Das Gefängnis ist kein Ort für Rache

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Eine Serie von Todesfällen in der Justizanstalt Stein lässt dorthin blicken, wo die Gesellschaft sonst nur zu gerne wegschaut.

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Eine Serie von Todesfällen in der Justizanstalt Stein lässt dorthin blicken, wo die Gesellschaft sonst nur zu gerne wegschaut.

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Haben Sie am vergangenen Sonntag einen Moment lang nur an die Situation von Menschen in Gefängnissen gedacht? Nein! Sie gehören also auch zu jenen, die am Tag der Milch ihren Kaffee schwarz trinken, den Tag des Nichtrauchens im besten Fall als Killerargument gegen die paffende Kollegin benutzen und am Welttierschutztag die Hauskatze so wie jeden Tag in der Früh vor die Tür setzen. Warum also dem 8. Juli, dem Tag des Gefangenen, mehr Beachtung schenken als all den anderen Tagen und den ihnen zugeschriebenen Bedeutungen, angefangen vom Apfel über das Kind, den Flüchtling bis hin zur Pressefreiheit?

Aktuelle Vorkommnisse in Österreichs Gefängnissen geben dem Denken an und über Gefangene eine neue Relevanz. Dabei ist gar nicht vom Tod des Stargefangenen, des Trotz-allem- und Immer-noch-Lieblings der Schickimicki-Society, Udo Proksch, die Rede. Drei Selbstmorde innerhalb kurzer Zeit in der Justizanstalt Stein und weitere untersuchungswürdige Todesfälle ebendort sind Anlass genug - auch wenn es diese Toten nicht auf die Titelseite der Magazine brachten - den Tag des Gefangenen nicht ganz spurlos vorübergehen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Wiener Stadtzeitung Falter bei einem der Todesfälle in Stein den Vorwurf erhebt, der Gefangene sei festgezurrt auf einem eigentlich seit langem schon verbotenen "Gurtenbett" einem Darmverschluss erlegen. Das Stadtblatt will auch von heruntergekommenen Absonderungszellen für widerspenstige Gefangene im Keller der Steiner Strafanstalt - darunter eine so genannte Saunazelle, die manchmal auf extreme Temperaturen aufgeheizt werden soll - Kenntnis bekommen haben.

Dass es zusätzliche Bestrafung innerhalb der An-sich schon-Bestrafungsinstanz Gefängnis gibt, ist bei allen Gefängniskennern, die der Autor aus Anlass dieses Beitrags zur Thematik befragt hat, unbestritten. Von groben Vorfällen im "Keller" mancher Anstalt oder von geschlagenen Häftlingen, die wehrlos eingezwängt zwischen zwei Spinden verharren mussten, ist genauso die Rede wie von sublimen - deswegen aber um nichts weniger schmerzvollen und schikanösen - Bestrafungen durch "schwarze Schafe" unter den Justizwachebeamten.

Hierher gehören auch die generellen Verschlechterungen im Gefängnisalltag, von denen Angehörige und Besucher von Inhaftierten berichten. War es früher Besuchern erlaubt, Wäsche- oder Bücherpakete in die Anstalt mitzunehmen, ist dieser Botendienst seit neuestem - mit der Begründung, Drogen würden auf diesem Weg in das Gefängnis gelangen - untersagt. Müsste nicht die Konsequenz aus dem Missbrauch von Geschenken als Drogenkuriere eine stärkere Kontrolle der Pakete sein? Stattdessen wird aber ein generelles Verbot für alle ausgesprochen. Als Alternative bleibt die Sendung per Post. Bedingung: 300 Schilling Porto, für viele sehr viel Geld, für andere, die Besuche und Wäsche- und Büchergeschenke schon jetzt um Gottes Lohn bestreiten, eine finanzielle Schmerzgrenze, die sie nicht mehr überschreiten können.

Nicht zu vergessen ist, dass die Instanz Gefängnis auch viele andere ständig mitverurteilt und bestraft: Angehörige sowie von mitmenschlichen, karitativen und/oder religiösen Motiven bewegte ehrenamtliche Besucher. Wartenlassen, fehlinformieren, ins Leere schicken, verunsichern, keine Koordination der Besuchszeiten mit den An- und Abfahrtszeiten öffentlicher Verkehrsmittel: All das soll in Österreichs Justizanstalten - gewiss, nicht in allen und nicht immer - schon vorgekommen sein.

Dabei müsste doch Übereinstimmung, sogar zwischen der liberalen Fraktion und den Law-and-order-Verfechtern, darüber herrschen, dass das Gefängnis nur ein Provisorium ist, dass uns noch nichts Besseres eingefallen ist. Wegsperren: eine Verlegenheitslösung der Gesellschaft, mit Menschen und deren Taten umzugehen, die Angst machen, von denen man nichts wissen will.

"Die Gefängnisse tragen nicht zur Verminderung der Kriminalität bei: Wie sehr man sie auch ausbaut und vervielfacht oder reformiert, die Zahl der Verbrechen und Verbrecher bleibt stabil oder steigt sogar." Und "die Haft fördert den Rückfall; aus dem Gefängnis entlassen, hat man mehr Chance als vorher, wieder dahin zu kommen". Was der französische Philosoph Michel Foucault in den siebziger Jahren über die Geschichte des Gefängnisses schrieb, ist bis heute noch nicht widerlegt worden. Ganz im Gegenteil, in den USA, dem Land mit den prozentuell meisten Gefängnissen, platzen ebendiese aus allen Nähten.

Eine permanente Unzufriedenheit mit diesem Provisorium Gefängnis sollte eigentlich in Staat und Gesellschaft vorherrschen. Kreative Unzufriedenheit, aus der die Motivation und der Impuls hervorgehen, andere, bessere Formen zu finden, wie Strafe, Wiedergutmachung aber auch Vergebung institutionalisiert werden können. Jede Möglichkeit, schuldig gewordene Menschen anders als mit Freiheitsentzug zur Verantwortung zu ziehen, gilt es zu fördern. Jede Prävention, der "außergerichtliche Tatausgleich", alle Formen der Mediation und nicht zuletzt die Bewährungshilfe sind richtige Schritte in eine (Achtung Utopie!) gefängnislose Zukunft.

Bis dahin soll zumindest versucht werden, dass die einmal propagierte und grundvernünftige Forderung "Therapie statt Strafe" wenigstens in der abgeschwächten Variante "Strafe und Therapie" aufrecht erhalten bleibt. Damit nicht unter dem Vorwand des allgegenwärtigen Spardrucks eine Gesinnung noch mehr salonfähig wird, die im Gefängnis schon immer primär eine Institution der Sühne und Rache und nicht einen Ort der Resozialisation gesehen hat. Das im Bewusstsein zu halten, vielleicht auch wieder dorthin zu bringen, war der Sinn des 8. Juli, des Tags der Gefangenen.

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