"Wir wollen hier bleiben“

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Lokalaugenschein bei 17 Flüchtlingen, deren Protest in der Votivkirche begonnen hat. Nun leben sie im Servitenkloster.

Das Zimmer im Servitenkloster ist spärlich eingerichtet: vier Betten, ein Schrank, ein kleiner Tisch, eine Kochecke. Adalat Khan, 48, hat sich die Kapuze seines Sweaters über den Kopf gezogen, er hustet: "Leider bin ich gerade krank.“ Jahangir Mir, 26, fährt sich während des Gespräches immer wieder über die Augen. Beide Männer wirken abgekämpft, müde, ohne Hoffnung.

Im November 2012 begann der Protest von 64 Flüchtlingen aus Pakistan und Afghanistan in der Votivkirche, mit dem sie auf die ausweglose Situation vieler Flüchtlinge aufmerksam machen wollten. Heute, beinahe ein Jahr später, sind die meisten weitergezogen, untergetaucht, abgeschoben. 24 Flüchtlinge sind aktuell im Servitenkloster in der Obhut der Caritas untergebracht und befinden sich in staatlicher Grundversorgung. Die Männer wollen hier bleiben und arbeiten, "wie Menschen behandelt werden“. Eine erneute Besetzung der Votivkirche Ende September war ein Akt der Verzweiflung: sieben der Verbleibenden haben bereits einen negativen Asylbescheid bekommen und müssen sich täglich bei der Polizei melden. Bei einem Polizeibesuch wurden Anfang August acht andere Flüchtlinge aus dem Servitenkloster in Gewahrsam genommen und abgeschoben, ihr Verbleib ist ungewiss. "Wir haben von Kontakten in Pakistan erfahren, dass sie um ihr Leben bangen“, sagt Khan. Er und seine Mitstreiter leben in ständiger Angst vor einer drohenden Abschiebung, einem einzigen wurde subsidiärer Schutz, also eine Aufenthaltsbewilligung auf Zeit, gewährt. In diesem Fall wird laufend geprüft, ob sich die Sicherheitslage im Heimatland verändert hat.

Wie es mit den Flüchtlingen weiter geht, deren Asylantrag abgelehnt wurde, erklärt Karl-Heinz Grundböck, Pressesprecher des Innenministeriums: "Flüchtlinge mit negativem Asylbescheid wird Rückkehrberatung angeboten, bei freiwilliger Ausreise gibt es das Angebot, in ein Rückkehrprojekt einzusteigen. Das heißt, sie werden im Herkunftsland unterstützt, Schutz vor Verfolgung wird geboten. Nur wenn es keine freiwillige Rückkehr gibt, muss eine Abschiebung erfolgen.“

Geschichten aus der Heimat

Während einer der Männer Tee in der kleinen Kochnische kocht, erzählt Mir Jahangir von verschwundenen Mitstreitern in seinem Heimatland. Der ehemalige Student und Aktivist aus Kashmir, dem umkämpften Grenzgebiet Pakistans zu Indien, weist auf die aktuelle prekäre Sicherheitslage in Pakistan hin: erst kürzlich gab es ein Selbstmordattentat im Nordwesten des Landes mit 78 Todesopfern. Adalat Khan lebte als Unternehmer im Swat-Tal, das von den Taliban kontrolliert wurde, er zeigt auf ein Foto von Malala Yousafzai an der Wand: die heute 16-jährige Kinderrechtsaktivistin wurde vor einem Jahr, am 9. Oktober 2012, Opfer eines Taliban-Angriffs im Swat-Tal und überlebte nur knapp. Khan erzählt von Kämpfen in seiner Heimat, von Drohnen-Angriffen und Attacken der Amerikaner, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begannen und sich nicht nur gegen die Taliban richten. "Das ist nicht unser Krieg, sondern der der Amerikaner. Alle Welt redet von Syrien, aber die Lage in Pakistan interessiert niemanden.“ Adalat selbst wurde von den Taliban bedroht und flüchtete bereits vor 10 Jahren nach Europa, wo er vorerst in Griechenland strandete. Seit bald eineinhalb Jahren ist Khan in Österreich - und hofft immer noch darauf, bleiben zu dürfen. Das Außenministerium hat eine "hohe Sicherheitsgefährdung“ für Pakistan ausgesprochen. Auf die Frage, was das für pakistanische Asylwerber, die in ihr Heimatland abgeschoben werden, bedeute, antwortet der Sprecher des Innenministeriums: "Darüber entscheidet die Staatendokumentation des Bundesasylamtes. Jeder Fall wird individuell entschieden, es wird also die Gefahr untersucht, in der sich jeder einzelne Asylant befindet.“

Zum Nichtstun verdammt

Einer der Punkte, den die Flüchtlinge kritisieren, ist das Abnehmen ihrer Fingerabdrücke. Diese werden in der Datenbank Eurodac gesammelt, damit Geflüchtete nur in dem Staat um Asyl ansuchen können, wo sie zuerst registriert wurden. "Uns wird damit die Möglichkeit genommen, es in einem anderen Land noch einmal zu versuchen.“ Das System hat zur Folge, dass auch innerhalb der EU abgeschoben wird und Staaten mit EU-Außengrenzen ungleich mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen als andere.

Die 24 Männer im Servitenkloster leben in permanenter Ungewissheit, aus Angst vor Repressalien verlassen sie kaum das Haus. Ausnahmen sind Deutschkurse und Einkäufe im nahegelegenen Supermarkt. Bei einer Rückkehr nach Pakistan fürchten sie um ihr Leben: "Wir haben die Taliban und die pakistanische Regierung offen kritisiert, unsere Bilder und Interviews sind überall im Internet zu finden.“ Viele Familienmitglieder und Bekannte der Flüchtlinge verschwanden in ihrem Heimatland oder wurden ermordet.

"Wir sind zum Nichtstun verdammt, viele von uns würden gerne arbeiten oder studieren - aber alles, was wir tun können, ist warten.“ Auch Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas der Erzdiözese Wien, kritisiert, dass Asylwerber nicht arbeiten dürfen: "Sie sollten nach sechs Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Das Nichtstun, zusätzlich zu der permanenten Unsicherheit, macht diese Menschen psychisch kaputt.“ Herbert Langthaler von der Asylkoordination Österreich ergänzt: "Das Sozialministerium wäre offen für Neuerungen und bietet Arbeitsprojekte für Flüchtlinge an, aber das Innenministerium verweigert beharrlich.“

Da das Servitenkloster umgebaut wird, müssen bis Ende Oktober Ersatzquartiere für die Asylanten gefunden werden, auch ein großer Raum für Veranstaltungen wird gesucht. Der Protest soll weitergehen, Khan und Jahangir möchten noch mehr Flüchtlinge mobilisieren. Unterstützung bekommen sie vom Refugee Protest Camp, das mit Veranstaltungen auf die Schwächen des Asylsystems aufmerksam macht. "Wir sind Menschen wie alle anderen“, sagt Adalat Khan zum Abschied. "Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht vergessen werden.“

Info:

refugeecampvienna.noblogs.org

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