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Einweisung in ein Arbeitshaus...

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ARBEITSHAUS IST DER SCHREK-KEN JEDES VERBRECHERS. Bei einem, der dort eingeliefert wird, kann man nicht mehr entschuldigend sagen, er habe eine „Dummheit“ begangen, wäre das Opfer eines Justizirrtums oder einer unglücklichen Affäre geworden. Arbeitshaus wird vom verurteilenden Gericht ausgesprochen. Laut Gesetz verbüßt der schuldig Gesprochene, ehe er in ein Arbeitshaus eingeliefert wird, eine Mindeststrafe von einem halben Jahr. In der Regel aber kommen die notorischen Verbrecher erst nach fünf Vorstrafen in das Arbeitshaus Suben, wo sie mindestens achtzehn Monate zu „sitzen“ haben und dann — wenn das gerichtliche Urteil nicht anders lautet — auf Bewährung freigelassen werden.

Der Sinn des Arbeitshauses ist, den Gestrauchelten wieder „auf die Beine zu helfen“, und dieser Sinn ist auch im - Gesetz enthalten. „ ... die Behandlung der Untergebrachten hat das Ziel zu verfolgen, sie geistig und sittlich zu heben und sie an einen rechtschaffenen und arbeitsamen Lebenswandel zu gewöhnen.“ Die Praxis straft aber diese Worte Lügen. Das Besserungsbestreben seitens des Staates, der Justiz, mag sehr sozial wirken, aber man darf sich keiner Hoffnung hingeben, daß das „Material“, das ins Arbeitshaus eingeliefert wird, noch je besserungsfähig ist. Zwar verhalten sich die Insassen ordentlich und ruhig, aber dies ist nur eine Maske. Sie wissen, daß sie bei guter Führung in den Genuß verschiedener Begünstigungen kommen, nicht zuletzt aber nach eineinhalb Jahren bedingt entlassen werden, wo sie doch — auch nach dem Gesetz — sonst bis zu fünf Jahren „hinter Mauern“ leben müßten. 1960 „besserten“ sich vierzig Prozent der Entlassenen, das heißt, sie wurden nicht wieder straffällig — oder nicht erwischt. 1961 waren allerdings nur noch 32 Prozent, die nicht wieder von den Justizbehörden verurteilt wurden. Der Rest wurde bald wieder straffällig.

SUBEN IST DAS ARBEITSHAUS FÜR GEWOHNHEITSVERBRECHER. Es gibt noch ein anderes Arbeitshaus in Osterreich, in Göllersdorf. Dorthin kommen die notorischen Vagabunden und Bettler. Die Höchstaufenthaltsdauer beträgt dort drei Jahre, wäiirend in Suben der Verbrecher, sofern es keine Begnadigung gibt, nach fünf Jahren automatisch auf freien Fuß gesetzt wird. Die Einweisung in ein Arbeitshaus ist die letzte Möglichkeit, die dem österreichischen Strafvollzug gegeben ist, und wird nur dann ausgesprochen, wenn das Gericht der Meinung ist, daß die Gefängnisstrafe keine Besserung der kriminellen Laufbahn des Verurteilten wirkt.

Statistiken sind in der Regel etwas Lebloses. Betrachtet man aber die von Suben, so erfährt man mit erschütternder Offenheit, aus welchen Gruppen sich die 302 Insassen des Arbeitshauses rekrutieren. 2,9 Prozent haben „nur“ fünf Vorstrafen hinter sich, 40 Prozent zehn, 42 Prozent sind bereits zwanzigmal verurteilt und 11,5 Prozent dreißigmal. Ein alter „Häfenbruder“ kann den Rekord von 52 Vorstrafen für sich in Anspruch nehmen und ist schon Stammigast im Arbeitshaus. Mit ihm teilen sich 3,8 Prozent der Insassen Vorstrafen über dreißig Delikte. Diese Statistik mit anderen Worten auszudrücken, würde etwa so heißen: 5,2 Prozent der Insassen verbrachten mehr als dreißig Jahre hinter Kerkermauern, 43,3 Prozent sind schon fünf Jahre gesessen. Den Durchschnitt stellen aber jene Häftlinge dar, die zehn (35,5 Prozent) und 20 Jahre (17 Prozent) ihres Lebens im Gefängnis verbrachten.

72,6 Prozent sind in Suben, weil sie wegen Eigentumsdelikten verurteilt und immer wieder rückfällig wurden. Hier findet man die notorischen Diebe, die eben keinen anderen Beruf als Stehlen kennen, „Speckjäger“ und Kassenschränker. Letztere Verbrechensart ist übrigens im Aussterben begriffen, ein echter „Schränker“ zählt heute schon zu den Seltenheiten in der Unterwelt. Zu diesem Beruf gehört sehr viel Intelligenz und technische Begabung...

Den zweitgrößten Prozentsatz der Arbeitshausinsassen stellen die Betrüger mit 21,6 Prozent. Da findet man Zechpreller, Heiratsschwindler, Hochstapler und „Erfinder“. Und nur 3,4 Prozent der „Notorischen“ sind Gewaltverbrecher, an sich brave Arbeiter, die aber dem Alkohol verfallen sind. Räuber sind fast keine in Suben zu finden. Wenn ja, dann kann man sie nicht als vollwertige Zunftgenossen betrachten, da ein echter Räuber durch ein Gerichtsurteil auf so lange mit Kerker bestraft wird, daß er in den seltensten Fällen noch des Arbeitshauses bedarf.

EIN ERSCHÜTTERNDES BILD DER JUGENDKRIMINALITÄT ergibt sich, wenn man die Arbeitshäusler alters-

mäßig unter die Lupe nimmt. 33,2-Pro-zent der Insassen wurden bereits zwischen dem 14. und dem 17. Lebensjahr kriminell, 40 Prozent zwischen dem 18. und dem 20. Lebensjahr. Zum Unterschied dazu fanden zwischen dem 21. und 25. Lebensjahr „nur“ 21 Prozent zur Verbrecherlaufbahn, zwischen dem 26. und 34. Lebensjahr überhaupt nur vier Prozent.

RESOZIALISIERUNG IST EIN WICHTIGER FAKTOR des modernen Strafvollzuges. Ihn aber in Suben an die erste Stelle zu setzen, wäre fehl am Platz. In erster Linie kommt es darauf an, daß die Insassen sicher verwahrt sind. Dann ist von Interesse, was der Insasse leistet, was er arbeitet — und an letzter Stelle steht erst die Resozialisierung. Was auch ganz verständlich ist, wenn man einen Blick auf die bereits angeführten Zahlen wirft. Hier „Humanitätsduselei“ groß zu schreiben wäre total falsch. Das soll aber nicht heißen, daß

die Häftlinge mittelalterlichen Strafvollzugsmethoden ausgeliefert sind. Obwohl in Suben Gewohnheitsverbrecher sitzen, die wenig zu verlieren haben, hat der Direktor des Arbeitshauses, Erich Zanzinger, neue Wege gefunden, den Strafvollzug durchzuführen. Das äußere Bild des Arbeitshauses gleicht dem einer Strafanstalt. Die Kleidung ist die gleiche, und im wesentlichen gibt es auch die gleiche Arbeit und Einteilung. Gewiße Vollzugsunterschiede, die zwar vorhanden sind, fallen kaum ins Gewicht. Der Insasse kann öfters Briefe schreiben und empfangen und darf auch öfters Besuch haben. Was nun die individuelle Betreuung innerhalb der Arbeits-hausmauern anbelangt, dafür ist der Direktor zuständig. Da heißt es im Gesetz beispielsweise: ,,. ..um Hausinsassen geistig anzuregen und Lücken ihres Wissens aufzufüllen, ist für einen regelmäßigen Unterricht in den Gegenständen der Volksschule zu sorgen.“ Abgesehen davon, daß dem Arbeitshaus kein Lehrer zur Verfügung steht, wäre es wohl völlig sinnlos, einen notorischen Kriminellen auf die Schulbank zu setzen und ihm Rechnen und Schreiben beizubringen. Man muß sich vor Augen halten, daß bei Erwachsenen, die noch dazu kriminell sind, kein Elementarunterricht möglich ist. Direktor Zanzinger bekämpft diesen Unterricht seit eh und je. Er als erfahrener Strafvollzugsmann kennt die Psyche des Gefangenen. Entweder macht der Insasse beim ,,Schulespielen“ mit, weil er daraus einen persönlichen Vorteil sieht, wenn er immer schön brav aufzeigt und mit kindlich-naiver Stimme das Einmaleins herunterratscht, oder er schläft sich aus. Vor dem Jahr 1939 war es in der Anstalt üblich, den Unterricht semestermäßig einzuteilen und dann am Jahresende nach einer Prüfung eine Zeuignisverteilung vorzunehmen.

GEISTIGE VERWAHRLOSUNG gibt es jedoch im Arbeitshaus Suben nicht. Man muß staunen, was Direktor Zanzinger seinen Insassen bietet. Seit 1955 gibt es ein Volksbildungswerk. Zivilpersonen halten Vorträge und regen so die Inhaftierten durch Diskussionen zum Mitdenken an. Man darf sich allerdings über den Bildungsgrad der Insassen keine allzu großen Vorstellungen machen. Während nur sechs Prozent bei einem Test sagten, noch nie etwas von Peter Kraus gehört zu haben, kannten 34 Prozent den Namen des Justizministers nicht. Viele wußten auch nicht, daß Wien die Bundeshauptstadt ist und 43 Prozent hatten keine Ahnung von Maßeinheiten.

IM ARBEITSHAUS MÜSSEN ARBEITSSCHEUE INDIVIDUEN einer nützlichen Dauerarbeit nachgehen. Neben der täglichen Arbeit gibt es in Suben auch noch eine Freizeitbeschäftigung, die edlen Zwecken dient. Die Insassen basteln jedes Jahr Spielzeug als Weihnachtsgeschenk für die von der Caritas betreuten Kinder. Die Gründe warum die meisten das in ihrer Freizeit machen, sind vor allem, um aus der geistigen Einöde des Arbeitshausdaseins ein bißchen herauszukommen. Das Basteln erscheint ihnen als willkommene Abwechslung. Vielleicht findet der eine oder andere, durch diese Arbeiten angeregt, doch noch den Weg in ein Leben ohne Mauern.

EINE INTERESSANTE GESCHICHTLICHE VERGANGENHEIT weist das Gebäude des Arbeitshauses von Suben auf. Fährt man von Schärding dieStraße nach Ried im Innlcreis, so taucht rechter Hand plötzlich ein altes ehrwürdiges Stift auf. Dort, wo früher die Mönche meditierten, arbeiten heute Gewohnheitsverbrecher. Um 1050 etwa erfolgte die erste Gründung des Baues als weltliches Kanonikerstift, das im Laufe der Jahrhunderte baulich sehr verändert wurde und in steter Folge seine Besitzer wechselte, bis es 1855 vom k. k. Strafhausfonds angekauft wurde und zur „Weiberstrafan-stalt Suben“ unter der Leitung der Klosterfrauen vom guten Hirten eingerichtet wurde.

Zehn Jahre darauf wurde die „Weiberstrafanstalt“ aufgelöst und nach Wiener Neudorf verlegt, statt dessen aber eine Männerstrafanstalt errichtet. Ursprünglich war das Haus für die „besseren Kategorien“ unter den Kriminellen geplant und sollte politische Verbrecher und Personen geistlicher und gebildeter Stände aufnehmen. Der Plan wurde aber fallen gelassen, da man Platz für den Strafvollzug brauchte. Im Mai 1868 gab es die erste Höchstbelegung mit 501 Gefangenen. 1932 wurde die Strafanstalt in ein Arbeitshaus umgewandelt, das aber im Krieg seine Vollzugsreinheit verlor und wieder Strafgefangene aufnehmen mußte. Nach Kriegsende öffneten die Amerikaner, in der Meinung ein Konzentrationslager vor sich zu haben, gedankenlos alle Tore, so daß die Häftlinge Schlüsselgewalt bekamen. Rasch wurde jedoch wieder Ordnung geschaffen, und nach Abzug der Besatzungsmächte hieß es wieder „Arbeitshaus Suben“.

GEWINNMÄSSIGE ARBEIT - ist die Parole in Suben. Das Arbeitshaus deckt 76 Prozent seines Sachaufwandes selbst, und wenn man auch nicht von einer Arbeitsfreudigkeit der Insassen sprechen kann, so beweisen Zahlen, welche Arbeit in Suben geleistet wird. 1950 betrug der Gesamtumsatz 318.000 Schilling, 1959 bereits 1,217.000 Schilling und im Vorjahr 1,503.900 Schilling.

Somit wird nur rund ein Viertel der Kosten des Arbeitshauses, das die letzte Station des menschlichen Daseins auf krimineller Basis darstellt, aus öffentlichen Geldern gedeckt.

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