Doch irgendwie ein Vorbild sein

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Kreisky, Wallnöfer, Gurgiser: Der Autor dieses Beitrags hat bei seinen politischen Lehrmeistern dreimal Glück gehabt. Einige Gedanken für und über jene, denen dieses Glück fehlt.

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Kreisky, Wallnöfer, Gurgiser: Der Autor dieses Beitrags hat bei seinen politischen Lehrmeistern dreimal Glück gehabt. Einige Gedanken für und über jene, denen dieses Glück fehlt.

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Einige Klassiker des Definitionsversuchs, was denn Politik sei und wie sie gemacht werde, bleiben mit Sicherheit auch im neuen Jahrhundert unsere Wegbegleiter. Etwa Max Weber, der den Politiker an dicken Brettern bohren lässt. Oder Robert Michels mit seinem ehernen Gesetz der Oligarchisierung (Herrschaft einer kleinen Gruppe). Wir sollten Hans Kelsen mit seinem Bemühen, die Verfassung möglichst "rein" von Inhalten und Wertungen zu entwerfen, einbeziehen. Alles Fragen und Antwortversuche auf Themen, die auch heute, unter weitgehend veränderten Umfeldbedingungen, von hoher Aktualität sind. Das Bohren an den dicken Brettern - genügen da bloße Hartnäckigkeit und Durchhaltekraft - oder haben sich vielleicht auch die Bretter in ihrer Konsistenz verändert? Das eherne Gesetz der Oligarchisierung - was bedeutet das in einer Zeit der rasanten Abnahme der Parteiloyalitäten, der ebenso rasanten Zunahme der Unterhaltungserwartung gegenüber politischen Akteuren, des weitgehenden Rückzuges ins Ego-Revier?

Für Hans Kelsens Einbezug plädiere ich aus aktuellem politischem Anlass: Man sollte nicht übersehen, dass er in seiner Konzeption einen breiten Meinungs- und Willensbildungsprozess vor jeder Entscheidung fordert. Das war in einer Zeit, in der von den Parteien offensichtlich noch sehr viel autochthone Kraft und Engagement ausging. Und es war lange vor einer Regierung, deren Konzeption ein neuer Entscheidungszentralismus - lediglich zwischen Regierung und Parlamentmehrheit - ist. Wir sollten uns dieser Veränderung bewusst sein, weil sie Folgen für die Methoden der Politik haben wird.

Gute Politik ist unspektakulär!

Es ist Aufgabe dieses Beitrages, sich vor allem mit jenen Menschen zu befassen, die Politik per Mandatsausübung betreiben. Also Max Webers "Bohrer(innen)". Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sollen sie haben, welches Verhalten sollen sie an den öffentlichen und auch privaten Tag legen. Eines sei gleich vorweg klargestellt: Die Rede ist von Politiker(innen) nicht von Unterhaltungskünstler(innen). Denn - so meine langjährige Erfahrung: Eine gute Politik ist im Grunde unspektakulär, so wie halt das Bohren an dicken Brettern.

Nach 28 Jahren nahezu hauptberuflicher politischer Tätigkeit darf ich mir erlauben, drei Thesen aus der Erfahrung zu bringen: * Auch wenn viele Begegnungen und Kontakte sehr schnell und oberflächlich verlaufen: Die Menschen spüren instinktiv, aus welcher Motivation heraus jemand in die Politik geht. Und das in sehr kurzer Zeit.

* Nachhaltig wirksame Politik ist nur im Team möglich. Gemeinsam mit den Betroffenen, an einem Projekt Interessierten, gemeinsam mit Kollegen, in Zusammenarbeit mit Beamten. Das heißt aber in Konsequenz: den Erfolg fair und öffentlich erkennbar teilen, selbst als Initiator ein Stück zurücktreten. Das mag Werbestrategien widersprechen, ist aber unabdingbares Erfordernis!

* Politik ist heute vor allem Dienstleistung, Impulse geben, Koordinationsarbeit leisten, Menschen zusammenführen, Initiativen setzen ...

Eine Vielzahl an Ansprüchen, die nur gemeinsam halbwegs zu erfüllen sind. Und unter der - erlernbaren --Voraussetzung der Fähigkeit zu rascher und kreativer Informationsverarbeitung in der Wissensgesellschaft.

In diesem Vierteljahrhundert konnte ich alle möglichen Philosophien und Methoden der Kandidatenauswahl miterleben und zum Teil mitgestalten. Vom Ruf nach Quereinsteigern mit möglichst hohem Bekanntheitsgrad bis zur Besinnung nach authentischen Vertretern der Partei und ihres Programms war so ziemlich alles dabei. Hehre Beschlüsse auf "Hearings" - bei denen schlussendlich mehr Kandidaten teilnahmen als Hörende und kritisch Fragende, statutarische Verpflichtungen auf jährliche Information der Wahlkreisangehörigen, Berichtspflicht der Mandatare über ihre Teilnahme an Versammlungen aller Art und vieles mehr. Das meiste ist mangels Interesse sanft entschlafen, ich bin überzeugt, dass das für alle Parteien gilt. Die Kriterien für die angestrebte Aktivierung, ja Mobilisierung der eigenen Parteien, der Wähler, der kritischen Jungen dürften woanders liegen.

Wir sollten bei der Betrachtung über das Bild von Politikern den Blick der Erfahrung auf verschiedene Kategorien, Typen und Rollenzuteilungen werfen. Als Beispiel für letztere diene der vielzitierte Quereinsteiger: Wenn die Wahl gut ausgeht, dann ist ja alles bestens und der Sieg hat unzählige Väter und Mütter. Übrigens, zwischenhinein: Beim Verlieren gibt es meist das Phänomen der "Gremialisierung des Verlustes" - es waren bei den Beschlüssen ja alle mit dabei.

Die Wahl geht nicht gut aus - wie sieht es dann im Inneren der Quereinsteiger aus? Sie haben - unerfahren - noch den Jubel des Wahlparteitages im Ohr. Haben jedes nette Wählerwort im Wahlkampf als Fixzusage der Stimme betrachtet, sind vom Parteisekretariat und den Werbemenschen medial hochgepuscht worden - und jetzt das.

Ein anderer Typus: die Selbstüberschätzer - eine gefährliche Zunft: Sie übertragen die Attraktivität des Spitzenkandidaten auf sich selbst. Im gemeinsamen Gremium mit diesem unkritisch und überloyal, zeigen sich erst im eigenen Bereich ihre wahren, wesentlich bescheideneren Qualitäten. Es gibt aber auch die Depressiven, Stillgewordenen, die sich in der Hektik und Oberflächlichkeit der Politik bei aller Bekanntheit verlassen und heimatlos fühlen. Sie fühlen sich von der Anspruchsgesellschaft, von ihrer Rolle als öffentliches Eigentum überfordert. Es sind Menschen mit hoher Sensibilität, denen man Zeit schenken sollte.

Weh dem, der sich für unersetzbar hält!

Mehr als bedrückend, ist die Einsamkeit vieler aus ihrem Amt Ausgeschiedener. Sie kehren oft nach Jahrzehnten in einen Familien- und Freundeskreis zurück, in dem es für sie eigentlich keinen entsprechenden Platz mehr gibt. In den Medien wurden sie als Vollblutpolitiker hochstilisiert, zurückgeworfen ins Privatleben spüren sie, auf einmal keine besondere Nachfrage mehr. Nach meiner Erfahrung: Es dauert nicht mehr als 14 Tage bis ein Abgang für eine Partei "erledigt" ist. Der Nachfolger musste schon längst öffentlich kundtun, was er anders zu machen gedenkt - er muss sich ja abheben. Die ersten, die wichtigsten Abschiedsfeiern sind vorbei und das Leben nimmt erbarmungslos seinen weiteren Lauf. Weh dem, der sich für unersetzbar hält!

Max Webers Bohrgleichnis legt es nahe, näher auf den oder die Bohrende, auf deren Arbeitsvoraussetzungen und Qualitätserfordernisse einzugehen. Das Beispiel stammt aus der Berufswelt der Tischler und Zimmerer. Es ist keine Frage, dass sich deren Ausbildung und berufliches Können ebenso weiterentwickelt hat wie die Ansprüche der Kunden. Ganz banal also - was heißt heute Bohren an dicken Brettern, welchen Ausbildungs- und Qualitätserfordernissen muss ein Politiker, Mann oder Frau nachkommen?

Zuerst: Es gibt für diese Berufsgruppe keine fixierte Ausbildung, die meisten derartigen Versuche, etwa über die Politischen Akademien, sind im Ernstfall nicht verpflichtend. Ernstfall heißt etwa, die wichtigsten Parteigremien wollen eine Person durchsetzen - sie werden es tun, ob mit oder ohne Seminare einer Politischen Akademie. Diese Situation hat Vorteile und Nachteile. Ein Vorteil: die freie Zugänglichkeit zum politischen Mandat. Ein Nachteil: Defizite vor allem beim Start, geringere Aktionskraft - und das bei einer Tätigkeit, die den Steuerzahler nicht wenig kostet!

Politik nach bestem Wissen und Gewissen Wenn ich jetzt zumindest für das "mentoring", also die Begleitung Junger durch die Erfahrenen eintrete, dann mit dem Hinweis auf das Glück, das mir zuteil wurde. Es war Bruno Kreisky, der sich stundenlang Zeit nahm, um einigen von uns im Detail über seine Arbeit zu informieren, uns um unsere Meinung zu fragen. Von ihm habe ich den Unterschied zwischen Exekutive und Legislative gelernt. In einer Zeit, als es noch selbstverständlich war, dass ein langgedienter Abgeordneter den Anspruch auf ein Regierungsamt anmeldet. Nicht auf Grund seiner Fähigkeit zur Administration, sondern auf Grund seiner Dienstzeit als Volksvertreter.

Das nächste Glück hieß Eduard Wallnöfer. Der Chef des politischen Gegners nahm sich die Zeit (im Gegensatz zu Kreisky immer frühmorgens), um mich über den Verhaltenskodex der Politiker aufzuklären. Anständig müsse man sein, in der Öffentlichkeit wie im privaten Leben. Und ein Vorbild, das wollen die Leute, so sinngemäß seine Feststellungen. Ich darf in Anlehnung an Wallnöfer einen Schluss zum Thema öffentlich-privat ziehen. Die Trennung zwischen den Sphären gilt für Privatpersonen. Sie gilt de facto keineswegs für Politiker! Auch wenn ihre Position auf der Skala öffentliche Anerkennung weit unten ist - viele wollen sie doch irgendwie als Vorbild. Als anständiges Vorbild.

Das dritte Glück: Das Transitforum um Fritz Gurgiser. Durch das Mitmachenkönnen in einem Bereich der direkten Demokratie habe ich die Bedeutung der Politik via Parteienkompromiss zu relativieren gelernt. Sicher ein Vorteil. Aber mit Kosten, denn man kann nicht beides haben, man muss sich für einen der Wege entscheiden. Und das geht nicht ohne schwere Konflikte. Hier habe ich gelernt, dass man für politische Wirksamkeit keines formellen politischen Mandates bedarf. Mein Fazit: Ihr Damen und Herren Nachwuchspolitiker - macht Politik nach bestem Wissen und Gewissen. Das erste müsst Ihr erwerben. Das zweite müsst Ihr in Euch haben!

Der Autor, Theologe, ist seit 1972 in der Politik sozialdemokratisch tätig: Bildungsreferent, Landesgeschäftsführer, Bundesrat, Nationalrat, zuletzt Innsbrucker Stadtrat. Seit 1987 Lehrbeauftragter an der Universität Innsbruck. Zuständig für die Denkwerkstatt des von der AK-Tirol gegründeten "Zukunftszentrums".

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