7102987-1995_19_03.jpg
Digital In Arbeit

Wenn „Lebenslängliche” die Freiheit wittern

19451960198020002020

Wenn Häftlinge auf die Freiheit vorbereitet werden, ihnen diese aber dann doch nicht gewährt wird, herrscht Gefahr.

19451960198020002020

Wenn Häftlinge auf die Freiheit vorbereitet werden, ihnen diese aber dann doch nicht gewährt wird, herrscht Gefahr.

Werbung
Werbung
Werbung

Der humane Strafvollzug in Österreich ist zum heiß umstrittenen Diskussionsthema geworden - einige tragische „Pannen” haben das Leben hinter Gittern ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Manche - zum Glück der Schwerverbrecher wenige - fordern die Einführung der Todesstrafe. Befürworter des modernen Vollzugs versuchen, nach den Fällen „Haas , „Stockreiter” und „Foco” am schwer beschädigten Image zu retten, was noch gerettet werden kann.

Die „Boulevard”-Presse hatte ein gefundenes Fressen: Innerhalb von nicht einmal zwei Jahren wurden zwei verurteilte Mörder rückfällig. Im Fall des Karl Otto Haas passierte die schreckliche Tat während eines Freiganges, Franz Stockreiter brachte seine Psychotherapeutin im Gefängnis um. Bei der Lektüre mancher Zeitungen konnte man den Eindruck gewinnen, als würde demnächst eine ganze Horde blutrünstiger Mörder durch zu liberal gewährten Freigang oder Entlassung auf die Gesellschaft losgehetzt werden. Tenor: Man sollte sich um potentielle Opfer mehr Sorge machen, als um das psychische Wohlergehen der bereits einmal schrecklich in Erscheinung getretenen Täter.

Derzeit sitzen in Österreichs Gefängnissen etwa 140 Häftlinge ein, die zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt worden sind, nachdem sie zumindest einen Mitmenschen des Lebens beraubt haben. Beim Urteilsspruch werden auch die Umstände solcher Taten berücksichtigt. Ein Mord am Nebenbuhler in rasender Eifersucht ist vermutlich für mehr Menschen zumindest emotionell nachvollziehbar als das Zerstückeln eines Kindes, nachdem man es sexuell mißbraucht hat. Das heißt: Nicht jeder Mörder wird zu „lebenslang” verdonnert. Gerade in den letzten Jahren ist ein besonders grausames Vergehen nötig, um - zumindest theoretisch - bis zum Tod hinter Gitter zu müssen.

Ein zu lebenslanger Haft Verurteilter hat rechtlich die Chance, nach zumindest 15 Jahren hinter Gefängnismauern bedingt entlassen zu werden. Die entsprechende Entscheidung trifft das für die jeweilige Haftanstalt zuständige Vollzugsgericht. Die meisten Anträge auf vorzeitige Entlassung werden am Landesgericht Krems bearbeitet. Vizepräsident Hans Pollak berichtet aus der Praxis: „Tatsächlich werden nur etwa fünf bis zehn- Prozent aller Häftlinge mit langen Haftstrafen bedingt entlassen. Grundlagen für eine solche Entscheidung sind genaue psychologische Gutachten, die Fragen, ob ein baldiger Einstieg in einen Beruf möglich, ob eine Wohnung vorhanden oder auch die Integration in die Familie gegeben ist.”

Die Initiative für einen solchen Antrag auf vorzeitige Entlassung geht allerdings vom Leiter der jeweiligen Haftanstalt aus. Wenn ein Häftling nach Ansicht der Ärzte, Psychologen und Wachebeamten für eine solche Entlassung in Frage kommt - er muß also mit möglichst geringem Risiko in die freie Gesellschaft wieder eingegliedert werden können -, setzt frühestens ein Jahr vor der möglichen Entlassung der Entlassungsvollzug ein. Im Rahmen dieser Phase werden verschiedene Hafterleichterungen gewährt.

Eine davon ist der Freigang. Der Insasse soll auf das Leben in Freiheit vorbereitet werden, indem er tagsüber einer Arbeit außerhalb des Gefängnisses nachgeht und abends in die Haftanstalt zurückkehrt. International sind sich Experten in diesem Punkt einig: Eine solche stufenweise Lockerung der Haftbedingungen ist auch im Interesse der öffentlichen Sicherheit. Ein fließender Wiedereinstieg in das Leben in Freiheit bietet die größte Chance, Rückfälle zu Straftaten zu verhindern. In den Entlassungsvollzug gelangen sowohl jene, die vorzeitig entlassen werden sollen, wie auch jene, die ihre Haftstrafen komplett absitzen.

Problematisch sind jene Fälle -besonders bei sehr langen Haftstrafen -, wo Häftlinge zwar aufgrund der möglichen, bedingten Entlassung in den Entlassungsvollzug aufgenommen werden, ihr Antrag dann aber vom Gericht abgelehnt wird. Sie werden also auf das Leben in Freiheit vorbereitet, dürfen es dann aber nicht genießen. Besonders heikel sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen des Paragraphen 145 Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes. Sie besagen, daß die Lockerungen des Entlassungsvollzugs einem Häftling aufgrund der Ablehnung seines Entlassungsantrages nicht wieder entzogen werden dürfen. Das heißt: Der Häftling müßte theoretisch weiterhin auf Freigang bleiben dürfen, obwohl ihm entgegen seinen Hoffnungen noch weitere Jahre hinter Gittern bevorstehen.

Möglicher Hintergrund einer solch paradoxen Situation: Während der Anstaltsleiter seinen Insassen für ungefährlich hält, kommt der Gerichtssachverständige zur gegenteiligen Überzeugung; er schätzt den bereits zum Teil in Freiheit befindlichen Häftling als ungeeignet für ein Leben in Freiheit ein ...

Auf der anderen Seite sind auch die Entscheidungen der Anstaltsleiter meist Produkte von Teamberatungen, eine wesentliche Bolle spielen hier Psychiater und Psychotherapeuten. Grob vereinfacht könnte man sagen: Jüngste Novellen des Strafvollzugsgesetzes haben wichtige Entscheidungen im Strafvollzug von der juristischen auf eine Sachverständigen-Ebene verlagert.

In den Fällen „Haas” und „Stockreiter” ist eines bemerkenswert: Beide waren psychisch auffällig, genossen daher eine psychotherapeutische Behandlung. Obwohl ihnen die besondere Aufmerksamkeit der Experten gewidmet war, wurden beide offensichtlich nicht richtig eingeschätzt. Diese Tatsache stellt nun die wesentlich aufgewertete Position der psychologischen Betreuer in wichtigen Entscheidungen zumindest für Außenstehende auf den ersten Blick in Frage.

Eine wesentliche Aufgabe der Justiz wird in nächster Zeit darin bestehen, die Erfolge des modernen Strafvollzuges zu präsentieren. In diesem Zusammenhang kündigte Justizminister Nikolaus Michalek eine Informationsoffensive an, die schon in wenigen Wochen beginnen soll. Bisher wurde über den Gefängnisalltag öffentlich wenig gesprochen, für die Medien hatten nur traurige Sensationen News-Wert. Nach den jüngsten „Pannen” möchte das Justizministerium aber in den nächsten Wochen eine öffentliche Diskussion anregen, um auch die positiven Aspekte liberal-humanen Strafvollzugs zu zeigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung