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Digital In Arbeit

Gefangen im Nete der Leerformeln

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Medien bieten heute eine Art Wegwerfwirklichkeit mit austauschbaren Bildern. Was sich dabei breitmacht, sind Gleichgültigkeit, Ignoranz und moralische Indifferenz.

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Medien bieten heute eine Art Wegwerfwirklichkeit mit austauschbaren Bildern. Was sich dabei breitmacht, sind Gleichgültigkeit, Ignoranz und moralische Indifferenz.

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Massenmedien liefern nicht nur Bilder über die Wirklichkeit ins Haus, sondern sie prägen auch unsere Bilder von der Wirklichkeit. Was Menschen mit Hilfe dieser Bilder für erstrebenswert oder ablehnungswürdig halten, was sie erhoffen oder befürchten, wofür sie sich öffnen oder wogegen sie sich verschließen, was sie anzieht oder was sie abstößt, alles dies wird von den sie umfangenden allgegenwärtigen Themenangeboten der Massenkommunikation mitbestimmt.

Zwar sind es nicht die Massenmedien alleine, über die sich der Wissensvorrat einer Gesellschaft, ihr jeweiliger Bewußtseinszustand und die Rangordnung individueller und kollektiver Wertorientierungen bestimmt; sie sind es aber in dem Maße, in dem sich die Lebenserfahrungen der Menschen immer weniger aus ihrem Erleben unmittelbarer Wirklichkeit speisen, sondern aus der künstlichen Symbolwelt der Medien.

Diese mediale Symbolwelt ist es, die für Milhonen „Wirklichkeit“ definiert, die eine „virtuelle Omnipräsenz der gleichen Nachrichten und Ideologien, der gleichen Leitbilder und emotionalen Khschees, der gleichen suggestiven Stereotypien in allen Teilen der Erde“ (Georg Picht) schafft. Dabei prägen sich neue Muster und Strukturen der Wahrnehmung und Wertung von Welt und Wirklichkeit heraus.

So suggeriert etwa der Ein- und Ausschaltknopf des TV-Apparates nahezu beliebige Verfügbarkeit der Welt: je nach Beheben kann man sie ins Wohnzimmer holen oder draußen lassen. Die Medien bieten eine Art „instant-reahty“, eine zum raschen Verbrauch bestimmte Wegwerfwirklichkeit, die sich in längst austauschbar gewordenen Bildfolgen ständig zu reproduzieren scheint. Reduziert auf einfache Muster der Darstellung wird so der Anschein der Vertrautheit des Konsumenten mit dem zu konsumierenden Produkt geweckt und stets aufs neue genährt.

Aber diese künstUch gesteuerte Intimität im Umgang mit dem Weltnahen und dem Weltfernen, die Aufhebung der Distanz zwischen dem Vertrauten und dem Fremden, die Verkürzung komplexer Handlungszusammenhänge auf kurzatmige Momentaufnahmen des Hier und Jetzt, der programmierte Verzicht auf Unterscheidung von scheinbar Un-unterscheidbarem — alle diese Merkmale also einer artifiziellen MedienwirkHchkeit stehen dem Begreifen komplexen Wirklichkeitsgeschehens entgegen.

Medien produzieren zwar Bilder von Wirklichkeit, aber an diese Bilder knüpfen sich keine oder nur mangelhafte Vorstellungen beim Leser, Hörer oder Seher. Fehlen aber die Vorstellungen des Geschehens, kann der Dauerherausforderung an den sogenannten mündigen Bürger und Medienkonsumenten - nämlich auch zur eigenständigen Urteilsfin-dung über das Geschehen zu gelangen — nicht entsprochen werden. Verkümmert aber die Urteilsbildung, machen sich Gleichgültigkeit, Ignoranz und moralische Indifferenz breit.

So ergibt sich die Paradoxie für die Medien, durch das Labyrinth hindurchzuführen, das sie selbst hervorgerufen haben, in der Absicht, das Weltenlabyrinth durchschreitbar zu machen. Das ist zugleich ihr eigentliches moralisches Problem.

Es gibt empirische Indizien dafür, daß die Massenmedien mehr und mehr darauf verzichten, moralische Werthaltungen zum Thema öffentlicher Kommunikation zu machen. So zeigen Daten einer noch unveröffentlichten Studie des Wiener Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien (Maximilian Gottschlich/Karl Obermair: Wertewandel in den österreichischen Massenmedien 1965-1986, im Auftrag des Presse-und Informationsdienstes des Bundesministeriums für Landesverteidigung.), daß mehr als die Hälfte aller politisch relevanten journahstischen Aussagen der letzten Jahre in österreichischen Printmedien keine eindeutig erkennbaren Wertorientierungen aufweisen.

Daß der politische Journalismus darauf verzichtet, Werte zum Objekt seiner Darstellungen zu machen, hat nichts - wie sich vorschnell vermuten ließe — mit hohem Objektivitätsstandard zu tun. Im Gegenteil: objektive Berichterstattung hätte - richtig verstanden - das Ziel, politisches, wirtschaftliches usw. Handeln vor je unterschiedlichen Werthorizonten erkennbar zu machen, es also gerade nicht von seinen normativen oder ideologischen Wertbezügen loszulösen.

Dies ist ja das immer wiederkehrende Mißverständnis in der politischen Kommunikation ins-, gesamt — sei sie von Politikern oder Journalisten betrieben —, zu meinen, mit der Strategie öffentlicher Nicht-Festlegung auf bestimmte Werte eine geringere Angriffsfläche für den politischen Gegner zu bieten. Die politische Kommunikation unserer Tage ist von dieser Strategie der Immunisierung durch Ideologieverzicht deutlich gekennzeichnet, von einer Strategie, die sowohl im nationalen Bereich als auch im internationalen Bereich zur Tagesordnung gehört und eigenen Spielregeln folgt.

Anschauungsobjekt dafür etwa ist der vielstrapazierte und mit Blick auf die Wiener KSZE-Konferenz wieder aktualisierte Friedensbegriff. Solange „Friede“ nicht näher inhaltlich differenziert wird, wird suggeriert, Demokratie und Diktatur könnten mit

„Friede“ (das gleiche gilt für „friedliche Koexistenz“, „Entspannung“ und so weiter) den selben moralischen beziehungsweise politischen Sinn verbinden. Damit wird aber — weit davon entfernt, „objektiv“ zu sein - ledig-bch die (Selbst-)Täuschung der Menschen prolongiert (siehe Kasten unten).

Was sich noch zeigt: die Hälfte aller Werte, die dennoch Eingang in die journabstische Berichterstattung fanden, stellen nicht positiv zu erstrebende Ideale dar, sondern es läßt sich vielmehr feststellen, daß etwa „Krieg“, „Terror“, „Antisemitismus“, ,J?ro-porz“ und dergleichen zwar Anlaß für negative journalistische Bewertung sind, jedoch nicht dazu führen, die jeweilige positiv gewendete Entsprechung zum Thema zu machen.

Etwa: Gegen „Krieg“ zu sein, sagt noch nichts über wünschenswerte oder weniger wünschenswerte Zustände des „Friedens“ aus. Meint man den „Frieden“ in Freiheit und Gerechtigkeit oder den „Frieden“, der zwar möglicherweise das nackte Uberleben sichert, aber dies um den Preis des Verzicbts auf Freiheit und Gerechtigkeit.

Rundum wird der Verfall der politischen Kommunikation bedauert — ein Grund dafür hegt eben darin, daß die, die dafür zuständig sind, darauf verzichten, verschiedene auch kontroversiel-le Perspektiven dessen, wofür man eintreten kann, einander entgegenzustellen. Man meint, mit der scheinbaren Gemeinsamkeit in der Haltung der Ablehnung sich die mühevollere Arbeit der Auseinandersetzung im politischen Diskurs zu ersparen. Und die Medien — als Garanten für Meinungsfreiheit und Pluralismus angesehen — tun, wie sich zeigen läßt, nichts dazu, diesen Defiziten öffentlicher Kommunikation zu begegnen.

Hand in Hand damit geht eine zweite ebenfalls erkennbar gewordene Strategie der Nivellierung unterschiedlicher Wertorientierungen einher, nämlich eine undifferenzierte und unreflek-tierte Verwendung positiv geladener Werte. Diese sind zwar mit hoher Zustimmungsbereitschaft ausgestattet, stellen jedoch inhaltliche Leerformeln dar, die von jedermann beliebig interpretierbar und für seine Zwecke mißbrauchbar sind.

Die empirischen Befunde zeigen, daß vor allem in den politisch relevanten Ressorts wie Außen-pobtik, Innenpolitik und Wirtschaft Werthülsen wie „Effizienz“, „Flexibilität“, „Dialog“ und so weiter im Vordergrund stehen. Aber: „Flexibilität“ auf Kosten welcher möglicherweise aufzugebender Prinzipien? „Effizienz“ zur Erreichung welcher Ziele? „Dialog“ zur Verschleierung oder Durchsetzung welcher Interessen?

Diese Leerformeln sind es, die die gegenwärtige politische Kommunikation in nahezu allen Lebensbereichen tragen. Es ist dies die Herrschaft der Phrasen. Sie reicht vom Staatsoberhaupt bis hin zum kleinen Lokalpolitiker, vom Erzbischof bis zum Kaplan, vom Universitätsprofessor bis zum Volksschullehrer.

Dieses Netzwerk demokratisch legitimierter Lüge, das sich zwar nicht offen gegen die Wahrheit stellt, ihr aber auch nicht zum Durchbruch verhilft, wird gleichermaßen geschmeidig wie konsequent von Politik und Medien geflochten. Aber daran ist der Verfall der politischen Kultur, der Verfall der Demokratie ablesbar ...

Der Autor ist Professor für Publizistik-und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

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