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Wenn das letzte Asyl dichtmacht.

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Aus aller Herren Länder strömen Asylsuchende in den „Goldenen Westen“. Die Regierungen reagieren mit verschärften Asylbestimmungen. Ist Humanität konjunkturabhängig?

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Aus aller Herren Länder strömen Asylsuchende in den „Goldenen Westen“. Die Regierungen reagieren mit verschärften Asylbestimmungen. Ist Humanität konjunkturabhängig?

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Die nackten Zahlen sprechen für sich. Vor zwei Jahren noch, 1983, wurden fast zwei Drittel der 3.686 Ansuchen um politisches Asyl in Österreich stattgegeben. Ein Jahr später, 1984, bewarben sich doppelt so viele Flüchtlinge, nämlich 7.208 Personen, um politisches Asyl, aber weniger als die Hälfte von ihnen wurde tatsächlich als Flüchtlinge im Sinn der Genfer Konvention von 1951 anerkannt.

Für heuer, 1985, rechnet man im Innenministerium insgesamt mit wiederum mehr als 7.000 Anträgen auf Zuerkennung des Status „politischer Flüchtling“. Wie allerdings die Zwischenbilanz zum 31. Oktober 1985 zeigt, dürfen nur weniger als 40 Prozent von ihnen mit der positiven Erledigung ihres Asylantrages rechnen.

Als Begründung für das sprunghafte Ansteigen der Asylwerber einerseits und die fallende Tendenz bei der positiven Erledigung der Asylanträge andererseits muß ein Begriff herhalten, den die Öffentlichkeit schon während der großen Welle der Polenflüchtlinge zwischen 1980 und 1982 geprägt hat: „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Anerkannt als Flüchtling im Sinn der Genfer Konvention werden Personen, die deshalb ihre Heimat verlassen haben, weil sie fürchten, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden und deshalb nicht gewillt sind, in ihr Land zurückzukehren.

Auf „Wirtschaftsflüchtlinge“ trifft das alles wohl nicht zu. Sie verlassen Freundeskreis, oft auch die Familie, den gewohnten Sprach- und Lebensraum - nur um an den westeuropäischen Wohlstandsgesellschaften als „Schmarotzer“ teilzuhaben.

Das wird dort zumindest solange toleriert, solange in Zeiten prosperierender Volkswirtschaften auch jemand die „Drecksarbeit“ erledigen muß. Steigen die Arbeitslosenraten, werden die Verteilungskämpfe innerhalb der Länder härter, dann werden die Grenzen dichtgemacht, die Asyltore geschlossen. Das ist nicht nur in Österreich so.

Von der Schweiz über die Bundesrepublik Deutschland nach Frankreich, von Großbritannien über Dänemark bis Schweden wurden und werden die Asylbestimmungen für Flüchtlinge verschärft. Traditionelle Weiterreise- und Aufnahmeländer wie die USA, Kanada oder Australien haben ihre Flüchtlingskontingente weitgehend eingeschränkt.

Die Hoffnungen vieler Flüchtlinge aus den kommunistischen Staaten Osteuropas, immer mehr aber aus Dritte-Welt-Ländern Afrikas und Asiens, im „Goldenen Westen“ frei atmen zu können und ein menschenwürdiges Dasein zu finden, werden heute durch Ab- und Zurückschicken enttäuscht.

Humanität ist, wie man sieht, auch von der Konjunktur abhängig.

Dabei darf sich Österreich noch immer zugute halten, daß seine Asylpolitik nach wie vor zu den großzügigsten der ganzen Welt zählt. 228 Millionen Schilling sind im Budget 1986 für Flüchtlingsbetreuung vorgesehen. Aber der für Flüchtlinge zuständige Innenminister Karl Blecha steht mit seinem finanziellen Einsatz so ziemlich allein auf weiter Flur, sieht man von karitativen Einrichtungen ab.

Die österreichischen Bundesländer zahlen keine Unterstützung aus ihren Sozialbudgets für — wenn nicht als Konventionsflüchtlinge anerkannte - Asylsuchende.

In Österreich wird zumindest kein Asylwerber, so Innenminister Blecha, gegen seinen Willen wieder in sein Herkunftsland abgeschoben. Da sind zum Beispiel die Schweden weniger zimperlich. Wer keine Chance auf die positive Erledigung seines Asylantrags hat, wird bei uns auch nicht verhungern. Im Flüchtlingslager Traiskirchen findet er ein Dach überm Kopf und Verpflegung, wenn auch unter „menschenunwürdigen“ (Blecha) Lebensbedingungen. So weit, so gut.

Nach wie vor hat Österreich in der Welt einen hervorragenden Ruf als Asylland. Dabei ist der Sozialist und Innenminister Blecha „fest davon überzeugt, daß der durchschnittliche Österreicher keine andere Einstellung gegenüber Flüchtlingen hat als der durchschnittliche Schweizer oder Schwede, obwohl unser internationaler Ruf ein ungleich besserer ist“.

Es liegt an allen Österreichern, den Innenminister vom Gegenteil zu überzeugen.

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