Staatlich verordnetes Untertauchen

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Asylwerber sollen vom Staat verordnet ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Wie soll das gehen, wenn ihnen das der selbe Staat durch Entzug der Arbeitserlaubnis verunmöglicht?

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Asylwerber sollen vom Staat verordnet ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Wie soll das gehen, wenn ihnen das der selbe Staat durch Entzug der Arbeitserlaubnis verunmöglicht?

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Nachdem sich im vergangenen Herbst das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR über die Asylpraxis in Österreich besorgt gezeigt hatte, weist eine neue Studie von "Asylkoordination Österreich" erneut auf die Schwächen der österreichischen Flüchtlingspolitik hin. Nicht nur, dass Flüchtlinge in Österreich - anders als in Deutschland - kein Recht auf staatliche Betreuung haben, auch andere Aspekte des Asylverfahrens sind fragwürdig. Würden nicht in mehreren Fällen Wohlfahrtsorganisationen sowie einige Städte und Gemeinden die Betreuung von Flüchtlingen übernehmen, wären Hunderte von Asylwerbern völlig im Stich gelassen.

"Asylkoordination Österreich", der Dachverband aller Einrichtungen im Bereich der Flüchtlingsbetreuung, untersuchte drei Jahre lang die Praxis des Asylgesetzes von 1997. Im Mittelpunkt der Kritik steht in erster Linie die häufige Einweisung Asylwerbern in die Schubhaft. Entgegen der Empfehlungen des UNHCR, Asylwerber generell nicht in Schubhaft zu nehmen, befinden sich mindestens elf Prozent der Asylwerber während des laufenden Asylverfahrens im Gefängnis. Auch wenn formalrechtlich die Schubhaft keine Strafhaft darstellt, hat die Praxis der Inhaftierung oft schwerwiegende Konsequenzen für die Betroffenen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Asylsuchende über fremdenrechtliche Maßnahmen, über Beschwerderechte und das österreichische Asylverfahren nur unzulänglich informiert werden, ist hierbei nämlich groß. "Der Schubhäftling ist in seinen Kommunikationsmöglichkeiten massiv eingeschränkt. Oftmals gibt es nur eine öffentliche Telefonzelle, Gespräche müssen unter Aufsicht und Kontrolle der Wachebeamten geführt werden. Viele Schubhäftlinge berichten, dass sie zwar Briefe schreiben, aber nicht das nötige Kleingeld haben, um den Brief auch zu frankieren", heißt es in der Asylkoordination-Studie.

Bundesbetreuung?

Auch die Kriterien zur Unterbringung von Asylsuchenden in der Bundesbetreuung sind problematisch. Laut "Asylkoordination Österreich" sollten den gesetzlichen Vorschriften entsprechend nur die Fragen der Mittellosigkeit und der Mitwirkung an der Identitätsfeststellung ausschlaggebend sein, ob der Bund für Unterkunft, Krankenversicherung und Taschengeld der Asylsuchenden aufkommt. Die Studie berichtet aber, dass in der Praxis rund 20 Prozent der Asylwerber, die einen Identitätsnachweis vorlegen konnten, nicht in die Bundesbetreuung aufgenommen wurden. Ebenso kritisch ist die Situation bei sogenannten "offensichtlich unbegründeten Anträgen", die von vornherein von der staatlichen Betreuung ausgeschlossen werden, obwohl erfahrungsgemäß bei mehr als der Hälfte der Fälle der Berufung schließlich stattgegeben wird.

Eine Aufnahme in die Bundesbetreuung bedeutet aber noch lange nicht, dass die Versorgung des Flüchtlings durch den Staat bis zu dessen Einvernahme gesichert ist. Es genügt, länger als drei Tage ungemeldet fernzubleiben, die Vorlage gefälschter Dokumente beziehungsweise eine negative Entscheidung in erster oder zweiter Instanz und schon wird der Asylsuchende entlassen. In einigen Fällen wird auf eine detaillierte Angabe von Gründen verzichtet und auf Probleme mit der zur Unterbringung beauftragten Pension hingewiesen. Für Schlagzeilen hat das Schicksal der tschetschenischen Familie A. gesorgt, die aufgrund von Differenzen mit dem Quartiergeber gegen ihren Willen von Kärnten in die Steiermark übersiedeln hätte sollen - und dies trotz der heftigen Proteste des UNHCR und des Betreuungsvereins "Aspis". Flüchtlinge, die aus der Bundesbetreuung entlassen oder erst gar nicht aufgenommen werden, müssen "ihr Leben selbst in die Hand nehmen", teilte unlängst Viktor Demel, Abteilungsleiter für Flüchtlingsbetreuung im Innenministerium in einem Interview dem Standard mit.

Wie dies in einem Lande möglich sein soll, in dem sie per Gesetz vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, erklärte Demel nicht. Einige Asylwerber finden Hilfe bei Wohlfahrtsorganisationen, andere tauchen unterstützt durch Freunde und Verwandte unter oder setzen ihre Flucht fort, um das eigentliche Ziel zu erreichen - oft Italien oder Deutschland. Der Zugang zum Arbeitsmarkt würde nicht nur den Asylwerbern selbst das Überleben wesentlich erleichtern, sondern wäre auch im Interesse der Städte und Gemeinden, die zur Zeit - je nach politischer Konstellation - sich mehr oder weniger in der Unterstützung der vom Bund nicht versorgten Flüchtlinge engagieren.

Graz ist diesbezüglich ein gutes Beispiel, kommen doch an die 400 Personen in den Genuss der vom Magistrat angebotenen Grundversorgung. Diese Flüchtlinge beziehen ein Taschengeld von etwas mehr als 1.000 Schilling im Monat und erhalten eine Unterkunft in den für diesen Zweck errichteten Einrichtungen der Caritas, die in dieser Angelegenheit als Partner der Stadt fungiert.

Diese Lösung ist dank der steirischen Landesgesetze möglich, die Ausländer von der Sozialhilfe nicht ausschließen, und der bisher günstigen politischen Stimmung in Graz. Nicht mehr lange allerdings. Auch in Graz werden die Rahmenbedingungen für Flüchtlinge verschärft. Das Sozialamt hat vor, ab Mitte August nur mehr jenen eine "Grundversorgung" zu gewähren, die sich ausweisen können - eine Bedingung, die voraussichtlich nur wenige Flüchtlinge erfüllen werden.

Die Autorin ist Leiterin der "Arche 38", Herberge und Beratung für obdachlose In- und Ausländer, einer Einrichtung der steirischen Caritas.

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