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Soziale Fürsorge in der Strafanstalt

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in einem vom Dekanat der Grazer juridischen Fakultät veranstalteten Vortrag sprach der Leiter der Sozialabteilung des holländischen Justizministeriums, Dr. J. van der Grient, kürzlich vor Juristen und den zahlreich vertretenen Strafvollzugsorganen über die soziale Fürsorge, die in den niederländischen Strafanstalten geübt wird. Es ist bemerkenswert, daß sich schon vor mehr als 350 Jahren in Holland der Gedanke, das Arbeitsethos als Erziehungsmittel zu verwerten, durchgesetzt hatte. Ein Vorbild wirkte aus England herüber. Religiöse Motive, die vor dem König durch Thomas Lever im Jahre 1550 und durch Bischof Ridley im Jahre 1552 in Predigten vorgetragen wurden, führten zur Errichtung des „House of Correction“ (Bridewell 1553). So besteht denn audi eine weitgehende Übereinstimmung in den Gründungsvorschriften von Bridewell 1555/57 und jenen von Amsterdam, für die Anstalten von Tucht- huis 1595 und Spinhuis 1597. Aber es dürfte doch Amsterdam in der Frage der Rückführung des Rechtsbrechers in das Sozialgefüge, und zwar durch „Erziehung zur Arbeit durch Arbeit“, ganz neue Wege gewiesen haben. In den folgenden Jahrhunderten hat sich der kriminalpolitische Gedanke durchgesetzt, daß die Arbeit des Gefangenen zum Wesen des Strafvollzugs gehört, ja fast. ausschließlich die Strafe darstellt. Sie soll den Gefangenen an die Arbeit gewöhnen und seine Bereitschaft herbeiführen, sich zu einem arbeitsamen und rechtschaffenen Lebenswandel hinzukehren. Ob der entlassene Gefangene nun zur vollen Rückkehr in die Gesellschaft reif genug ist, hängt nicht zuletzt vom Ausmaß der sozialen Fürsorge für den Gefangenen ab.

In Holland bestimmt die Vorschrift („Beginselenwet“) in Artikel 26: „Unter Aufrechterhaltung des Charakters der Strafe wird deren V ollstreckung der Vorbereitung einer Rückkehr der Häftlinge in das Gesellschaftsleben nutzbar gemacht. Das Gesetz legt der Anstaltsdirektion die Aufgabe auf, dem Gefangenen bei der Überwindung aller sozialen Schwierigkeiten zu helfen, die sich aus der Anhaltung ergeben. Eine zielgerechte Einwirkung soll schon in den Untersuchungsgefängnissen geübt und dann in der Strafanstalt fortgesetzt werden; sie 6etzt mit dem ersten Tag der Haft ein.

Es soll denn auch jedes Strafvollzugsorgan wissen, daß Freiheitsstrafe sinnlos wäre, wenn sie nicht auch der Resozialisierung dient. Von dieser Auffassung müssen alle Strafvollzugsorgane so durchdrungen sein, daß jeder von ihnen in gewissem Sinn zum Sozialbeamten wird. Zum Dienste an diesen Ideen wurde 1948 im holländischen Justizministerium der Abteilung für Gefängniswesen eine Sonderabteilung für Sozialfürsorge eingegliedert. Ihr obliegen die Ausbildung der bestellten Sozialbeamten, die Bestimmungen über die Freizeitgestaltung durch Filmvorführungen, der Unterricht und die Aufstellung von Direktiven für die praktische Durchführung der Sozialfürsorge. Die Einrichtung hat sich in Holland so gut bewährt, daß man sie trotz ihres kurzen, erst vierjährigen Bestandes schon für unentbehrlich hält. Besonders förderlich ist das Zusammenwirken aller Anstaltsorgane (Direktor, Stellvertreter, geistlicher Seelsorger, Arzt, Sozialbeamter, Leiter der Arbeit, Lehrer usw.). Diesem Team obliegt zunächst die Erforschung der Persönlichkeit des Verurteilten, die sorgfältige Beobachtung bei der Arbeit, beim Sport, beim Verkehr mit den Mitgefangenen, bei Besuchen der Angehörigen wie überhaupt in der Freizeit, kurz, möglichst in allen Lebenslagen. Aus dem gewonnenen Persönlichkeitsbild ergibt sich die zweckmäßige individuelle Behandlung. Auch die jüngsten Gesetze Englands und Schwedens enthalten ähnliche Fürsorgevorschriften. Da ist zumal die schöne Funktion des Chaplain und des Welfare officer im englischen Gefängnis, dessen Tätigkeit im Endziel auf weitgehende Entlassenenfürsorge gerichtet ist. Grundfalsch wäre es, die soziale Betreuung des Gefangenen abzulehnen als zwecklose, übertriebene Gefühlsduselei, die schließlich zur „Knochenerweichung des Strafrechts“ führe. Das höchste Ziel der Strafrechtspflege ist doch die Bekämpfung der Kriminalität, das heißt einer sehr bösartigen Form gesellschaftlicher Krankheit, die durch Methoden der Vergeltung allein kaum bezwungen werden kann. Damit soll aber auch gesagt sein, daß die Vergeltung nicht als das einzige eigentliche Ziel der Strafrechtspflege angesehen werden darf. Das wahre Ziel für jede staatliche Gemeinschaft ist eine möglichst gesunde Gesellschaft. Ihr hat die soziale Fürsorge zu dienen. Sie erst rückt an Gefahrenherde heran, die vielfach in der wirtschaftlichen Notlage liegen. Mit dem Strafende soll das Verbrechen abgegolten sein. Ohne Entlassenenfürsorge handelt die Gesellschaft wie eine Sanitätsbehörde, die einen Menschen, der mit einer gefährlichen Krankheit behaftet ist, eine Zeit- lang isoliert, ihn aber schließlich als un- geheilt entläßt und ihn seinem Schicksal überläßt.

Man fordert wie von jedem Staatsbürger, so auch vom Verurteilten, daß er ein arbeitsames und rechtschaffenes Leben führt, übersieht aber, daß es dem entlassenen Häftling viel schwerer fällt, einen Arbeitsplatz zu finden, als jenem, der noch nicht in die Justizmaschine geraten ist. Wenn aber ein arbeitsames Leben gefordert wfrd, muß auch Arbeit geboten werden, wenn Rechtschaffenheit erwartet wird, dürfen nicht Hindernisse gegen die Rückkehr zu ihr aufgetürmt werden. Deshalb sei hier mit Anerkennung des Werkes des Leiters der Strafanstalt Stein gedacht, auf dessen Initiative die am 20. November 1951 wohl nach Schweizer Muster erfolgte Eröffnung eines Ubergangsheimes für Strafentlassene auf der Gutsverwaltung Gurhof (Post Gansbach, Niederösterreich) zurückgeht. Es ist für vorläufig acht Strafentlassene Verurteilte bestimmt, die einer Fürsorge würdig erscheinen. Wenn dem Entlassenen auch nur für drei, höchstens vier Monate Unterkunft und Verpflegung gewährt werden, so wird doch damit eines der schwersten Gefahrenmomente ausgeschaltet, das sich bei dem Austritt aus der Strafanstalt einstellt, falls er sonst keine Stelle findet.

Immer ist zu bedenken: Entlassenenfürsorge ist nicht nur das planmäßige, mit Geduld und Milde verfolgte Unternehmen, einen Irregegangenen der gesellschaftlichen Ordnung zurückzugeben, sondern auch Dienst an der Gesellschaft selbst.

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