Vermisst - © Foto: iStock/Halfpoint (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Abgängigkeit: Die ewig Vermissten

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Vor exakt drei Jahren verschwand Carmina Caumo aus ihrer Salzburger Wohnung. Sie ist eine jener Langzeitabgängigen in Österreich, die nicht binnen eines Jahres – lebend oder tot – gefunden werden. Eine Spurensuche.

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Vor exakt drei Jahren verschwand Carmina Caumo aus ihrer Salzburger Wohnung. Sie ist eine jener Langzeitabgängigen in Österreich, die nicht binnen eines Jahres – lebend oder tot – gefunden werden. Eine Spurensuche.

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„Ich habe so viel geweint. Jeden Tag, ein ganzes Jahr lang“, sagt Ilke Quaglia. Seit drei Jahren sucht sie ihre verschwundene Mutter Carmina Caumo. Bislang vergeblich. Damals, im Jahr 2017, holt Quaglia ihre 67-jährige Mutter aus der Lombardei in den Salzburger Pinzgau. Quaglia wohnt zu dieser Zeit mit ihrem Mann und minderjährigen Sohn in Hochfilzen und arbeitet in einem Café. Nach einer Kopf-OP ihrer Mutter will sie diese pflegen und in ihrer Nähe gut versorgt wissen, denn die alte Dame ist seit einem Schlaganfall verwirrt und orientierungslos. Des Öfteren verschwindet sie, ohne ein Wort zu sagen, taucht aber immer wieder selbstständig auf oder wird von Nachbarn zurückgebracht.

Niemand sieht nach

Bis zum 8. August 2017. An diesem Abend arbeitet Ilke Quaglia im Café, während­ ihr Sohn und seine Oma in der gemeinsamen Wohnung im Stockwerk dar­über Zeit miteinander verbringen. Bis ein lautstarker Streit zwischen den beiden eskaliert und Carmina Caumo den Raum verlässt. Weil alle glauben, sie sei einfach in ihr Zimmer schlafen gegangen, sieht niemand mehr nach ihr an diesem Abend. Erst am nächsten Morgen entdeckt Quaglia, dass ihre Mutter verschwunden ist.

Sofort erstattet sie eine Abgängigkeitsanzeige bei der Polizei. „Es war schrecklich. Ich dachte, das ist mein Fehler“, erinnert sie sich. Am darauffolgenden Abend schreibt eine Hotelbesitzerin aus dem nahen St. Ulrich am Pillersee via Facebook eine Nachricht an Quaglia. Ihre Mutter sei am Abend ihres Verschwindens in ihrem Hotel aufgetaucht, habe sie um Hilfe gebeten und erklärt, dass sie zurück nach Italien reisen wolle. Die Hotelbesitzerin ruft daraufhin die Polizei , weil Caumo eindeutig verwirrt auf sie wirkt.

Trotz Einwänden der Hotel­besitzerin – Caumo hat überhaupt kein Geld dabei – bringt die Polizei die orientierungslose Italienerin vom Hotel zum Bahnhof in Fieberbrunn: ein schwerer Fehler und Irrtum, wie sich im Nachhinein herausstellen wird. Denn dies alles passiert noch vor der Abgängigkeitsanzeige, die erst am nächs­ten Morgen bei der Polizei eintreffen wird. Bis sechs Uhr früh soll sich Carmina Caumo noch am Bahnhof Fieberbrunn aufgehalten haben, schlafend, auf einer Parkbank. Dann verblassen die Spuren. Gesichert ist, dass sie kurz nach ihrem Verschwinden in der Caritas-Notschlafstelle in der Fürbergstraße in Salzburg übernachtet hat. Seitdem fehlt jedes Lebenszeichen.

"Österreich findet euch"

Dass Caumo auch nach drei Jahren Abgängigkeit noch lebt, ist nicht unwahrscheinlich, glaubt Christian Mader, ehemaliger Leiter der Wiener Abgängigenfahndung und Gründer des Vereins „Österreich findet Euch“. Der Verein unterstützt ehrenamtlich Angehörige von Vermissten – in Form von psychologischer Betreuung, bei Behördenwegen und bei der Suche durch Öffentlichkeitsarbeit und eine gut vernetzte Community in den sozialen Medien. Ilke Quaglia hat sich Anfang dieses Jahres an Mader gewandt. „Vielleicht hält sich Caumo immer wieder im Umfeld von karitativen und kirchlichen Einrichtungen auf“, meint er, „so wie damals in dieser Salzburger Notschlafstelle.“

Christian Mader selbst ist ein Fahndungsprofi. Schon mit 17 Jahren kommt er zur Wiener Polizei. Zuerst ist er Daktylos­kop, also Analytiker von Fingerabdrücken bei der Spurensicherung, dann steigt er auf zum Chef der Wiener Abgängigenfahndung, die er von 1990 bis 1998 leitet. Auf seinem Schreibtisch landet der Akt der siebenjährigen Natascha Kampusch, der Fall der sechzehnjährigen Julia Kührer und die Causen jener 89 Menschen aus ­Österreich, die beim Absturz der Lauda-Air-Boeing im Jahr 1991 in Thailand ihr Leben verloren haben und als Abgängige identifiziert werden mussten. „Bei der Abgängigenfahndung geht es immer zuerst darum herauszufinden, was passiert ist“, sagt Mader. „Und das klärt man am besten in Gesprächen mit den suchenden Angehörigen.“ Bei Abgängigkeiten gebe es ja in der Regel kein Opfer, sondern vorerst nur eine Familie, Angehörige bzw. Menschen, die ein Problem haben: Sie vermissen jemanden.

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