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Verrückter Staatschef

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In Libyen deuten verschiedene Anzeichen auf einen bevorstehenden Wechsel in der obersten Führungsspitze hin. Militärdiktator Oberst El-Gaddafl erscheint seit Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit, und der Militärjunta nahestehende Kreise in Algier rechnen mit seinem baldigen Sturz. Zuverlässige Nachrichten aus Tripolis lassen darauf schließen, daß sich bei dem 29jähri- gen Politiker immer deutlichere Symptome einer Geisteskrankheit zeigen, die in seiner Familie schon mehrere Opfer gefunden haben soll. El-Gaddafl leidet offenkundig unter Verfolgungswahn, Menschenscheu und Arbeitsunlust.

In algerischen Ärztekreisen, die sich über Verlauf und Ergebnis der kürzlichen Besprechungen zwischen dem algerischen Präsidenten Houari Boumedienne und dem libyschen Juntachef informieren konnten, diagnostiziert man bei dem jugendlichen Diktator Anzeichen von In fantilismus und Schizophrenie. Noch nach seiner Machtergreifung sei El-Gaddafl häufig am Steuer eines schnellen Sportwagens durch die Gegend gerast, ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Verkehrszeichen zu beachten. Dabei sei es am 18. September auf der Ausfallstraße zwischen Hauptstadt und Flughafen Tripolis zu einem Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Lastkraftwagen gekommen, bei dem der Staatschef leicht verletzt worden sei. Obgleich es keinerlei Beweise für ein

Verschulden des Lastwagenfahrers oder eine Attentatsabsicht gegeben habe, sei El-Gaddafl nicht davon abzubringen gewesen, daß man ihn habe ermorden wollen. Bei Nacht und Nebel sei er heimlich aus der Hauptstadt verschwunden und habe sich volle drei Wochen im Beduinenzelt seines als schrullig geltenden greisen Vaters versteckt.

Aus Tripolitaner Juntakreisen verlautet dazu, der Oberst zeige seitdem krankhaftes Mißtrauen, beschuldige laufend eines oder mehrere Mitglieder der zwölfköpfigen Führung der Konspiration und drohe mit Hochverratsprozessen. Bei der geringsten Meinungsverschiedenheit verliere er die Nerven. Entweder verlasse er tagelang überhaupt nicht sein Schlafzimmer oder verschwinde irgendwo in der Wüste. Er verweigere die Diskussion über wichtige Verwaltungsakte und seine Unterschrift unter dringende Gesetze oder Verordnungen. In der Junta scheint man zu fürchten, der Verfolgungswahn des durch seine Stellung geistig und altersmäßig offenkundig überforderten Staatschefs könne früher oder später zu einem Blutbad unter ihren Mitgliedern führen. Man sucht daher nach einem unverfänglichen Grund, El-Gaddafi zumindest kaltzustellen. Nach außen hin möchte man natürlich nicht zugeben, daß das Land gegenwärtig von einem höchstwahr scheinlich Geisteskranken regiert wird. An dieser Scham scheiterte bereits der erste Versuch zum Sturz El-Gaddafis. Im Herbst hatte er schon einmal seinen Rücktritt verkündigt, war aber kurz darauf ins Amt zurückgekehrt. Die damalige Demission geschah, wie man jetzt weiß, nicht freiwillig, sondern unter dem Druck der übrigen Juntaoffiziere. Es scheint die Furcht vor einer ägyptisch-syrischen Intervention auf Grund der Föderationsverfassung gewesen zu sein, die dem Diktator das Bleiben ermöglichte.

Nun glaubt man in Tripolis anscheinend, man brauche mit einer solchen Intervention nicht mehr zu rechnen. Man stützt sich auf die Stimmung in Kairo und Damaskus, die der Extratouren El-Gaddafls zunehmend überdrüssig ist. Ein Sturz El-Gaddafis würde, wie man in Tripolis glaubt, jedoch gleichbedeutend sein mit dem Ausscheiden Libyens und dem Ende der arabischen Dreierföderation. Tripolis würde sich dann wieder mehr nach dem Maghreb orientieren, mit Algerien Zusammenarbeiten und auf das Zustandekommen der seit längerem geplanten Maghreb-Föderation mit Algier, Tunis und Rabat hinarbeiten.

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