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Mit Spionen leben

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Die Sensation, es seien auf einen Schlag 105 sowjetische Spione in England entlarvt und aus dem Lande komplimentiert worden, verdrängte für Tage jede andere Aktualität von den Spitzenplätzen auf Mattscheiben und Zeitungstitelseiten. Sogar in Dublin, wo noch Stunden zuvor alles Interesse auf das bevorstehende Zusammentreffen der drei Premierminister konzentriert schien, wurde von nichts anderem mehr gesprochen.

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Die Sensation, es seien auf einen Schlag 105 sowjetische Spione in England entlarvt und aus dem Lande komplimentiert worden, verdrängte für Tage jede andere Aktualität von den Spitzenplätzen auf Mattscheiben und Zeitungstitelseiten. Sogar in Dublin, wo noch Stunden zuvor alles Interesse auf das bevorstehende Zusammentreffen der drei Premierminister konzentriert schien, wurde von nichts anderem mehr gesprochen.

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Doch das Aufregende an der Affäre war in keiner Weise qualitativer Natur. Sie war, auf Grund ihres Umfanges, zwar ein Sonder-, ansonsten aber in keiner Hinsicht ein Einzelfall. Denn hohe sowjetische Geheimdienstbeamte sind auch schon zuvor abgesprungen. Und auch früher schon stand bei solchen Anlässen mehr die Verlockung des westlichen Dolce vita (eingeschlossen die Anziehungskraft kapitalistischer Weiblichkeit) als das gequälte Gewissen eines Meisterspions mit Skrupeln Pate. Und auch die Umdrehexperten des britischen Secret Service, dessen Effizienz wesentlich größer ist als sein Ruf, hatten bei dem munteren und meist unblutigen Spionenein- fangspiel auch früher schon manchen Gutpunkt zu verbuchen, ungeachtet aller Bosheiten, die gelegentlich von US-Diplomaten, für deren Unabhängigkeit von der CIA man auch nicht gerade die Hand ins Feuer legen möchte, über die britischen Kollegen unter der Hand verbreitet werden.

Last but not least ist es schon gar keine Neuigkeit, daß Spione als Diplomaten, als Botschaftsangestellte oder quasidiplomatisches Personal auftreten. Wie aufgebläht heute die Apparate der von den Großmächten unterhaltenen Geheimdienste sind, spiegelt sich vor allem in den Personalstärken der Botschaften, die sehr oft in umgekehrtem Verhältnis zur weltpolitischen Wichtigkeit des Stationierungslandes stehen. An den vor einigen Monaten erschienenen Artikel des US-Magazins Newsweek über die geplante chinesische Botschaft in Wien erinnert man sich deshalb mit Ärger, weil er stark nach gezielter antiösterreichischer Public-relations-Arbeit roch, aber was dort gesagt wurde, klang in der Sache mehr wie ein Gemeinplatz als wie eine Sensation, fast hätte man sagen mögen: No, na. Denn daß das Reich der Mitte seinen stärksten Personalstab in Westeuropa deshalb in Wien unterbringt, weil die Beziehungen zu Österreich einen derart hohen Stellenwert in der chinesischen Außenpolitik einnehmen, dürfte selbst auf dem Ballhausplatz niemand glauben.

Anderseits unterhalten die mächtigen Vereinigten Staaten beispielsweise in Kinshasa, einst Leopold- ville, eine Botschaft, die in keiner Weise der Bedeutung des exbelgischen Kongo in der amerikanischen Außenpolitik entspricht. Es ist denn auch ein offenes Geheimnis, daß diese Botschaft der Hauptstützpunkt für die Versuche der CIA, gewisse maoistische Regimes in Afrika zu stürzen, ist. Und der gegnerische Hauptstützpunkt, die chinesische Botschaft in Brazzaville, ist auch nicht fern. Zahlreiche „Persönlichkeiten zwischen den Lagern“, die nur eine allzu grobschlächtige Ehrlichkeit als Doppelspione zu bezeichnen wagt, haben es nicht weit — eine Fahrt mit der Flußfähre genügt.

Es ist heute so, daß sich die weltpolitisch-weltwirtschaftliche Problemstellung der Großmächte direkt von ihren Geheimdiensten ablesen läßt. Vielleicht ist tatsächlich nur jeder zweite sowjetische Botschaftsmann, Angestellte einer Handelsmission, Aeroflot- oder Inturistfunk- tionär ein Spion. Ihr gewaltiges Interesse für technologische Informationen spiegelt die Juniorstellung der Sowjetunion auf diesem Gebiet. Ihre Arbeit erspart der Sowjetunion jahrelange Entwicklungsarbeit. Und verschafft ihr in manchen Fällen hochwertige Statussymbole zu tief reduzierten Preisen.

Denn wenn eine auf künftige Friedensregelungen hoffende Menschheit nicht enttäuscht (was heißen würde: vernichtet) wird, dann wird eines Tages (noch klingt es utopisch), selbst die Atombombe ein Statussymbol der Großmächte gewesen sein (welche Rolle sie dann in den Auseinandersetzungen der „Kleinen“ spielen wird, steht auf einem anderen Blatt). Und die Tatsache, daß die genial abgeschaute sowjetische Überschallmaschine („Concordo-

witsch“) bereits Passagiere befördert, während kein Mensch weiß, ob und wann nun die Westconcorde tatsächlich in den internationalen Flugplänen aufscheint, ist zwar ein Prestigeerfolg der Russen, bringt ihnen aber keinen Rubel mehr, denn sie werden kein Exemplar dieses Überschallflugzeuges in den Westen verkaufen können und sie selber hätten zweifellos kein Exemplar eines westlichen Überschallflugzeuges gekauft

Dies gilt, zum Glück, für viele andere Beutestücke der technologischen Sowjetspionage — heute noch. Morgen könnte es freilich anders sein. Die Japaner, die noch vor zehn, fünfzehn Jahren westliche Kameras nachbauten und dabei allerlei lernten, sind heute bereits Knowhow- Exporteure.

Der größte Knowhow-Exportstaat der Welt, die USA, hat naturgemäß andere Spionageinteressen. Die Agenten der westlichen Vormacht verfolgen in erster Linie machtpolitische Ziele. Die natürlich auch ihre wirtschaftspolitische Seite haben. Was da gespielt wird, kann nfan aber nur ahnen. Sollten jemals britische Secret-Service-Beamte amerikanische Kollegen bei dubiosen Aktionen ertappen, wird man es ebensowenig auf der Titelseite der Zeitungen lesen oder durch das Fernsehen erfahren, wie sowjetische Geheimdienstoperationen gegen die Zwangsverbündeten im Ostblock. Die Gegenseite kann man offen in die Schranken verweisen. Mächtige Freunde stößt man nicht vor, den Kopf. Man könnte sich dabei zu leicht selbst eine Beule holen.

Und nicht nur die Großmächte neigen immer mehr dazu, Diplomatie uncji Spionage zu vermengen, und ihren Spionen so besseren Schutz und besseres Parkett zu geben. Auch die Prager Werber, die es auf österreichische Journalisten abgesehen hatten, knüpften ihre Kontakte vorzugsweise am Rande des diplomatischen Milieus.

Von der Unfähigkeit ägyptischer Salonspione hört man sagenhafte Dinge, die an den legendären Kwaplitschka erinnern. Um so effizienter arbeitet der israelische Geheimdienst. Daß die Personalunion von Diplomat und Nachrichtenmann auch hier üblich ist, zeigten Entführung und Tod eines hochgestellten israelischen Konsulardiplomaten in Istanbul. Er hatte vor seiner diplomatischen Tätigkeit für den Geheimdienst gearbeitet und den türkischen Behörden Namenslisten türkischer Radikaler übergeben, die von den arabischen Freischärlern militärisch ausgebildet und von den Israelis identifiziert worden waren.

Ein Fazit? Es gibt kaum ein Land mehr, und bestimmt kein industrialisiertes Land, das nicht mit den Spionen leben müßte, mit den feindlichen, mit den „befreundeten“ und mit den eigenen. Letztere sind für die Demokratie oft am gefährlichsten. Was man erfährt, selbst was man durch den größten Skandal erfährt, ist nur die Spitze eines Eisberges. Mata Hari ist tot. Zehntausende kleine Rädchen in den großen Spionageapparaten aber funktionieren leise. Und werden weiter und weiter funktionieren.

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