"Bis sie müde werden …"

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Die furche begleitete Caritas-Mitarbeiter in die Schubhaftzellen in Eisenstadt.

Bei uns zuhause verhängen sie die Todesstrafe, die schnell vollstreckt wird; das hier ist auch wie die Todesstrafe, nur ganz langsam." Der junge Kurde kann nicht verstehen, warum er noch länger in Schubhaft bleiben muss. Ein Mithäftling - ein Iraner, der etwas Deutsch spricht - dolmetscht der Caritas-Mitarbeiterin Gerhild Salzer.

Die Sozialarbeiterin kommt zweimal die Woche zur Betreuung der Schubhäftlinge in das Polizeianhaltezentrum in Eisenstadt. Sie versucht, die verzwickte Rechtslage in diesem Fall darzulegen. Der Mann mit trüben Augen, der seit wenigen Tagen jede Nahrung verweigert, kann es immer noch nicht verstehen. Er wolle einfach hier raus, dann gehe er freiwillig nach Rumänien. Das neue EU-Land ist vermutlich für sein Asylverfahren zuständig. Die Erfahrungen in Bezug auf Asylverfahren seien noch gering, antwortet Salzer auf seine drängenden Fragen nach seiner Chance.

Wenn der erste Ort …

Der Kurde hofft nun, durch Essensverweigerung bald für haftunfähig erklärt zu werden. Eine Hoffnung, die Salzer aufgrund ihrer Erfahrung nicht nähren kann. "Der Amtsarzt legt das kritische Gewicht nach strikten Kriterien fest. Aber auch dann ist es nicht sicher, dass Sie entlassen werden. Sie gefährden nur Ihre eigene Gesundheit." Er will es nicht verstehen: "Die Polizei spielt mit meinem Leben. Wenn ein Anwalt wüsste, welche schrecklichen Gründe ich für Asyl habe, würde ich bestimmt frei kommen." "Das ist dem Bundesasylamt so lange egal, bis die Zuständigkeit geklärt ist", sagt die 30-jährige Wienerin verständnisvoll und doch auch nüchtern. "Sie haben das Pech, dass wir seit 2006 ein strengeres Fremdenrecht haben, da könnte auch ein Anwalt nichts tun." Schließlich bittet der Kurde die Schubhaftbetreuerin um eine Hose, ein T-Shirt und eine Reisetasche - für die wahrscheinlich bevorstehende Reise nach Rumänien. Der letzte Satz ist auch Grund für etwas Humor - für Galgenhumor.

Der junge Kurde ist einer von vielen, die aufgrund des Dublin-Verfahrens (siehe Info-Kasten) hinter Gitter gehalten werden. "Das ist unsinnig, denn diesen Menschen bringt es nichts, unterzutauchen, sie wollen ja ein offizielles Asylverfahren", ärgert sich Salzer.

Zusammen mit einer Kollegin betreut sie die zwei Anhaltezentren in Eisenstadt. In der kleineren Haftanstalt sitzen zur Zeit fünf Menschen ein. Das größere Polizeigefängnis, in dem 25 Männer inhaftiert sind, liegt neben einem Kindergarten; direkt neben dem grauen Tor mit hohen Betonmauern spielen Kinder auf einem freundlichen Spielplatz. Nachdem die Caritas-Mitarbeiter - Salzer und an diesem Tag ihr Kollege und Russisch-Übersetzer Magomed Schapajev - im kahlen Besucherraum Platz genommen haben, wird eine vergitterte Tür geöffnet, die ersten Schubhäftlinge scharen sich um die Besucher. Gerhild Salzer, seit eineinhalb Jahren in der Schubhaftbetreuung tätig, geht Fall für Fall durch, berichtet über neue Entwicklungen in Verfahren und gibt Informationen. Rechtsberatung ist nach Auflage des Innenministeriums, das die Aufträge vergibt und evaluiert, nicht erlaubt. Eine heikle Gratwanderung, denn die Männer haben viele Fragen. Dazwischen wird das Handy der Caritas-Leute weitergereicht, ein paar russische Häftlinge wollen telefonieren.

Das Schubhaftgefängnis wurde kürzlich renoviert und umgebaut. "Früher war es ganz schlimm hier, die Häftlinge waren täglich 23 Stunden in der Zelle eingesperrt", erzählt die Caritas-Mitarbeiterin. Nun sei es etwas besser.

… nach langer Flucht …

Zumindest im ersten Stock gibt es "offenen Vollzug", die Schubhäftlinge dürfen sich im Gang frei bewegen. Es gibt einen kleinen Aufenthaltsraum, ein Fernsehgerät und eine Tischtennisanlage. Im Erdgeschoss sind die Zellen zu je vier Betten aber noch versperrt.

Ein Polizeibeamter, der seit sechs Jahren in diesem Anhaltezentrum arbeitet, meint auf die Frage, wie anstrengend sein Job sei: "Das hängt von den Leuten ab." Er erzählt von Häftlingen, die sich selbst verletzen, die ununterbrochen an die Tür treten oder versuchen, sich umzubringen. Verständnis für deren Lage habe er keine. "Dafür ist ja die Caritas da. Die haben schneller einen Psychiater als Sie. Ich kann das nicht ändern. Warum kommen sie auch her? Was wollen sie da? Bei vielen wissen wir es eh", sagt er mehrdeutig. "Die meinen, es fallen ihnen hier die Brathendeln in den Mund."

"Die Zusammenarbeit mit den Polizisten ist im Grunde gut", meint Salzer. "Es fehlt ihnen aber die entsprechende psychologische Ausbildung, zudem Supervision und eine geeignete Sprachausbildung." Den Schubhäftlingen wird eine halbe Stunde pro Woche Besuch gewährt. Doch in vielen Fällen werden die Familien getrennt. Während der Mann als "Pfand" in Schubhaft gehalten wird, werden Frau und Kinder im "gelinderen Mittel" untergebracht. Diese Unterkunft in einer Pension liegt in einem anderen Bezirk, den Flüchtlinge aber nicht verlassen dürfen. Die Besuchszeit bleibt daher oft Theorie.

Die meisten Schubhäftlinge in Eisenstadt warten auf die Entscheidung, welches Land für ihren Asylantrag zuständig ist. Manchen steht die Abschiebung bevor. Wie einem jungen Iraner, der seit drei Jahren in Österreich lebt. Er war in einem Zeugenschutzprogramm, weil er gegen einen Drogenmafiaboss ausgesagt hat. Nach dessen Verurteilung wurden dem 30-jährigen Mann die Papiere mit neuer Identität wieder abgenommen. Dagegen wehrte er sich. Nun soll er in seine Heimat abgeschoben werden - aufgrund von Widerstand gegen die Staatsgewalt. Er fühlt sich von der Polizei verraten, er fürchtet die Ermordung durch Anhänger der Mafia im Iran. Einem jungen Roma aus Serbien droht ebenso die Abschiebung. Der 19-Jährige wurde an der Grenze aufgegriffen. Sein Leben ist geprägt von der Hoffnung auf Asyl. Bereits seine Mutter hatte versucht, in Deutschland Asyl zu bekommen. Erfolglos. "Hier gehe ich im Kopf kaputt." Trotzdem würde er lieber in Schubhaft bleiben, als nach Serbien zurück zu müssen.

Im kleineren Anhaltezentrum in Eisenstadt sind die Zellen den ganzen Tag über geschlossen. Die Caritas hat ein Fernsehgerät für den Aufenthaltsraum gespendet, den Häftlinge nur mit Erlaubnis der Beamten aufsuchen dürfen, ebenso den Duschraum. Gerhild Salzer betreut hier einen 23-jährigen Bosnier, der fließend Deutsch spricht. Der Mann ist seit drei Wochen in Schubhaft und soll nach Bosnien abgeschoben werden.

… die Gefängniszelle ist

"Ich kann kaum Bosnisch, ich kenne dort niemanden, ich bin hier zuhause." Dann erzählt der 23-Jährige von seiner unglücklichen Jugend. Sein Vater wurde streng muslimisch, wollte den Sohn ebenso dazu zwingen. Als der damals 15-Jährige sich weigerte, wurde er vom Vater aus dem Haus geschmissen und weiterhin von ihm bedroht. Dann starb auch noch seine Mutter an Krebs. Er wurde drogenabhängig, "um eben diese Schmerzen zu betäuben". Er wurde wegen Drogenhandels verurteilt - was er aber nach wie vor bestreitet -, wurde mit der Auflage, sich einer Methadon-Ersatztherapie zu unterziehen, nach vier Monaten Haft freigelassen. Nach wenigen Tagen in Freiheit wurde er erneut festgenommen und in Schubhaft genommen. Der Bosnier, der seit 15 Jahren in Österreich lebt, aber noch über keine Staatsbürgerschaft verfügt, hatte sein Visum nicht rechtzeitig verlängert. Wegen seiner Straffälligkeit hatte er zudem sein Aufenthaltsrecht verwirkt. "Ich bringe mich um, wenn sie mich abschieben", sagt er und erzählt von seiner österreichischen Freundin, die er längst heiraten hätte sollen. Aber dazu müsste er erst frei kommen.

"Viele Schubhäftlinge werden bald müde und wollen freiwillig heim", berichtet Salzer. Bis zu zehn Monate können Menschen in Schubhaft gehalten werden. Die meisten bleiben aber maximal sechs Monate (Durchschnitt zwei bis vier Monate), weil danach monatlich eine Haftprüfung stattfinden muss. Nach dem Bosnier setzen sich drei Nigerianer um die Schubhaftbetreuerin. Zwei von ihnen haben keine Reisedokumente, sie sollen abgeschoben werden. Ihre Botschaft will aber keine Dokumente ausstellen. Also bleiben die Männer einige Monate in Schubhaft, dann werden sie wieder auf freien Fuß gesetzt, um wenig später wieder in Schubhaft zu kommen. Trotz solch hoffnungsloser Fälle hängt Salzer an ihrem Beruf. "Diese Menschen, sie sind meist rechts- und sprachunkundig, sind in der Schubhaft völlig auf sich allein gestellt", sagt die Caritas-Mitarbeiterin. "Das ist wirkliche Menschenrechtsarbeit."

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