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Endstation Schubhaft

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Das Küchenfenster ist vom Wasserdampf ganz milchig. Aus dem Kochtopf ragt eine große Hühnerkeule, die langsam runzelig wird. Die Jugendlichen in der Wohngemeinschaft haben Hunger. Karl Helmreich steckt seine Nase zur Tür rein und grinst. „Seid's ihr schon wieder beim Kochen?!"

Die zehn Burschen kommen fast alle aus dem Kosovo. Zwei machen eine Ausbildung, einer arbeitet. Die anderen warten auf den Ausgang ihrer Asylverfahren, auf den Tag, an dem ihre Aufenthaltserlaubnis abläuft. Und darauf, daß Karl Helmreich, ihr Flüchtlingshelfer, das Blatt doch noch für sie wenden kann und sie in Osterreich bleiben dürfen. So, wie der 16jährige Visar, dessen

Antrag auf politisches Asyl auch im Berufungsverfahren abgelehnt wurde. Im Oktober ist seine Zeit abgelaufen. Eine „Aufschiebung der Abschiebung", wie das auf amtsdeutsch heißt, konnte Helmreich für ihn erreichen, mehr nicht. Dabei hat der Junge nichts getan.

Sein Vater, Mitglied der größten demokratischen Partei im Kosovo, wird vom serbischen Regime verfolgt und bedroht. Um seinem Sohn, der auch schon von der Polizei gegängelt wurde, dieses Schicksal zu ersparen, hat er ihn nach Österreich geschickt, ohne Papiere, um eine Abschiebung faktisch unmöglich zu machen.

Im niederösterreichischen Hirtenberg nimmt sich Flüchtlingshelfer Karl Helmreich des Jungen an. „Manche Schlepper laden die Kinder hier direkt vor meiner Haustür ab", erzählt der Ordensmann des Stiftes Melk. Mit seiner Hilfe stellt Visar einen Asylantrag. Während das Verfahren läuft, ist er in Bundesbetreuung. Nach drei Monaten muß er die Pension in Wien verlassen, sein Antrag wurde abgelehnt. Helmreich besorgt ihm einen Platz in einem kirchlichen Flüchtlingslager. Zwei Wo-

chen später sitzt Visar in Schubhaft.

Polizisten wollten bei einer Kontrolle am Bahnhof seinen Ausweis sehen, aber er hatte keinen. „Sie haben mich in einem Zimmer mit Handschellen an eine Heizung gekettet, mir den Gürtel und die Schnürsenkel abgenommen." Vier Stunden später findet sich der 16jährige in einer Zelle wieder, im Schubgefängnis Roßauer Lände in Wien.

Vier Tage lang weiß niemand, wo er steckt. Helmreich treibt ihn auf, veranstaltet einen Wirbel in den Medien, solange, bis Visar frei ist und Innenminister Caspar Einem mit einer Weisung reagiert, die verbietet, Minderjährige in Schubhaft zu nehmen. Allein im vergangenen Jahr waren es etwa 150, haben die „Grünen" vorgerechnet.

Das ist jetzt einige Wochen her. Zwei weitere minderjährige Schützlinge von Helmreich wurden in der Zwischenzeit freigelassen (einer von ihnen wurde bereits abgeschoben), ebenso eine 15jährige Irakerin aufgrund ihres Hungerstreiks. Einer von ihnen ist bereits abgeschoben. Die Weisung des Innenministeriums läßt den Beamten „Ermessensspielraum". Schubhaft für Minderjährige ist laut Text immer noch angebracht, wenn der Zweck nicht anders erreicht werden kann.

Anders als beispielsweise in Deutschland oder der Schweiz dürfen in Osterreich auch solche Flüchtlinge in Schubhaft genommen werden, deren Abschiebung noch gar nicht be-

schlössen ist, zur Sicherung des Verfahrens, wie die Klausel im Gesetz heißt. Auch die 17jährige Julia* aus Zaire war in Schubhaft. Sie hatte versäumt, rechtzeitig in der Sieben-Tage-Frist ihren Asylantrag zu stellen. Sie stand allein am Wiener Flughafen, kannte sich nicht aus, hat die Sprache nicht verstanden. Sie trifft einen Afrikaner, bei sie ein paar Tage Unterschlupf findet. Als der sie in einen Bus steckt, der sie zum Asylamt bringen soll, wird sie von Polizisten aufgegriffen und direkt ins Schubge-fängins Wiener Roßauer Lände ge-

bracht. Erst sehr viel später realisiert sie, was geschehen ist. „Ich wußte nur, daß ich einen Antrag gestellt hatte, aber warum ich im Gefängnis bin und festgehalten werde, das war mir ein Rätsel."

Das Mädchen ist verzweifelt. Zu Hause hat sie gesehen, sagt sie, wie ihr Vater von den Schergen der Regie rang umgebracht wurde. Sie selbst wurde getreten und geschlagen, um Informationen über den Oppsitions-führer preiszugeben, dessen Chauffeur ihr Vater war. Sie fühlt sich nicht mehr sicher, entschließt sich zur Flucht nach Österreich. Ihr Antrag auf politisches Asyl wird abgelehnt. Den Bescheid, dessen Begründung lediglich in deutscher Sprache abgefaßt ist, erhält sie schon wenige Tage später. Sie ist verzweifelt, geht in Hungerstreik. Wegen Haftunfähigkeit kommt sie schließlich frei.

„Um 12 Uhr sind sie gekommen und haben gesagt, ich kann gehen. Aber sie haben nicht gesagt, warum und wohin." Amnesty-Mitarbeiter Mario Steiner kümmert sich jetzt um Julia, hat eine Bleibe organisiert und rollt ihr Asylverfahren neu auf. Insgesamt hat er fünf verschiedene Anträge gestellt, um dem Mädchen doch noch zu einem legalen Aufenthalt zu verhelfen. Aber auch in zweiter Instanz wurde ihr Antrag abgelehnt.

Selbst nach ihrer Freilassung ist sie illegal im Land, kann jederzeit wieder festgenommen und in Schubhaft gesteckt werden. Was aber Flüchtlingsorganisationen wie amnesty international oder SOS Mitmensch besonders aufregt, ist, daß es für die Minderjährigen zur Zeit keinerlei Fürsorge gibt. Die sogenannte Bundesbetreuung ist nur für legale Flüchtlinge, die einen Ausweis haben. Insgesamt werden lediglich 30 Prozent in die Bundesbetreuung aufgenommen. Flüchtlinge wie Julia und Visar sind auf die Hilfe von Freunden oder kirchlichen Organisationen angewiesen. „Sie werden auf die Straße entlassen, ohne jede Hilfestellung, ohne daß sich jemand Gedanken darüber macht. Da fehlt völlig der Schutzwille des Staates." Karl Helmreich kann es immer noch nicht fassen, obwohl er sich schon seit mehr als fünf Jahren mit nichts anderem beschäftigt und die Situation bestens kennt.

Amnesty international fordert deshalb die generelle Aufnahme aller Minderjährigen in die Bundesbetreuung. Doch dafür bedarf es einer Gesetzesänderung, die besagt, daß die Bewerber während der Dauer ihres Verfahrens legal im Land sein dürfen. Zwar habe sich die Koalitionsparteien über das von Einem angekündigte Integrationspaket (siehe Kasten) dieser Tage geeinigt, doch die Verabschiedung wird wohl noch auf sich warten lassen.

Inzwischen sucht Karl Helmreich nach einer anderen Lösung für seinen Schützling Visar.

Eine Familie aus Salzburg hat sich bereit erklärt, den Jungen aufzunehmen, ihm ein Zuhause zu geben und eine Ausbildung zu finanzieren. Die Frist bis zur Abschiebung im Oktober darf Visar aber laut Papier nur dazu nutzen, seine Ausreise vorzubereiten. „Ich habe schon oft erlebt, daß Familien sich bereit erklärt haben, bei der Integration eines Ausländers zu helfen, wo das aber dann von den Behörden unmöglich gemacht wurde."

Helmreich hat seine Jugendlichen in der Küche zusammengetrommelt, Kaffeeduft zieht durch die Wohnung. Sie jammern lauthals, wie der Nachbarjunge es wagen kann, vor ihrem Haus mit dem Moped vorbeizuknat-tern.

Fast schon könnte Helmreich vergessen, warum sie alle hier sind, und welche Probleme sie haben ...

* Namen von d. Red. geändert Die Autorin ist

freie Journalistin.

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