger nicht so sehr auf Grund mangelhafter Qualität der Politik eingetreten ist, sondern aus Gründen der Übersättigung des Theaterhaften der Politik.

Der Bürger erkennt dank der Medien, der Politiker sei nur ein Simulant seines Selbst. Die Antwort der Medien auf diese drohende Apathie des Publikums, das zuvor als politische Öffentlichkeit figurierte, sieht so aus, daß die Bemühungen um den Unterhaltungswert noch gesteigert werden.

Also entscheiden sich die Print- Medien für ein noch größeres Maß an Sensations-Verkündungen,

die die Urteilsfähigkeit in der Politik herabsetzen, während die „Bild“ -Medien ihr Heil in ihrer „apolitischen“ Unterhaltungsfunktion suchen. Trotzdem bleiben sie in der politischen Meinungsbildung präsent, gestalten aus Wahlen einen Wahlschlager, aus Meinungsunterschieden Kon-

(Karikatur Stauber/Die Welt)

flikte, aus Korruptionen eine landweite Komödie.

Gleichzeitig unterlaufen sie die demokratisch-rechtsstaatlichen Wertsysteme dadurch, daß eindeutige Bestimmungen und Normen entweder zur Privatmeinung verkommen oder durch die Zusammensetzung willkürlicher Diskussionszirkel im Club 2 nur mehr lächerlich erscheinen.

Der gesellschaftliche Konsens löst sich durch das Einwirken der Medien in Selbstdarstellungs- Formen auf, und die vom Publikum zu bewertende Bedeutung politischer Aussagen erhält eine nur mehr scheinbare demokratische Metaphorik, da jeder sagen kann, was ihm gerade einfällt und was er im Augenblick gerade will.

Die Medien zeigen teils schwarz auf weiß und teils in Farbe, daß alles eine einzige große Simulation ist, ein Spiel ohne Wirkung, währenddessen sich Tausende Arbeitslose, Hilfsbedürftige, Kranke und Alte verlassen Vorkommen und ihre Erwartungen in der Politik ent-täuscht sehen.

Was ist jetzt wirklich? Daher verlieren die „Medien-Träger“ nur in einem Punkt ihren professionellen Humor: Gegenüber dem Wort und der Wirklichkeit.

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