Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Der Rassenkampf
Wer einem arabischen Politiker schaden will, verdächtigt ihn der Spionage oder denunziert ihn als verkappten Juden. Diese ungute Tradition in der arabischen Welt ist so alt wie der Staat Israel. Ihr neuestes Opfer ist der libysche Partei-und Staatschef Oberst El-Gaddafi. Die Tel Aviver Abendzeitung „Ma'a-Riv“ kolportierte Recherchen des israelischen Geheimdienstes „Mossad“, denen zufolge El-Gaddafi teilweise von einer jüdischen Familie abstammen soll.
Wer einem arabischen Politiker schaden will, verdächtigt ihn der Spionage oder denunziert ihn als verkappten Juden. Diese ungute Tradition in der arabischen Welt ist so alt wie der Staat Israel. Ihr neuestes Opfer ist der libysche Partei-und Staatschef Oberst El-Gaddafi. Die Tel Aviver Abendzeitung „Ma'a-Riv“ kolportierte Recherchen des israelischen Geheimdienstes „Mossad“, denen zufolge El-Gaddafi teilweise von einer jüdischen Familie abstammen soll.
In Tripolis sieht man in dieser „Enthüllung“ einen anrüchigen Versuch zur Erledigung eines „gefährlichen Gegners des Zionismus“. Die Veröffentlichung verrate, wie man in der Umgebung des Staatschefs zugibt, ein gutes Gespür für das psychologische Klima der arabischen Politik. Man erinnert hier daran, daß dies nicht der erste Fall sei, in dem man arabische Politiker mit der Behauptung fertigzumachen versucht habe, in seinen Adern fließe jüdisches Blut. In manchen Fällen habe sich das sogar als richtig herausgestellt, was aber an der unzweifelhaften Zugehörigkeit der Betroffenen zur arabischen Nation und an ihrem Eintreten für die arabische Sache nichts ändere. So sei der gegenwärtige jemenitische Staatschef Iriani ursprünglich ein Sprößling der jüdischen Kolonie in San'a gewesen. Ein muselmanischer Kaufmann habe ihn jedoch adoptiert, zum Islam bekehrt und ihm den sozialen Aufstieg ermöglicht. Auch den Chef der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“, Jassir Arafat, habe man — allerdings von seiten der transjordanischen Beduinenstämme — als einen aus Albanien zugewanderten Juden bezeichnet, in der P. L. O. gibt es tatsächlich prominente Mitglieder mit teilweiser jüdischer Vergangenheit. Der bei Gefechten mit der israelischen Armee getötete „Fedaijjin“-Kommandeur Nabu Nassar, dessen Bruder von den israelischen Behörden wegen seiner Untergrundtätigkeit zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, hat eine jüdische Mutter.
Noch vor kurzem genügte der Vorwurf, man sei Jude oder israelischer Spion, um in den arabischen Staaten schwerwiegenden Pressionen ausgesetzt zu sein. Mit dieser Behauptung diskreditierte man mißliebige Journalisten und sogar in arabischen Diensten stehende ausländische Experten. Der Raketenexperte Professor Otto Golling, ein Österreicher mit tiefbrauner Vergangenheit, wurde wegen seiner hartnäckigen Kritik an der Korruption in der ägyptischen Rüstungswirtschaft als „Jude“ denunziert und mußte das Land verlassen.
Die Gelassenheit, mit der man in Tripolis auf die „Enthüllung“ der israelischen Zeitung reagiert, zeigt eine erstaunliche Evolution der arabischen öffentlichen Meinung in dieser Frage an. Für die Vermutung, daß an der israelischen Behauptung „etwas dran“ ist, spricht das amtliche Schweigen zu den Tatsachenbehauptungen in „Ma'a-Riv“. Das Blatt schrieb, Gaddafis Mutter sei eine geborene Lingi. Sie habe ungefähr 1940 einen muselmanischen Nomaden geheiratet — Gaddafis Vater. Mitglieder des Clans der Lingi leben heute angeblich in Israel. El-Gad-dafl hätte also direkte Verwandte in dem von ihm bekämpften zionistischen Staat. Nach jüdischer Lehrmeinung wäre er durch seine ursprünglich jüdische Mutter sogar Jude. Im Islam zählt jedoch nur die Abkunft des Vaters, und nach ihr ist der libysche Präsident eben Araber.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!