"Mediale Spielregeln ruinieren die Politik"

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Die Parteiendemokratie wird zur Mediendemokratie, warnt der Politologe Thomas Meyer. Hohe Aufmerksamkeitswerte werden zum Maß aller Dinge, die Inszenierung verdrängt politische Inhalte. Ein Gespräch über die Kolonisierung der Politik durch die Medien.

die furche: "Mediokratie" kann man als Herrschaft der Medien lesen. Sehen Sie dahinter eine Strategie der Medien, die Politik zu entmachten?

thomas meyer: Politik und Medien beeinflussen sich wechselseitig. Die Medien folgen den Regeln, die maximale Aufmerksamkeit garantieren. Politik sollte den Regeln folgen, die einer demokratischen, gerechten und problemlösenden Politik entsprechen. Wenn nun die Politik zunehmend den Medienregeln folgt, mit all dem, was sich gefällig darstellen lässt, was dem großen Publikum gefällt, so ist das die eigentliche Kolonisierung. Insofern ist die Kolonisierung zu einem erheblichen Stück die Selbstkolonisierung der Politik: Sie unterwirft sich gerne den Regeln der Medien, in der Hoffnung Kontrolle über ihre Darstellung in den Medien zurückzugewinnen.

die furche: Wie ist es zu der "Selbstkolonisierung der Politik" gekommen?

meyer: Den eigentlichen Schub in dieser Entwicklung haben die privaten Fernsehanstalten bewirkt. Das Fernsehen ist nämlich das Leitmedium, das natürlich sehr stark auf Zeitungen und Radio ausstrahlt. Die Kommerzialisierung, also die alleinige und ausschließliche Marktorientierung, gibt den Ausschlag. Denn solange man öffentlich-rechtliche Medien hat, die sich ein Stück weit von den Marktzwängen distanzieren können, oder Zeitungen, die rückgebunden sind an Milieus, denen gegenüber sie sich verantworten müssen, ist dieser Effekt immer begrenzt. Aber in dem Augenblick, wo Medien sich nur noch über den Markterfolg finanzieren, ist natürlich die Hemmungslosigkeit der Quote - der Quote um jeden Preis - das oberste Gesetz. Nur, das große Problem ist - das sage ich hier in Österreich sehr bewusst, denn bei ihnen sollen jetzt ja auch die Privaten kommen: Wenn erst einmal private Fernsehanstalten das Heft in die Hand genommen haben, färbt das auch auf die öffentlich-rechtlichen ab. Denn dann sagen die Politiker: "Wenn ihr eine kleinere Quote habt, als die Privaten, dann seid ihr offenbar vom Publikum nicht akzeptiert, warum wollt ihr dann die Rundfunkgebühren?" Dadurch versaut das ganze System weitgehend.

die furche: Erzeugt dieser Trend auch einen anderen Journalistentyp?

meyer: Es gibt einen älteren Journalistentyp, der politisch gebildet ist, erhebliche Analysefähigkeit besitzt und in den Inszenierungen noch das Politische sieht. Daneben gibt es einen jüngeren Typ, der das Inszenierungsgeschäft bestens beherrscht, der alles, was er produziert nur noch als marktgängige Ware betrachtet und in einem erheblichen Konkurrenzkampf steht. Für ihn ist oft das Politische nur noch Anlass für Inszenierungen, nicht mehr der Inhalt. Das ist ein Problem, denn die Medien machen noch immer den wesentlichsten Teil von Öffentlichkeit aus. Und Öffentlichkeit ist Demokratie.

die furche: Den Journalisten kommt hier eine große Verantwortung zu...

meyer: Genau. Ich bin Professor in der Journalistenausbildung, und mir wäre es am liebsten, wenn meine Journalisten mein Buch lesen würden, um darüber zu reflektieren, was die Versuchungen des heutigen Mediensystems sind. Und welche Zumutungen heute von der Politik an die Medien herangetragen werden. Ich glaube, dass die Journalisten am meisten bewirken könnten, wenn sie die inhaltsleeren Überinszenierungen sichtbar machen, sie destruieren und ein Stück Kommunikationskultur zurückgewinnen.

die furche: Sie erwarten von den Journalisten, dass sie die Schleier der Inszenierung lüften und nicht noch selber dabei mitmachen?

meyer: In der Tat. Wir erleben derzeit eine Rüstungsspirale. Natürlich gibt es Qualitätszeitungen und Qualitätsmagazine im Fernsehen und im Hörfunk, aber ein großer Teil der Medien erschöpft sich im Inszenieren der Oberfläche. Die Politiker, die um des Überlebens willen auf diese öffentliche Selbstpräsentationen angewiesen sind, drehen an der Aufrüstungsspirale selber mit. Sie inszenieren immer gröber, gefälliger, unpolitischer. Wir haben jetzt schon die Situation, dass relativ unpolitische Journalisten, die sich nur um die Inszenierung kümmern, Politikern gegenüber stehen, die erhebliche Stäbe beschäftigen, um die gefälligste, durchdringendste Inszenierung zu bringen. So geht das Politische selber unter.

die furche: Würden Sie den deutschen Bundeskanzler Schröder als "Inszenierer" bezeichnen?

meyer: Schröder macht inhaltliche Politik, aber er hat einen sehr wachen Sinn für die machtpolitische Bedeutung der Inszenierung. Das beste Beispiel stammt aus dem Frühjahr 1999, als er in der öffentlichen Meinung auf einem Tiefststand war und sich die Krise des Baugiganten Holzmann ereignete. Schröder hat erhebliche Gelder für die Sicherung von Arbeitsplätzen locker gemacht und ist dann in einer gigantischen Inszenierung angereist, um die frohe Botschaft zu überbringen. Tagelang bestimmte dann das Bild von Schröder als dem Erlöser von der Arbeitslosigkeit die Medien. Die taz titelte damals: "Holzmann saniert Schröder".

die furche: In ihrem Buch schreiben Sie, dass sich unter den Gesetzen der Mediokratie der Politikertypus verändert.

meyer: Das ist eine starke Tendenz. Natürlich lassen sich die Bürger durch bloße Inszenierung auf Dauer nicht täuschen. Aber starke Inszenierungen hinterlassen großen und bleibenden Eindruck. Die gekonnte Inszenierung spielt für die Zustimmung, die Sympathie eine ausschlaggebendere Rolle als viele inhaltliche Erfolge im Politischen. Die lassen sich überspielen und kompensieren. Das Inszenierungsgeschäft ist ein harter Teil des Machtgeschäftes geworden.

die furche: Haben Politiker, die nicht ständig auf die Popularitätsbarometer schielen, noch eine Chance?

meyer: Gegen die Medien eine langfristige für sich selber sprechende Politik zu machen, das riskiert heute keiner mehr. Es ist nicht durchzuhalten, weil dann sofort ein solcher Druck aufgebaut wird, dass einem auch die eigenen Unterstützer davonlaufen, weil sie unter dem Eindruck der Medien denken, "hier läuft alles schief". Diesen Druck hält keiner mehr als ein paar Wochen oder Monate aus.

die furche: Durch die Mediokratie, so Ihre These, werden die Parteien an den Rand gedrängt.

meyer: Eindeutig. Das letzte Beispiel war der SPD-Parteitag in Nürnberg. Was die führenden Politiker und Medienstrategen vorführen und medial durchsetzen, wird von den Parteien vollzogen, selbst wenn es nicht der Auffassung der Mehrheit entspricht. Denn sie denken, das sei die Bedingung für den Machterhalt. Größerer Dissens oder größerer Eigensinn der Partei gefährdet den Machterhalt, weil es dann in den Medien als Zerstrittenheit dargestellt würde. Die politischen Chefstrategen kalkulieren mit diesem Mechanismus. Die Parteien verlieren als große Diskursgruppen, wo langsam von unten aus der Gesellschaft heraus Richtungsalternativen erarbeitet werden könnten, immer mehr an Bedeutung.

die furche: Werden dadurch politische Fehlentscheidungen getroffen?

meyer: Auf jeden Fall. Mediokratie heißt auch die Vorherrschaft der absoluten Gegenwart, weil ja alles, was die Politik will, sagt oder macht, nicht nur tagesaktuell, sondern in Echtzeit sofort eine Medienresonanz findet. So dass viele der längerfristigen Themen im Bereich der Ökologie oder der ferner liegenden Themen im Bereich der globalen Gerechtigkeit in der Medienwelt überhaupt keine Chance haben. Dieses Jetztzeitdiktat verhindert sicherlich vieles von dem, was längerfristig und global geboten wäre.

die furche: Nach dem 11. September wurde viel und ausführlich über Politik berichtet. Sind Ihre Thesen dadurch nicht widerlegt worden?

meyer: Nein, der 11. September hat die Thesen des Buches noch bestätigt. Wie dieser Krieg inszeniert wurde und was uns an medialen Spielen vorgeführt worden ist, das war großteils medienorientiertes Theater, vor allem bevor die Militärschläge begannen. Der 11. September hat belegt, dass es die Ressourcen für gute Information gibt und dass ein unwahrscheinliches Medienspektakel die Realität verdrängen kann, wenn die führenden Politiker es darauf anlegen und die Medien mitspielen. In den USA wird meine These auf eine traurige Weise bestätigt, denn authentische Information und kritische Befragung finden nicht mehr statt. Sondern die von oben gesteuerte Kriegsinszenierung schlägt voll auf die Medien durch, die völlig regierungshörig berichten.

Das Gespräch führte Christian Brüser.

Zur Person: Autor und Kritiker der Medien

Univ.-Prof. Dr. Thomas Meyer lehrt Politikwissenschaft an der Universität Dortmund. Sein jüngstes Buch: "Mediokratie - Die Kolonisierung der Politik durch die Medien", erschien in der Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2001. Im selben Verlag sind bereits von ihm erschienen: "Die Inszenierung des Scheins" (es 1666) und "Die Transformation des Politischen" (es 1908).

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