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Die letzte Bewährungsprobe

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OBER-FUCHA IST EIN ORT am Fuße des Berges, den das prächtige Stift Göttweig krönt, also landschaftlich schön gelegen. Es kommt dem optischen Bedürfnis des Menschen nach grünen Fluren, Bergen und blauem Himmel entgegen. Darin liegt etwas Versöhnliches gerade für dien, der nichts so sehr fürchtet wie die kahle Zelle.

Die Anstalt liegt am Nordeingang des Ortes und besteht aus einem Areal von zwei Hektar. Aus einer verlassenen Ziegelei sind einige Gebäude übernommen, die ergänzt und erneuert wurden, umgeben von einer Mauer, die halb so hoch ist wie in Stein. Das ist Absicht, jede Fluchtchance ist gegeben. Für die zur Zeit in Ober-Fucha anwesenden 52 Gefangenen sind insgesamt drei Mann Wachpersonal vorhanden. Einer für die Gruppe, die auf dem Feld arbeitet, etwa 20 Mann, einer für die Bau-und Werkstättengruppe und einer, : der die Verantwortung trägt. Alles ist auf Vertrauen aufgebaut, jeder Gefangene weiß das. Er weiß auch, daß die Verpflegung die gleiche wie in Stein ist und daß er nicht als „etwas Besseres“ angesehen wird als die Häftlinge in der Haupt-anstailt. Es ist ein Weg gefunden, dem Manne das Bewußtsein seiner Schuld und seiner Bereitschaft zur Sühne immer gegenwärtig zu halten. Zugleich wird er auch so gehalten, daß er erkennen muß, daß er Menschen anvertraut ist, die ihm helfen wollen, sein Schicksal zu ertragen, ihm die Haft zu erleichtern. Hier wird auch der achtstündige Arbeitstag erreicht, was in Stein unmöglich ist.

Weit ist der Weg nach Ober-Fucha und nicht für jeden Sträfling offen. Blut- und Gewaltverbrecher sind von vornherein ausgeschlossen. Offen ist die Anstalt vor allem für Erstverurteilte zwischen 18 und 25 Jahren, die guten Willens sind.

NACH ÜBERFÜHRUNG STAND der Rechtsbrecher vor seinen Richtern. Zeugeneinvernahme, wissenschaftliche Gutachten und Plädoyers waren abgeschlossen, die Schuld erwiesen und nachgewiesen. Vor der Urteilsverkündung hatte er nun das letzte Mal die Möglichkeit, in aller öffentlichkeit das Wort zu ergreifen. Das Urteil lautete auf mehr als ein Jahr verschärften Arrest, dies bedeutete gleichzeitig Überweisung ins Zuchthaus nach Stein an der Donau. Für den Mann, der das erstemal mit Gesetz und Richter in Berührung kam, steht sein weiterer Lebensweg im Dunkeln, im Ungewissen.

Zur Welt hinter den hohen Mauern und den stahlgesicherten Türen und Fenstern, aus der die Öffentlichkeit ausgeschlossen bleibt, sagt Österreichs angesehenster Psychiater, Prof. Dr. Hans Hoff: „Es besteht eine unsichtbare Grenze zwischen dem Strafgefangenen und den Betreuern. Es gibt eben Menschen, die nur eine einzige Sprache kennen, es ist die Sprache der Aggression. Daher dieser Umgang zwischen Gefangenen und Wachpersonal. Das ist nicht der Fehler der Anstaltsleitung und des Wachpersonals, sondern es ist die Sprache des Gefangenen. Diese Sprache der Aggression muß in die Sprache der menschlichen Gemeinschaft umgewandelt werden. Man muß das entsprechende therapeutische Klima schaffen.“

Das ist wissenschaftliche Erkenntnis, die Wirklichkeit indes ist rauh. Für Volk und Presse ist, ganz allgemein, eine Strafanstalt ein Zuchthaus. Zuchthaus deshalb, weil dort Verbrecher gezüchtet werden. „Hochschule des Verbrechens“ ist eine extreme Bezeichnung dafür, da unsere Gesellschaft nicht in der Lage ist, zwischen Erststräflingen und Kriminellen äußerlich einen Unterschied zu machen. Wer zum erstenmal ein Eigentumsdelikt begangen hat und einige Jahre Strafe zu verbüßen hat, gerät in den Sog der Kriminellen, der Berufsverbrecher, weil er mit seinem Tischnachbar, mit seinem Zellengenossen unweigerlich das gleiche Klima atmet. Es ist das Klima der Gewalttätigkeit, der Aggtression und der Blutrünstigkeit. *

DIE GRÖSSTE STRAFANSTALT ÖSTERREICHS in Stein an der Donau wird von einem Mann geleitet, der unerbittlich auf Zucht und Ordnung sehen muß. Das schließt nicht aus, daß er ein Mensch mit klarem Verstand, aber auch mit dem „Herz auf dem rechten Fleck“ ist. Ihm ist die Unterscheidung zwischen Gestrauchelten und Kriminellen höchstes Anliegen, und dies in die Tat umzusetzen1 ist ihm zur Lebensaufgabe geworden.

Direktor Kosaks Grundgedanke: erstbestrafte Jungtäter zwischen 18 und 25. Jahren müssen vor der Infektion durch Berufsverbrecher bewahrt werden. Wie entzieht man sie der negativen Beeinflussung? Man isoliert sie von Anfang an. Das ist ein Schritt, der in keinem Gesetz verankert ist. Österreichs Rechtsbrecher sind gut weggekommen: das Strafvollzugsgesetz verbietet dem Strafanstaltsdirektor die menschliche Einsicht nicht.

Eine Kommission wurde ins Leben gerufen, der ein leitender Beamter, ein Fürsorger, ein Erzieher, ein Priester und ein Psychologe angehören. Der Strafgefangene, vorausgesetzt eine längere Beobachtung ließ seine Besserungswilligkeit und -fäfaigkeiit erkennen, erscheint vor diesem Gremium nicht in Anstaltskleidung, sondern in Zivil.

Der Gefangene schüdert seinen Lebenslauf, wie es zur Tat kam und wie, er sich dazu bekennt, Überschrift: „Wie es zu meiner Tat kam.“ Ist die Kommission von der Besserungsfähigkeit des Gefangenen überzeugt, so folgt die Überweisung nach Ober-Fucha. Damit ist der Gefangene in jener Anstalt, in der in Österreich moderner Strafvollzug erprobt wird. Das Experiment Ober-Fucha ist neben der Schwedischen Bewährungstherapie einmalig auf der Welt.

WER IN OBER-FUCHA NICHT ERKENNT, daß hier Beamte weit über die Grenzen ihrer Dienstobliegenheiten hinaus sich mit dem Sträfling befassen, der kann in dem Kreis der Gefangenen nicht alt werden.

Der Psychiater, Dr, Sluga, faßt in einem Überblick zusammen: Die Gefangenen in Ober-Fucha sind relativ junge Menschen, Durchschnittsalter: 30 Jahre. Bei einer Lebenserwartung von 70 hat jeder etwa 40 Jahre noch zu leben. Das zu lösende Problem: Soll er ein Rüekf allverbreoher werden und seiner Gesellschaft in jeder Hinsicht zur Last fallen?

Das entscheidet sich während der ersten Strafhaft. Hier werden für später die Weichen gestellt. Das ist die Aufgabe von Ober-Fucha. Nach dem Aufenthalt in der Strafanstalt Stein besteht wenig Aussicht, daß der Entlassene nach der Strafver-büßung in ein normales Leben zurückfindet, er gerät in den Sog der Kriminellen. Daher ist die Entfernung aus diesem Milieu ein Ideal — Ober-Fucha ein Segen.

Dr. Sluga: Man darf nicht sagen, daß jeder Mensch, der kriminell ist, damit auch das Objekt einer psychiatrischen Behandlung sein kann.

Prof. Hoff sagt, wir wollen nicht, daß die Anstaltsleditung glaubt, jeder Kriminelle sei eine psychisch kranke Persönlichkeit. Dem muß mit aller Schärfe entgegengetreten werden. Wir wollen ner ein Zweig in der Unterstützung der Resozialisierung der Rechtsbrecher sein.

Der Psychiater hat hier einen Aufgabenbereich. Abnorme Tendenzen sind vorhanden, sie bedeuten aber niemals Geisteskrankheit. Es gibt eine Gruppe von , Gefangenen, für die wird der Ausdruck Psychopathen gewählt. Psychopathie ist ein Begriff, der in der Mitte zwischen Krankheit und Gesundheit liegt.

Der Psychopath ist unfähig, sich sozial anzupassen. Er ist nicht in der Lage,. innere Spannungen zu ertragen. In mancher Hinsicht gleicht er dem Kind. Er hat viele Züge des Infantilen, des Unreifen in sich. Er ist auch unfähig, echte menschliche Beziehungen einzugehen. Er kennt nur sich, ist egozentrisch.

MANCHE MENSCHEN, DIE GESTRAUCHELT und. verurteilt sind, ertragen die Verurteilung nicht. Die Verurteilung bricht mit solcher Macht über sie herein, daß die Persönlichkeit erschüttert wird, zusammenbricht. In einer solchen Situation geht das Verhalten in zweierlei Richtungen:

Die erste Möglichkeit: er gibt sich auf. Damit entsteht die Gefahr, daß er in den Sog der vorhandenen Kriminellengruppe kommt.

Die zweite Möglichkeit, die gefährlichere: daß er seine Schuld und Tat nicht akzeptiert. Er macht Vogel-Strauß-Politik vor sich selbst. Er setzt die Maske seiner Unschuld auf. Er queruliert gegen den Richter. Das macht er bewußt. Er muß an diesem Querulieren scheitern. Die Gefahr der Aggression ist gegeben, die nicht nach außen, sondern nach innen geht. Es entsteht eine Art Selbstzerstörung, Selbstmordgedanken, Freitod.

In fünf Jähren ist in Ober-Fucha kein Selbstmord vorgekommen. Es gibt depressive Reaktionen, etwa, wenn ein Gefangener von seiner Familie fallengelassen wird. Aus ihnen setzt sich die Gruppe derjenigen zusammen, mit denen Gefängnisleitung und Wachpersonal Schwierigkeiten haben. Ihnen kann durch Aussprache geholfen werden.

Man muß ihnen den Spiegel der Wahrheit vor Augen halten. Der Psychiater muß es verstehen, den Gefangenen zu behandeln

Die dritte Gruppe sind die Neuro-tiker. Sie sind die schwierigsten von allen. Wenn ein Kind etwas anstellt, sagt der Wiener: es rüttelt am Watschenbaum. Es sucht die Schläge. Die Wissenschaft nennt das Strafprovokation. So etwas kommt beim Erwachsenen kaum noch zum Vorschein. Es gibt aber Menschen, bei denen das Schuldbewußtsein primär ist, so daß eine Tat gesetzt wird.

Prof. Hoff sagt: der normale Vorgang setzt zuerst die Tat, dann da? Schuldgefühl, dann die Bestrafung.

• Beim Psychopathen: zuerst die Tat, dann kein Schuldgefühl, dann Bestrafung.

Folge: er erträgt die Strafe schwer.

• Beim Neurotiker: zuerst da Schuldgefühl, dann die Tat, dann die Bestrafung.

Folge: man sagt, der Neurotiker ist strafsüchtig.

DIE BEWÄHRUNGSPROBE BESTANDEN hat Otaer-Fucha in den ersten fünf Jahren seines Bestehens, vor allem die Gefangenen, von denen kein Entlassener rückfällig geworden ist. Drei Fluchtversuche während der ganzen Zeit liegen weit unter dem üblichen Durchschnitt. Alle drei kamen weinend zurück und hatten irgendeine glaubhafte Entschuldigung auf den Lippen.

Der Verein für soziale Bewährungshilfe, von Direktor Kosak ins Leben gerufen, hilft dem Mann, der seine Strafe verbüßt hat, auf seinem Weg zurück ins Leben. Neben der angesparten Ärbeitsentlohnung gibt es kleine Zuschüsse, die zumindest die Anschaffung eines Anzuges ermöglichen und das Weggeld fürs erste Monat darstellen. Womöglich wird bei der Beschaffung eine Arbeitsplatzes geholfen.

Natürlich stehen dem einmal Bestraften aus Stein, besser aus Ober-Fucha —! in seinen Entlassungspapieren steht Gefangenenhaus Ober-Fuöha, das stellt so etwas wäla eine Befürwortung dar — nur noch manuelle Beschäftigungen offen. Aber manuell zu arbeiten hat er in Ober-Fucha gelernt. Mancher hat seine Gesellen-, mancher seine Meisterprüfung nachgeholt, wie der Fall der zwei kürzlich Entlassenen zeigt, die ihre Meisterprüfung als Schneider absolvieren durften.

„Wohl dem, der hier helfen darf!“ ist der Wortlaut nur einer der vielen begeisterten Eintragungen im Besucherbuch in Ober-Fucha. Sie stammt von Dr. Singer, einem Beauftragten der UNO, der zu Studienzwecken diese einmalige Einrichtung besuchte.

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